Barbara Albert: Eine wichtige und großartige Aufgabe

„Eine wichtige und großartige Aufgabe“

Barbara Albert, Chemikerin und Rektorin der Universität Duisburg-Essen, über ihr erstes Amtsjahr, den Umgang mit einer Cyberattacke und Fokusthemen im Exzellenz-Wettbewerb  

Frau Professorin Albert, seit April 2022 sind Sie Rektorin der Universität Duisburg-Essen, kurz: UDE. Wie war das erste Jahr im Amt?
Es war spannend und ertragreich, aber auch herausfordernd. Wir sind als Universität Duisburg-Essen Teil der Universitätsallianz Ruhr und hatten in diesem Jahr die Chance, eine neue Research Alliance aufzubauen, die unsere Forschung in eine neue Liga katapultiert. Zugleich haben wir die Bewerbungen für den Exzellenzstrategie-Wettbewerb des Bundes und der Länder energisch vorangetrieben, ebenso unsere Nachhaltigkeitsinitiative und die Gründung einer neuen Fakultät – um nur einige Beispiele zu nennen. 

Mit welchem Ziel und welchen Themen tritt Ihre Universität im Exzellenzwettbewerb an?
Wir schärfen gemeinsam mit der Ruhr-Universität Bochum und der Technischen Universität Dortmund unser Forschungsprofil, zum Beispiel im Bereich der Neurowissenschaften. Traditionell ist aber auch die Trink- und Süßwasserforschung an der Universität Duisburg-Essen sehr stark. Mit dem interdisziplinären Zentrum für Wasser- und Umweltforschung, das sich schon seit zwanzig Jahren einen Namen macht, haben wir an der UDE eine international bekannte Wissenschaftseinrichtung mit Impact. Der Klimawandel erfordert einen verantwortungsbewussten und flexiblen Umgang mit der Ressource Wasser, und deswegen war es uns auch wichtig, das Thema im Exzellenzwettbewerb zu platzieren. 

Am 27. November 2022, Sie waren erst gut ein halbes Jahr im Amt, gab es einen großen Cyberangriff auf Ihre Universität. Was ist damals genau passiert?
Unsere IT-Infrastruktur wurde angegriffen und Daten wurden verschlüsselt. Wir haben den Angriff an einem Sonntagmorgen entdeckt und noch am gleichen Tag die ganze Universität vom Internet trennen müssen. Mehr als drei Monate haben wir am Wiederaufbau unserer IT-Infrastruktur gearbeitet. Ein Teil unserer Daten wurde im sogenannten Darknet veröffentlicht. 

Wie hat Ihre Universität auf den Anschlag reagiert?
Mit großem Einsatz aller Mitglieder und enormer Solidarität. Trotz der technischen Schwierigkeiten konnten wir für die Studierenden die Prüfungsphase Anfang Februar mit mehr als hunderttausend einzelnen Prüfungsleistungen durchziehen – das war eine großartige Leistung. Aber zugleich sind, auch jetzt noch, viele von uns sehr belastet und ausgelaugt, denn die viele unfreiwillige Extraarbeit setzt einem zu. 

Bei der Bewältigung des Cyberangriffs hat die nordrhein-westfälische Landesregierung Ihre Universität finanziell unterstützt. Wie ist die Zusammenarbeit mit der Politik generell?
In der Landesregierung gibt es ein starkes Bewusstsein für den Wert von Wissenschaft. Mehr Unterstützung benötigen wir jedoch sehr dringend im Bausektor. Viele unserer Gebäude sind in den 1970er-Jahren entstanden und müssen dringend renoviert werden. Anderes wollen wir ganz neu aufbauen.

Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI). © IQOQI/M.R.Knabl

© UDE

Luftbild vom Campus Essen der Universität Duisburg-Essen.

Mit Wissenschaftsförderung verbinden Politiker oft die Hoffnung auf wirtschaftlichen Nutzen. Wie gehen Sie damit um?
Die Hoffnung ist berechtigt, denn Geld, das in Universitäten fließt, macht sich vielfach auch als wirtschaftlicher Nutzen bezahlt – besonders in der Region um eine Universität herum. Und das Ruhrgebiet ist eine Region, die zur Transformation bereit und fähig ist. Man versteht sich zu Recht als Innovationsregion. Der Startpunkt für eine Innovation ist die Invention, und woher kommt die? Vor allem aus den Universitäten. Die UDE betreibt beispielsweise seit vielen Jahren Wasserstoffforschung, die von Partnern aus der Wirtschaft stark nachgefragt ist. In meinem Rektoratsteam gibt es mit Professor Pedro José Marrón einen Prorektor für Transfer, Innovation und Digitalisierung. Er kümmert sich um den Austausch mit Partnern aus Wirtschaft und Gesellschaft und bringt die Entrepreneur-Aktivitäten, beispielsweise die Gründung von Start-ups, aus unserer Universität heraus energisch voran.

Als Chemikerin haben Sie sich mit der Entwicklung neuer Materialien beschäftigt. Bleibt Ihnen als Wissenschaftsmanagerin noch Zeit für eigene Forschung?
Ich engagiere mich im Sonderforschungsbereich 1487 „Eisen, neu gedacht!“ und betreue – am Wochenende – den Abschluss einzelner Doktorarbeiten. Für mehr reicht die Zeit leider nicht. Der Abschied von der individuellen Forschung war ein nicht einfacher, aber bewusster Schritt. Ich bin gern da, wo ich jetzt bin. Die UDE zu leiten, ist eine wichtige und großartige Aufgabe.

Labor im Innsbrucker Institut für Quantenoptik und Quanteninformation © IQOQI/M.R.Knabl

© UDE/Frank Preuß

Dr. Daniel Grabner, Koordinator im UDE-Sonderforschungsbereich RESIST, überprüft sogenannte Mesokosmen-Experimente. Diese bilden künstliche Mini-Ökosysteme nach und sind befüllt mit Wasser aus der Boye, einem Nebenfluss der Emscher. Dem Wasser werden verschiedene Stressoren hinzugefügt, also Faktoren, die Organismen negativ beeinflussen können.

Seit gut zehn Jahren sind Sie Mitglied der GDNÄ. Was bedeutet sie Ihnen?
Fachgesellschaften wie die GDNÄ spielen eine wichtige Rolle als Kontakt- und Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Zivilgesellschaft und Politik. Durch ihre Fachlichkeit besitzen sie Glaubwürdigkeit und Neutralität. Gerade die GDNÄ ist spannend wegen der Vielfalt der Disziplinen, die sie vertritt. Das passt gut zum Anspruch von Universitäten, deren besonderer Reiz für mich darin besteht, dass wissenschaftliche Tiefe und Expertenwissen mit fachlicher Vielfalt und Breite im Anspruch institutionell verknüpft sind. Für die Zukunft der GDNÄ und für alle anderen wissenschaftlichen Gesellschaften ist es wichtig, neue Mitglieder von dem Reiz wissenschaftlicher Fachgesellschaften zu überzeugen – auch damit diese internationaler und diverser werden. Hierzu gilt es, Formate zu entwickeln, die junge Leute ansprechen und die zur heutigen Zeit passen. Ich habe die 200-Jahr-Feier in Leipzig besucht und hatte den Eindruck, dass die GDNÄ auf einem guten Weg ist.

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© UDE

Professorin Barbara Albert, Rektorin der Universität Duisburg-Essen.

Zur Person

Ihre wissenschaftliche Qualifikation erwarb Barbara Albert an der Universität Bonn. Nach dem Chemiestudium wurde sie 1995 promoviert und forschte anschließend ein Jahr am Materials Research Laboratory der University of California, Santa Barbara. Im Jahr 2000 habilitierte sie sich. Im Jahr 2001 wurde Barbara Albert auf die Professur für Festkörperchemie/Materialwissenschaften an die Universität Hamburg berufen. Von dort wechselte sie 2005 an die Technische Universität Darmstadt, wo sie bis 2022 als Professorin für Anorganische Festkörper- und Strukturchemie forschte und lehrte. In den Jahren 2020 bis 2021 wirkte sie an der TU Darmstadt als Vizepräsidentin für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs. Von 2012 bis 2013 war Barbara Albert Präsidentin der Gesellschaft Deutscher Chemiker. Sie ist Mitglied der Aufsichtsräte von Evonik Industries und der Schunk Group, Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und hat mehrere akademische Ehrungen erfahren. Professorin Barbara Albert wurde 2021 zur Rektorin der Universität Duisburg-Essen gewählt und trat ihr Amt am 1. April 2022 an.

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Peter Liggesmeyer: Wichtig ist mir die Anwendungsorientierung

„Wichtig ist mir die Anwendungsorientierung“

Peter Liggesmeyer, Informatiker und Mitglied im GDNÄ-Vorstandsrat, über Künstliche Intelligenz, drohende Innovationshemmnisse und bezahlbare Zelltherapien.

Herr Professor Liggesmeyer, derzeit spricht alle Welt von ChatGPT. Ist das auch in Fachkreisen so, etwa an Ihrem Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE?
Ja, über Chatbots wird auch bei uns diskutiert – nicht erst seit ein paar Monaten, sondern schon seit Jahren. Am IESE steht dahinter ein allgemeines Fachinteresse, an der Universität Kaiserslautern, wo ich seit fast zwanzig Jahren lehre und forsche, geht es um den Einsatz von ChatGPT in der Lehre oder um die Beurteilung studentischer Leistungen. Diese Themen werden im Kollegenkreis kontrovers diskutiert. Ich denke aber, dass sich zeigen wird, dass das vollständige Verbot der Nutzung von Systemen wie ChatGPT genauso wenig sinnvoll ist wie seine uneingeschränkte Nutzung.

Wie ist Ihre Haltung?
Sprachmodelle wie ChatGPT können aus wenigen Stichworten geschliffene Texte produzieren, aber sie ersetzen nicht den oft mühsamen, arbeitsaufwändigen Wissenserwerb, um den es an der Universität geht. Die Modelle eignen sich beispielsweise für schnelle Literaturrecherchen und können insofern wertvolle Dienste leisten. Das Feld ist derzeit sehr volatil, es gibt gute Argumente für und gegen den Einsatz von Chatbots an der Hochschule. Ich denke, wir sollten die Entwicklung eine Zeitlang beobachten und nach einer angemessenen Zeitspanne zu Entscheidungen kommen.

ChatGPT hat das Thema Künstliche Intelligenz schlagartig ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Wie sehen Sie die Entwicklung auf diesem Gebiet?
Auch ich kann nur darüber staunen, wie schnell alles geht und was heute möglich ist. Die erzeugten Ergebnisse werden immer besser. Das ist kein Vergleich mehr zu den frühen, sperrigen KI-Lösungen,  mit denen ich als Doktorand Anfang der 1990er-Jahre gearbeitet habe. Der große Schub kam in den letzten Jahren, vor allem durch hochleistungsfähige Rechner und die Verfügbarkeit großer Mengen von Daten. Aber im eigentlichen Sinne intelligent sind auch die durchaus imponierenden Systeme natürlich nicht.

Wo steht Deutschland in der KI-Forschung im internationalen Vergleich?
Mit dem bundesweit agierenden Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz, dem DFKI, und seinen Partnerunternehmen können wir in Forschung und Entwicklung gut mithalten. Hinzu kommen zahlreiche KI-Forscher an Hochschulen und Forschungseinrichtungen, unter anderem auch bei uns am Fraunhofer IESE. Insgesamt sehe ich hier große Chancen für unser Land. Ein Innovationshemmnis könnte der geplante EU AI Act werden, ein Gesetz zur Regulierung von KI-Anwendungen auf europäischer Ebene. Die Ziele des Vorhabens sind durchaus ehrenhaft; ich fürchte allerdings, dass die zu erwartende Umsetzung zu einem Technologiehemmnis mit negativen Wirkungen auch in der Praxis werden könnte. Wir kennen das von der Datenschutzgrundverordnung DSGVO, die sehr sinnvolle Ziele verfolgt, uns aber bei der Internetnutzung im Namen des Online-Datenschutzes täglich mit Ausfüllmasken konfrontiert. Das sollten wir unbedingt vermeiden.

Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI). © IQOQI/M.R.Knabl

© Fraunhofer IESE

Arbeitsraum im Fraunhofer IESE.

Als Forscher arbeiten Sie seit gut dreißig Jahren im Schnittbereich von Informatik und klassischer Ingenieurwissenschaft. Gibt es einen roten Faden, der Ihre Projekte verbindet?
Ja, ganz eindeutig. Mein Fokus zu Beginn meiner wissenschaftlichen Laufbahn waren Themen aus dem Bereich Software-Qualitätssicherung. Inzwischen steht die Sicherheit digitaler Systeme im Vordergrund. Dabei geht es um zwei Arten von Sicherheitsrisiken: um Gefährdungen der Systeme von außen im Sinne des englischen Begriffs „security“, aber auch um „safety“, also um Gefahren, die von den Systemen selbst ausgehen. Safety-Risiken gibt es zum Beispiel bei selbstfahrenden Autos, in autonom agierenden Industrie-4.0-Umgebungen oder auch in der Medizintechnik. Wenn derartige Systeme mithilfe maschinellen Lernens selbstständig Entscheidungen treffen sollen, so müssen als Grundlage erforderlicher Zertifizierungen Restrisiken bestimmt werden. Das ist aktuell für maschinelle Lernkomponenten nicht möglich, wäre aber wichtig, und daher wird daran geforscht. Menschen sind gut darin, im Alltag ständig praktikable Lösungen für komplizierte Aufgaben mit Unwägbarkeiten zu finden. Man wird technische Lösungen der Zukunft daran messen müssen, ob sie Ähnliches leisten können. 

Haben Sie dafür ein Beispiel?
Ja, und zwar MY DATA Control Technologies aus meinem Fraunhofer-Institut. Das ist eine Software zur individuellen Datennutzungskontrolle. Sie erlaubt die Festlegung und Überwachung der Einhaltung von Regeln zur Nutzung von Daten. So könnte man etwa die Nutzung der eigenen Daten zum Zweck der medizinischen Forschung autorisieren, gleichzeitig aber auch einen umfassenden Datenschutz vorsehen, der die Nutzung derselben Daten etwa für Werbezwecke verbietet. Was mit den eigenen Daten geschieht, bestimmt immer die Daten-Spenderin oder der Spender. Das System kommt in komplizierten Situationen mit simplen Regeln zu tragfähigen Kompromissen, so wie wir Menschen es Tag für Tag tun. 

Wie wichtig ist Ihnen der praktische Nutzen Ihrer Forschung?
Wichtig ist mir die Anwendungsorientierung meiner Forschungsarbeiten. Wenn die Ergebnisse später praktisch genutzt werden, so ist das natürlich besonders motivierend. Mit dieser Idee im Kopf löst sich der künstliche Widerspruch zwischen Grundlagen- und angewandter Forschung auf. Auch industrielle und akademische Forschung rücken näher zusammen. Entsprechend engagiere ich mich an meiner Universität in den Bereichen „Nutzfahrzeugtechnik“, „Baustelle der Zukunft“ sowie „Region und Stadt“. In der Fraunhofer-Gesellschaft bin Mitglied des Sprecherteams des Strategischen Forschungsfelds „Intelligente Medizin“. 

Intelligente Medizin: Was können wir uns darunter vorstellen?
Aktuell entwickeln wir zusammen mit mehreren Fraunhofer-Instituten automatisierte Produktionstechnologien für neuartige Impfstoffe und Zelltherapien auf mRNA-Basis. Wir nutzen dabei Lösungen, die im Kontext unserer Forschung zu Industrie 4.0 entstanden sind, um künftig hochwirksame und bezahlbare individualisierte Arzneimittel herstellen zu können. Eine durchaus intelligente und sinnvolle Idee, wie ich finde.

Labor im Innsbrucker Institut für Quantenoptik und Quanteninformation © IQOQI/M.R.Knabl

© Fraunhofer IESE

Hauptgebäude des Fraunhofer IESE in Kaiserslautern.

Seit einigen Monaten sind Sie Mitglied des GDNÄ-Vorstandsrats. Was hat Sie motiviert, die Wahl in dieses Ehrenamt anzunehmen?
Zum einen die Interdisziplinarität der GDNÄ, die sehr gut zu meiner beruflichen Laufbahn passt. Mein Diplom in Elektrotechnik habe ich 1988 mit dem Schwerpunkt Datentechnik gemacht. Die Kombination von Informatik und Ingenieurwissenschaften zieht sich durch meinen Lebenslauf. In der GDNÄ möchte ich diese Fächer voranbringen und gleichzeitig ihre interdisziplinäre Verknüpfung fördern. Zum Beispiel durch neue Brückenschläge zur Deutschen Physikalischen Gesellschaft oder zur Gesellschaft für Informatik. Interessante Bezugspunkte gibt es auch zwischen Ingenieurwissenschaften, Informatik und Medizin, etwa auf dem Gebiet der RNA-Therapien. Ich sehe die GDNÄ als Kristallisationskern vielversprechender Kooperationen.  

Könnte das ein Argument für den akademischen Nachwuchs sein, sich stärker in der GDNÄ zu engagieren?
Davon bin ich überzeugt. Die jungen Leute wissen, wie wichtig fachübergreifende Zusammenarbeit für echte Durchbrüche ist. Ganz wichtig ist dabei die Verwurzelung im eigenen Fach – darauf hinzuweisen ist mir ein Anliegen. Denn nur wer sich auf seinem Gebiet gut auskennt, kann in interdisziplinären Teams erfolgreich sein.

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© Fraunhofer IESE

Prof. Dr. Peter Liggesmeyer

Zur Person

Seit 2004 leitet Prof. Dr.-Ing. habil. Peter Liggesmeyer das Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering IESE in Kaiserslautern; im gleichen Jahr übernahm er auch den Lehrstuhl für Software Engineering am Fachbereich Informatik der Technischen Universität Kaiserslautern. Von 2014 bis 2017 war er Präsident der Gesellschaft für Informatik.

Nach einem Studium der Elektrotechnik mit Schwerpunkt Datentechnik an der Universität Paderborn promovierte Liggesmeyer 1992 an der Ruhr-Universität Bochum (RUB). Von 1993 bis 2000 baute er in der Zentralabteilung Forschung und Entwicklung der Siemens AG ein Fachzentrum im Bereich Sicherheitsanalyse und Risikomanagement auf. Parallel dazu nahm Peter Liggesmeyer Lehraufträge am an der der TU München, der TU Ilmenau, der FSU Jena und der RUB wahr. Dort habilitierte er sich im Jahr 2000 zum Thema „Qualitätssicherung softwareintensiver technischer Systeme“. Von 2000 bis 2004 war er Professor für Softwaretechnik und Qualitätsmanagement am Hasso-Plattner-Institut (HPI) an der Universität Potsdam. Peter Liggesmeyer erhielt mehrere wissenschaftliche Auszeichnungen, ist Mitherausgeber etlicher Fachzeitschriften und Autor zahlreicher Fachartikel und Fachbücher, darunter das Standardwerk „Software-Qualität“. Zudem berät er führende Unternehmen und Organisationen und ist Wissenschaftlicher Sprecher des Forschungsbeirats Industrie 4.0. Im Herbst 2022 wurde er als Fachvertreter Mathematik/Informatik in den Vorstandsrat der GDNÄ gewählt.

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Heike Rauer: Auf der Suche nach einer zweiten Erde

Auf der Suche nach einer zweiten Erde

Heike Rauer, Direktorin des Instituts für Planetenforschung am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Berlin-Adlershof, über ein neues Weltraumteleskop und ihre Arbeit mit jungen Leuten.

Frau Professorin Rauer, in Ihrem Vortrag bei der 200-Jahr-Feier der GDNÄ ging es um die alte Menschheitsfrage, ob Leben auch außerhalb der Erde möglich ist. Seither sind einige Monate vergangen. Sind Sie der Antwort ein wenig näher gerückt?
Ich denke ja. Wir kommen gut voran mit den Arbeiten am Weltraumteleskop PLATO, das Ende 2026 starten soll und erdähnliche Planeten in der Milchstraße aufspüren kann. Von PLATO erhoffen wir uns bahnbrechende Erkenntnisse, die uns helfen, solche Fragen zu beantworten.

Sie gehören zum Leitungsteam von PLATO. Wie können wir uns dieses Projekt vorstellen?
Es handelt sich um ein 2014 ins Leben gerufenes wissenschaftliches Großvorhaben der europäischen Raumfahrtagentur ESA, an dem mehr als hundert Forschungseinrichtungen und die Raumfahrtindustrie mitwirken. Das Akronym PLATO steht für PLAnetary Transits and Oscillations of stars, auf Deutsch: Planetarische Transite und Schwingungen von Sternen. Diese Mission wird uns helfen abzuschätzen, wie viele erdähnliche Planeten es überhaupt gibt. Die Atmosphären entdeckter Planeten können wir dann mit großen Teleskopen wie dem James-Webb-Space-Teleskop und dessen Nachfolgeprojekten untersuchen. Aus 1,5 Millionen Kilometer Entfernung von der Erde wird PLATO Sternsysteme in der Milchstraße untersuchen. Es zeichnet die kurzen Verdunkelungen auf, die entstehen, wenn Planeten in den Raum zwischen dem Stern, den sie umrunden, und dem Teleskop geraten. Darüber hinaus misst PLATO die seismischen Schwingungen der Sterne selbst. Sobald wir diese Daten gesammelt betrachten, können wir nicht nur auf Masse und Radius der Planeten schließen, sondern auch ihr Alter bestimmen – und zwar wesentlich genauer, als dies bisher möglich ist.

Um wie viele Planeten geht es dabei?
Bekannt sind heute mehr als fünftausend Planeten außerhalb unseres Sonnensystems, sogenannte Exoplaneten. Das nächste Planetensystem, Proxima Centauri, ist 4,24 Lichtjahre entfernt. Die am weitesten entfernten bekannten Exoplaneten sind 22.000 Lichtjahre von uns entfernt. Eine Reise zu diesen Planeten würde mit heutiger Technik Tausende bis Millionen Jahre dauern und wäre daher völlig ausgeschlossen. Aber mit Weltraumteleskopen wie PLATO können wir wichtige Informationen über sie gewinnen. Dabei geht es uns vor allem um die exakte Bestimmung der mittleren Dichte von Planeten. Bislang ist das nur bei einigen Hundert Planeten gelungen – und keiner davon ist ähnelt dem Erde-Sonne System.

Was interessiert Sie dabei besonders?
Unser großes Ziel ist es ja, Planeten zu finden, die habitabel sind, die also über Voraussetzungen verfügen, unter denen Leben entstehen könnte. Da wir nicht wirklich wissen, wie Leben entsteht, haben wir sehr viele Faktoren im Blick. Direkt beobachten können wir die gesuchten Biosignaturen, also Anzeichen für Leben, nicht – dafür sind Exoplaneten viel zu weit von uns entfernt. Also suchen wir nach indirekten Spuren. Unser heutiges Leben auf der Erde hängt von einem hohen Gehalt an Sauerstoff in der Atmosphäre und von Wasser ab. Daher suchen wir nach Planeten mit Oberflächen, auf denen es dauerhaft flüssiges Wasser und dementsprechend moderate Temperaturen gibt, sowie eine nicht zu dichte und nicht zu dünne Atmosphäre.

Sind das Hauptkriterien für erdähnliche Planeten?
Ja. Auch ein Zentralstern, der sonnenähnlich ist, gehört zu diesen Kriterien. Allerdings wollen wir nicht ausschließen, dass Leben auch in anderen Konstellationen möglich ist. Mit zunehmender Entfernung von der Erde als einzigem uns bekanntem Beispiel, wird es jedoch immer schwieriger, den Indizienbeweis für die Existenz von Leben zu führen. Deshalb rücken wir zunächst erdähnliche Planeten in den Fokus. Parallel dazu suchen wir aber weiter nach Exoplaneten mit einem großen Spektrum von Eigenschaften, um zu verstehen, welche Typen von Planeten es überhaupt gibt und um im nächsten Schritt deren Bewohnbarkeit zu untersuchen.

Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI). © IQOQI/M.R.Knabl

© OHB-System-AG

Das Weltraumteleskop PLATO (hier eine künstlerische Darstellung) soll Ende 2026 vom Weltraumbahnhof Kourou starten.

Haben Sie schon erste Eindrücke?
Unter den bekannten fünftausend extrasolaren Planeten gibt es Planetentypen, die in unserem Sonnensystem nicht vorkommen. Überhaupt ist die Vielfalt der Planeten weitaus größer als wir lange angenommen haben. Dies wirft neue Fragen auf nach ihrer Entstehung und Bewohnbarkeit auf. Leider reichen unsere Instrumente bisher nicht aus, um einen erdähnlichen Planeten um einen Stern wie die Sonne detektieren zu können. Dieser wäre aber ein idealer Kandidat für die Suche nach Leben. Wir können also unser Planetensystem noch nicht direkt mit anderen Systemen vergleichen. Ein erster Schritt das zu ändern, ist die Satellitenmission PLATO. Die Atmosphären der mit PLATO gefundenen Exoplaneten können wir dann mit großen Teleskopen wie dem James-Webb-Space-Teleskop und dessen Nachfolgeprojekten untersuchen.

In PLATO arbeiten mehr als achthundert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus aller Welt zusammen. Wie funktioniert die Zusammenarbeit?
Mehrere Konsortien, von denen jedes einzelne aus vielen Partnern bestehen kann, stehen in engem Austausch miteinander. Die Leitung der Gesamtmission von PLATO obliegt der ESA, die auch die Startrakete, das Bodensegment des Satelliten sowie Beiträge zur Payload stellt. Der Satellitenbus, der das Instrument trägt, wird im Auftrag der ESA von einem internationalen Industriekonsortium gefertigt. Das internationale Payload-Konsortium aus wissenschaftlichen Instituten baut, ebenfalls gemeinsam mit der Raumfahrtindustrie, den größten Teil des Instruments aus 26 Kameras mit dazugehöriger Elektronik, Bordcomputern und Stromversorgungseinheiten. Das Payload-Konsortium stellt das Datenzentrum zur wissenschaftlichen Prozessierung der Daten und organisiert die bodengebundenen Nachfolgebeobachtungen an Teleskopen, die mit Hilfe der sogenannten Radialgeschwindigkeitsmethode den Großteil der entdeckten Planeten bestimmen werden. Wichtig für das Gelingen eines solches Großprojektes ist also das gute Ineinandergreifen der verschiedenen Aktivitäten und der beteiligten Konsortien und Organisationen.

Wann rechnen Sie mit ersten Ergebnissen?
PLATO soll Mitte Dezember 2026 starten. Es folgt eine Phase, in der die Funktionalität getestet wird. Gleich im Anschluss beginnt die Beobachtung des ersten Zielfeldes. Wenn alles gut läuft, können wir Ende 2027, Anfang 2028 mit den ersten Datensätzen rechnen. Sie werden es erlauben, kurzperiodische Planeten zu charakterisieren. Um Planeten mit langer Umlaufzeit zu entdecken, ist jedoch mehr Zeit erforderlich.

Werden Sie das Projekt dann noch leiten?
Missionen wie die PLATO-Mission sind sehr langfristige Projekte. PLATO wurde erstmals 2009 vorgeschlagen und geht auf Ideen aus noch früheren Projekten zurück. Bei solchen Projekten muss man generationenübergreifend denken. Ich selbst werde um den Start der Mission herum in Pension gehen und freue mich, das Projekt bis zur ersten Datenaufnahme bringen zu dürfen. Schon jetzt besteht eine Aufgabe von mir gemeinsam mit den Kollegen, die PLATO auf den Weg gebracht haben darin, die nächste Generation von jungen Wissenschaftlern an diese und nachfolgende Missionen heranzuführen.

Labor im Innsbrucker Institut für Quantenoptik und Quanteninformation © IQOQI/M.R.Knabl

© ESA

Eine von 26 Kameras der PLATO-Mission.

Wie sind Sie auf dieses Forschungsgebiet gekommen?
Ich habe früher Kometen erforscht, die uns viel über die Entstehung unseres Sonnensystems sagen können. Als dann Mitte der 1990er-Jahre die ersten extrasolaren Planeten entdeckt wurden, schwenkte ich zu dieser Forschungsrichtung um. Jetzt können wir unser Sonnensystem erstmals direkt mit anderen Systemen vergleichen und dabei viel über die Prozesse zu lernen, die unser System beeinflusst haben. Und natürlich finde auch ich es faszinierend, nach Leben jenseits der Erde zu suchen.

Bei der Leipziger Jubiläumstagung der GDNÄ zogen Sie mit Ihrem Vortrag über extrasolare Planeten das Publikum in Ihren Bann. Was bedeuten Ihnen solche Auftritte?
Ich merke bei öffentlichen Vorträgen immer wieder, wie sehr das Publikum sich für unsere Arbeit interessiert. Man will eben wissen, wie Planeten entstehen, wie sich Leben bildet und ob es auch um andere Sterne Planeten mit Leben gibt. Heute können wir erstmals mit wissenschaftlichen Methoden Antworten auf diese Fragen finden – und über diese Arbeit berichte ich der interessierten Öffentlichkeit ausgesprochen gern.

In Leipzig haben Sie das Schülerprogramm der GDNÄ kennengelernt. Ihr Forschungszentrum, das DLR, betreibt Schülerlabore, in denen auch Sie sich engagieren. Um was geht es in der Arbeit mit jungen Leuten?
Ich finde es wichtig, den Jugendlichen zu zeigen, was Forschung wirklich ausmacht, und will sie zum Weiterdenken anregen. Die Astronomie eignet sich dafür meiner Erfahrung nach besonders gut, denn sie beschäftigt sich mit den großen Fragen nach dem Woher und Wohin, was gerade junge Leute sehr anspricht. Oft können wir sie motivieren, auch schwierige Studiengänge in den Natur- und Ingenieurwissenschaften anzugehen und bis zum Abschluss durchzuhalten.

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© DLR

Prof. Dr. Heike Rauer leitet das DLR-Institut für Planetenforschung und koordiniert die Exoplaneten-Mission PLATO.

Zur Person

Seit 2017 leitet Professorin Heike Rauer das Berliner Institut für Planetenforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) mit mehr als hundert Mitarbeitern. Die Physikerin ist gleichzeitig Professorin an der Freien Universität Berlin im Fachbereich Geowissenschaften, Fachrichtung Planetare Geophysik. Rauer forscht bereits seit 1997 am DLR-Institut für Planetenforschung und leitete dort über viele Jahre die Abteilung „Extrasolare Planeten und Atmosphären“. Davor, von 1995 bis 1997, war sie Forschungsstipendiatin der Europäischen Weltraumorganisation ESA am Observatoire de Paris-Meudon. 2004 hatte Rauer sich an der Technischen Universität Berlin habilitiert und lehrte dort als Professorin für Planetenphysik am Zentrum für Astronomie und Astrophysik. 1991 wurde sie mit einer Forschungsarbeit zu Plasmaschweifen von Kometen an der Universität in Göttingen promoviert. Heike Rauer erwarb ihr Diplom in Physik 1986 an der Leibniz-Universität in Hannover. Seit 2013 leitet sie das Instrumentenkonsortium für das ESA-Weltraumteleskop PLATO, das von 2026 an in der Milchstraße nach Planeten suchen wird. Zudem ist sie Mitglied des Wissenschaftsteams des „Next Generation Transit Survey“ am Paranal-Observatorium der Europäischen Südsternwarte ESO in Chile sowie Koordinatorin des DFG-Schwerpunktprogramms „Exploring the Diversity of Extrasolar Planets“.

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Ernst-Ludwig Winnacker: Die Kooperation mit China ist unverzichtbar

„Die Kooperation mit China ist unverzichtbar“

Forschung in der Zeitenwende: Warum der langjährige Wissenschaftsmanager Ernst-Ludwig Winnacker zu behutsamer Kontinuität rät und wo er neue Potenziale sieht. 

Herr Professor Winnacker, über Jahrzehnte haben Sie sich für die Internationalisierung der deutschen Wissenschaft eingesetzt. Was hat Sie dazu bewogen und was wurde erreicht?
Wissenschaft kennt keine Grenzen und sie gedeiht kaum in intellektueller Isolation. Eines der letzten Universalgenies, Gottfried Wilhelm Leibniz, ist dafür ein gutes Beispiel: Er gab sich nicht zufrieden mit Diskussionen im heimischen Hannover, sondern suchte zeitlebens den Wettbewerb mit europäischen Peers – etwa mit Christiaan Huygens in Amsterdam und Isaac Newton in London. Derart vernetzt zu arbeiten, ist heute unverzichtbar. Bei meinem Amtsantritt als DFG-Präsident habe ich die Internationalisierung daher zu einem Schwerpunkt gemacht. Wir haben dann nicht nur internationale Graduiertenkollegs gegründet, sondern auch Büros in wichtigen Partnerländern wie den USA, in Russland, China, Japan und Indien. Darüber hinaus habe ich als Vorsitzender der EUROHORCS, also der European Union Research Organisations Heads Of Research Councils, den Aufbau eines transnationalen, europäischen Forschungsrates nach dem Muster der DFG vorbereitet. Der European Research Council, kurz ERC, nahm 2007 die Arbeit auf und ich konnte als erster Generalsekretär zum Zusammenwachsen in der Forschung beitragen. 

Heute haben wir einen Krieg in Europa, die Feindseligkeiten zwischen den Großmächten nehmen zu, die unaufhaltsam scheinende Internationalisierung stockt. Erleben wir das Ende eines goldenen Zeitalters, auch in der Wissenschaft?
Die Nachkriegszeit bis in die frühen Nullerjahre des 21. Jahrhunderts könnte man vielleicht als ein goldenes Zeitalter der Wissenschaft bezeichnen. Aber mit zunehmenden Restriktionen in etlichen Ländern ist es damit vorbei. So hat die Schweiz im Jahre 2014 Einwanderung und Personenfreizügigkeit begrenzt und damit ihre bilateralen Verträge mit der EU gebrochen. Für den ERC ist das Land daher nur ein Partner unter vielen. Im Jahr 2020 folgte der Brexit, der das Vereinigte Königreich für den ERC zum nichtassoziierten Drittland machte. Die Zahl der britischen und schweizerischen Staatsangehörigen in EU-Programmen ist in den vergangenen Jahren drastisch gesunken. Für die europäische Forschung ist das ein herber Verlust, denn sowohl die Schweiz als auch Großbritannien verfügen über hervorragende Universitäten und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen. Gerade auch für Deutschland waren sie jahrzehntelang wichtige Partner. 

Als DFG-Präsident eröffneten Sie im Jahr 2000 zusammen mit der chinesischen Partnerorganisation das Chinesisch-Deutsche-Wissenschaftszentrum in Peking. Es sollte die Zusammenarbeit beider Länder in Forschung und Lehre stärken. Was ist daraus geworden?
In der Tat haben wir damals ein gemeinsames Gebäude mit der National Natural Science Foundation of China, kurz NSFC, in unmittelbarer Nachbarschaft zu deren Hauptgebäude in Peking gebaut. Das Zentrum gibt es bis heute. Inzwischen ist die Zusammenarbeit mit China viel schwieriger als damals. Seinerzeit galt China als Entwicklungsland. Heute ist es zum strategischen Wettbewerber geworden. Dennoch: Das Chinesisch-Deutsche Zentrum ist eine Erfolgsgeschichte und ich bin stolz darauf. Das Zentrum hat uns intensive wissenschaftliche Kontakte und Kooperationen in diesem riesigen Land gebracht, das nach seiner Einwohnerzahl rund zehn Mal größer als Russland ist und enorme wissenschaftliche Potenziale birgt. 

Eine kürzlich erschienene Studie der Hoover Institution an der Stanford-Universität kritisiert die enge Zusammenarbeit. Ihr Autor, Jeffrey Stoff, zitiert Hunderte von Publikationen, an denen deutsche und chinesische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beteiligt sind. Wie bewerten Sie die Studie?
Erfreulicherweise sind im Laufe der Jahre viele gemeinsame Publikationen entstanden, wovon die meisten von der DFG und der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) gefördert wurden. Unsere beiden Wissenschaftsorganisationen hatten sich in den 1990er-Jahren die akademische Welt Chinas aufgeteilt: Die MPG arbeitete hauptsächlich mit der chinesischen Wissenschaftsakademie CAS zusammen, die DFG mit der NSFC, beziehungsweise mit den einzelnen Universitäten. Diese Art der Zusammenarbeit begrüßten die Amerikaner noch bis weit in die Nullerjahre hinein. Mehr noch: Sie nahmen sich uns sogar zum Vorbild. Ich erinnere mich an einen gemeinsamen Auftritt mit Professor Arden Bement, dem ehemaligen Chef der DFG-Partnerorganisation in den USA, der National Science Foundation, als diese 2006 ihr eigenes Zentrum in Peking eröffnete. Heute sieht man in den USA die Zusammenarbeit mit China sehr viel kritischer. Daher ist es wohl kein Zufall, dass die deutsch-chinesische Zusammenarbeit in der Wissenschaft jetzt in Stanford derart aufs Korn genommen wird. 

Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger rief im Frühjahr 2022 zur Achtsamkeit in Wissenschaftskooperationen mit China auf. Ein berechtigter Appell?
Ja und nein. Manche Fragen, etwa im IT- und KI-Bereich, lassen sich auf nationaler Ebene lösen. Andere Themen, beispielsweise im Bereich Klimaschutz oder in der Meeresforschung, bedürfen intensiver, internationaler Zusammenarbeit – auch mit China. Weil die Ergebnisse vieler dieser Projekte finanzielle Konsequenzen haben oder von militärischem Nutzen sein können, gilt es genau zu prüfen, wer mit wem wo zusammenarbeitet und wie die Ergebnisse kommuniziert werden. Einfach ist die Situation sicherlich nicht. So spielt bei uns die grundgesetzlich garantierte Forschungsfreiheit eine zentrale Rolle, in China ist das nicht der Fall. Und wenn Staatschef Xi Jinping dieser Tage die Fusion von ziviler und militärischer Forschung fordert, dann muss uns das nachdenklich stimmen. Eindeutige Dual-Use-Projekte, deren Ergebnisse also sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können, sollten aus meiner Sicht ohne Beteiligung chinesischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stattfinden. Die Leopoldina hat zusammen mit der DFG zum Thema Dual Use kluge Empfehlungen verabschiedet. Sie sollten es erleichtern, hier das richtige Augenmaß zu finden. 

In Deutschland studieren rund vierzigtausend Chinesinnen und Chinesen und viele von ihnen fertigen hier ihre Master- und Doktorarbeiten an. Ein Sicherheitsrisiko?
Möglicherweise ja. Aber wie soll man das überprüfen? Eine Kontrolle durch eine zentrale Stelle wäre wohl kaum praktikabel. Für sinnvoller halte ich es, die Arbeiten einzeln auf ihren gegebenenfalls sensiblen Charakter zu überprüfen. Die Verantwortung dafür sollte in der Hand der Projektleitungen oder der Prüfungskommissionen liegen. 

Seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine wurden die Forschungsprojekte mit Russland auf Eis gelegt oder beendet. Welche Zukunft haben die traditionsreichen deutsch-russischen Wissenschaftsbeziehungen?
Solange Russland diesen Krieg führt, können institutionelle Kooperationen nicht mehr stattfinden. Die Bundesregierung hat hier ihr „Roma locuta – causa finita“ beschlossen Das finde ich richtig und angemessen. 

Institutionelle Kooperationen sind das eine, persönliche Kontakte zu Kolleginnen und Kollegen in Russland und China das andere. Deutsche Wissenschaftler pflegen solche Verbindungen seit vielen Jahren. Was davon ist heute noch begrüßenswert, was akzeptabel und was geht zu weit?
Was Russland angeht, halte ich private wissenschaftliche Kontakte derzeit für kaum verantwortbar, denn sie können dortige Forscherinnen und Forscher gefährden. Falls solche Verbindungen jedoch aufrechterhalten werden, müssen die institutionellen Träger darüber informiert werden. Transparenz ist hier das A und O. China führt derzeit keinen Krieg gegen einen Nachbarn. Wir sollten aber, wie schon beschrieben, genau hinzuschauen und manche Projekte nicht finanzieren. Dennoch halte ich die wissenschaftliche Zusammenarbeit gerade mit China für wünschenswert, wenn nicht sogar für unverzichtbar. Schließlich besitzt das Land hervorragende Universitäten und Forschungsorganisationen. Im neuesten Times Higher Education-Ranking für 2023 rangieren Tsinghua und Peking an den Plätzen 16 und 17, die besten deutschen Universitäten, die beiden Münchener Unis, folgen erst auf den Plätzen 30 und 33. 

Welche Zukunft sehen Sie für die großen internationalen Programme in Raumfahrt, Umwelt- und Energieforschung? Denken wir etwa an die ISS, an Klimaforschung und physikalische Grundlagenforschung.
Die Programme sollten weitergehen, sofern die Sanktionen das erlauben. Aber die ständige Erörterung von Meinungsverschiedenheiten, etwa zum Umgang mit Minderheiten wie den Uiguren, muss Teil unseres wissenschaftlichen Profils sein. Da dürfen wir im Umgang mit der chinesischen oder der russischen Seite keine Ruhe geben.  

Wie beurteilen Sie die deutsche Außenwissenschaftspolitik als Mittel der Diplomatie?
Außenwissenschaftspolitik entsteht immer dann, wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler internationale Kontakte pflegen. Diese spiegeln dann nicht nur die Qualität der jeweiligen Projekte und Personen wider, sondern zeugen auch von der Bedeutung der Wissenschaftssysteme und Institutionen, aus denen sie stammen. Oft finden solche Kontakte unterhalb der Radarschirme offizieller Einrichtungen statt und gelegentlich werden sie genutzt, wenn eine Zusammenarbeit nicht gleich offiziellen Charakter haben soll. Außenwissenschaftspolitik war immer wieder ein großes Thema, beispielsweise als es seinerzeit um die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Israel ging.  Drei Wissenschaftler, Otto Hahn, Werner Heisenberg und Feodor Lynen, die das Vertrauen von Chaim Weizmann genossen, reisten in den 1950er-Jahren nach Israel, um Wege zu einem Treffen von Ben Gurion und Konrad Adenauer zu bahnen. Ob es derzeit Wissenschaftler gibt, deren Ansehen groß genug ist, um zusammen mit russischen Kollegen die russische Regierung zu beeinflussen, wage ich zu bezweifeln. In Sachen Außenwissenschaftspolitik gibt es ein sehr schönes Buch mit dem Titel „Wettlauf ums Wissen“, herausgegeben von Georg Schütte und erschienen im Jahr 2008. Vielleicht sollte man jetzt, nach der proklamierten Zeitenwende, eine Neuauflage dieses Buchs beziehungsweise einer Konferenz zu diesem Thema erwägen. 

Welchen Weltregionen sollte Deutschland sich in der Wissenschaft künftig stärker zuwenden? Wo schlummern Potenziale?
In Japan, Südkorea, Taiwan, Singapur, Thailand, Indien, Brasilien, Argentinien und Chile. Das kleine Singapur hat mindestens zwei bedeutende Universitäten, auf deren Basis der Stadtstaat Mitglied im Human Frontier Science Program (HFSP) werden konnte. Ähnliches gilt für Japan und Südkorea. Japan war Ende der 1990-er Jahre Initiator dieses Programms, das bis heute existiert und jährlich an die 55 Millionen US-Dollar für Spitzenwissenschaft ausgibt. Seinerzeit hatte Japan keinen besonders guten Ruf in der Wissenschaft, was sich inzwischen grundlegend geändert hat. Bei Taiwan denkt man an die National Taiwan University (NTU), aber auch an die Academia Sinica und den Chemie-Nobelpreisträger Yuan T. Lee, der bis 2006 Präsident der Academia Sinica war. Ich habe ihn oft in Lindau getroffen, und einmal auch in Taipeh in der Akademie besucht. Eine stärkere wissenschaftliche Zusammenarbeit mit Taiwan lohnt sich auf jeden Fall. Mit Indien pflegt die DFG seit Jahrzehnten intensive wissenschaftliche Beziehungen, insbesondere mit den diversen Indian Institutes of Technology (IITs), aber auch mit der INSA, der indischen Akademie der Wissenschaften, und dem International Center of Genetic Engineering and Biotechnology (ICGEB) mit seinen beiden Zweigstellen in Triest und in Delhi. Während meiner Präsidentschaft wurde sogar ein DFG-Büro in Delhi eingerichtet. Die Kooperation mit Ländern in Südamerika hat eine lange Tradition und eine vielversprechende Zukunft, etwa beim Betrieb von Großteleskopen, in Umweltwissenschaften und biomedizinischer Forschung. 

Welche Rolle kann die GDNÄ als deutschsprachige Wissenschaftsgesellschaft in der modernen Wissenschaftswelt spielen?
Die GDNÄ muss als glaubhafte Vermittlerin von Wissenschaft tätig sein, heute mehr denn je. Vielleicht sollte sie sich zu diesem Zweck stärker mit anderen Akteuren zusammentun, beispielsweise mit der Leopoldina. Ein guter Ansatzpunkt wäre das Engagement für Schülerinnen und Schüler. In diesem Bereich hat die GDNÄ in den vergangenen Jahren Beeindruckendes geleistet.

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© Michael Till / LMU

Prof. Dr. Ernst-Ludwig Winnacker, GDNÄ-Präsident in den Jahren 1999 und 2000.

Zur Person

Ernst-Ludwig Winnacker kam 1941 in Frankfurt/Main zur Welt. Er studierte Chemie an der ETH Zürich und wurde dort 1968 promoviert. Es folgten Postdoktorate an der University of California, Berkeley, von 1968 bis 1970 und am Karolinska-Institut in Stockholm (1970–1972). 1980 wurde Winnacker zum Professor für Biochemie an der Ludwig-Maximilians-Universität München ernannt; 1984 übernahm er die die Leitung des Laboratoriums für Molekulare Biologie – Genzentrum der Universität München. Von 1987 bis 1993 war Ernst-Ludwig Winnacker Vizepräsident und von 1998 bis 2006 Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Während dieser Zeit, von 1999 bis 2000, war er Präsident der GDNÄ. Von 2007 bis 2009 fungierte er als Erster Generalsekretär des European Research Council in Brüssel und von 2009 bis 2015 als Generalsekretär des Human Frontier Science Program in Straßburg. Er ist Mitglied mehrerer wissenschaftlicher Akademien, darunter der Leopoldina und der National Academy of Medicine der USA und hat zahlreiche Ehrungen erhalten, darunter das Große Verdienstkreuz mit Stern der Bundesrepublik Deutschland, den Order of the Rising Sun, Gold and Silver Star des Kaiserreichs Japan und den International Science and Technology Cooperation Award der Volksrepublik China. Winnacker ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Veröffentlichungen. Dazu zählen neben dem Lehrbuch „Gene und Klone. Eine Einführung in die Gentechnologie“ (1984) die Sachbücher „Das Genom“, (1996), „Viren, die heimlichen Herrscher“ (1999) und „Mein Leben mit Viren“ (2021).

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Anke Kaysser-Pyzalla: Ein Nährboden für neue Ideen

„Ein Nährboden für neue Ideen“

Sie ist Chefin des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt und neu im Präsidium der GDNÄ: Was sie antreibt, was sie vorhat, skizziert die Ingenieurin Anke Kaysser-Pyzalla in diesem Gespräch.  

Frau Professorin Kaysser-Pyzalla, seit Anfang 2023 sind Sie Vizepräsidentin der GDNÄ. Haben Sie schon Pläne für das neue Amt?
Ja die habe ich und dabei sind mir zwei Bereiche besonders wichtig: zum einen die Nachwuchsgewinnung für Berufe im thematischen Spektrum der GDNÄ, zum anderen die interdisziplinäre Herangehensweise an aktuelle Herausforderungen wie Klimawandel, Energieversorgung oder globale Gesundheit. In diesen Bereichen kann die GDNÄ viel bewirken. Sie strahlt Faszination und Begeisterung für die Naturwissenschaften aus, über die wir deutlich mehr Menschen für ein entsprechendes Studium gewinnen können. Ich denke dabei nicht nur an Schülerinnen und Schüler, sondern auch an Erwachsene mit Berufserfahrung, die sich ein Zweitstudium vorstellen können. Es gibt so viele interessante Karrierewege – in Forschung und Entwicklung, an den Hochschulen, in Großunternehmen, aber auch in kleinen und mittelständischen Firmen – das möchte ich stärker in den Fokus rücken. 

Thema Interdisziplinarität: Warum ist sie Ihnen so wichtig und welche Rolle kann die GDNÄ dabei spielen?
Wir werden die großen Menschheitsprobleme nur durch fachübergreifende Zusammenarbeit bewältigen können, das ist heute Konsens. Die GDNÄ, deren Markenzeichen die Interdisziplinariät ist, kann als Plattform für den Austausch unter Experten dienen, als Nährboden für neue Ideen und Ort des öffentlichen Dialogs. 

An Arbeitsmangel werden Sie als Vorstandsvorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt nicht leiden. Wie viel Zeit und Energie lässt das Hauptamt Ihnen für ehrenamtliche Tätigkeiten, etwa im GDNÄ-Vorstand?
Meine Tage sind tatsächlich durchgetaktet. Aber ich nehme mir Zeit für die GDNÄ, weil ich finde, dass Menschen in Positionen wie meiner sich auch für die Gesellschaft engagieren sollten. Außerdem habe ich wunderbare Kolleginnen und Kollegen im DLR und in der GDNÄ, die mich unterstützen.

Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI). © IQOQI/M.R.Knabl

© DLR (CC BY-NC-ND 3.0)

Ein am DLR entwickeltes Regionalflugzeug mit Brennstoffzellen-Antrieb im Probebetrieb. Mit 25 Instituten und Einrichtungen in der Luftfahrtforschung treibt das DLR den Wandel hin zu einer zukunftsfähigen, umweltverträglichen Luftfahrt voran.

Wie können wir uns Ihren beruflichen Alltag als DLR-Chefin vorstellen?
Die meiste Zeit verbringe ich mit Besprechungen und Konferenzen, die im Interesse von Nachhaltigkeit und Effizienz überwiegend online stattfinden. Intern ist die Organisationsentwicklung in Richtung moderner Arbeitsformen gerade ein großes Thema bei uns. Aber ich bin auch unterwegs, so an den Standorten des DLR, oder für persönliche Gespräche mit unseren Kooperationspartnern im In- und Ausland. 

Wer sind diese Partner?
Wir arbeiten mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in akademischer und industrieller Forschung zusammen, mit großen, mittelständischen und kleineren Unternehmen und mit der Bundeswehr. Im Ausland kooperieren wir eng mit Forschungseinrichtungen und Firmen in anderen europäischen Staaten, vor allem aus Frankreich, aber auch aus den USA, Australien, Singapur und Japan – um nur einige Länder zu nennen.    

China zählt nicht dazu?
Auf Grund der sich verändernden geopolitischen Lage und internationaler Spannungen hat das DLR die Kooperationen mit China konsequent reduziert, bestehende Formen der Zusammenarbeit laufen aus. 

Wo steht das DLR heute und wohin geht die Reise?
Mit mehr als zehntausend Mitarbeitenden, dreißig Standorten und mehr als fünfzig Instituten und Forschungseinrichtungen sind wir das größte Forschungszentrum im ingenieurwissenschaftlichen Bereich in Europa. Bei uns geht es um Luft- und Raumfahrt, Energieversorgung, Mobilität, aber auch um Sicherheits- und Verteidigungsforschung und Katastrophenhilfe. Wir arbeiten anwendungsorientiert und haben daher in unserer Forschung immer auch den Weg in Wirtschaft und Gesellschaft im Blick. Wir fliegen Satelliten, die nicht nur für die Erd- und Klimabeobachtung wichtig sind, sondern auch für die Navigation, etwa beim Zukunftsthema autonomes Fahren. Das DLR besitzt eine große Flugzeugflotte und forscht intensiv zum klimaverträglichen Fliegen.

Labor im Innsbrucker Institut für Quantenoptik und Quanteninformation © IQOQI/M.R.Knabl

© DLR

Bei der Entwicklung neuer unbemannter Flugkörper und ihrer Integration in den Luftraum ist in Deutschland das Nationale Erprobungszentrum für Unbemannte Luftfahrtsysteme des DLR die treibende Kraft.

Derzeit hat der Flugverkehr einen Anteil von 3,5 Prozent an den klimarelevanten Emissionen weltweit. Wie lässt sich die Belastung reduzieren?
Das hängt von den Passagierzahlen und den Flugdistanzen ab. Für Kleinflugzeuge kommen Batterien infrage. Für Kurz- und Mittelstrecken eignen sich wasserstoffbasierte Antriebe wie die Brennstoffzelle. Bei Langstrecken denken wir an Sustainable Aviation Fuels, kurz SAF, die nachhaltig aus nicht-fossilen Rohstoffen hergestellt werden. Zudem betrachten wir das Gesamtsystem Flugzeug, um auf dem Weg zum klimaverträglichen Fliegen alle technisch-technologischen Möglichkeiten nutzen zu können. Dazu gehören Änderungen im aerodynamischen Verhalten ebenso wie neue Flugzeugkonfigurationen oder die Planung und Umsetzung von klimaverträglichen Flugrouten.

Wann rechnen Sie mit ersten Anwendungen im regulären Flugbetrieb?
SAF werden bereits als Beimischungen zu herkömmlichen Treibstoffen genutzt. Aktuell versuchen wir in mehreren Projekten die in der Luftfahrt benötigten Mengen im industriellen Maßstab verfügbar machen.

Lassen Sie uns noch einmal auf die GDNÄ schauen: Nach dem Mediziner Martin Lohse hat jetzt mit Heribert Hofer ein Zoologe die GDNÄ-Präsidentschaft übernommen. Sie sind Materialwissenschaftlerin und Maschinenbauerin und werden 2025 im Amt folgen. Wird die GDNÄ der Zukunft technikwissenschaftlicher sein?
Sie wird interdisziplinär sein und es wird vielleicht noch mehr Synergien zwischen den einzelnen Fachgebieten geben. Das passt gut zur GDNÄ und gut zum DLR, das neben den Technikwissenschaften auch in den Naturwissenschaften aktiv ist: Denken wir nur an das Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln, wo Medizinerinnen und Mediziner sowie Psychologinnen und Psychologen biomedizinische Forschung auf höchstem Niveau betreiben.

Labor im Innsbrucker Institut für Quantenoptik und Quanteninformation © IQOQI/M.R.Knabl

© DLR

Die ESA-Kurzarmzentrifuge im :envihab des DLR-Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln. In der weltweit einmaligen Forschungsanlage werden die Auswirkungen von Umweltbedingungen wie der Schwerkraft auf grundlegende Mechanismen der menschlichen Gesundheit, der Lebensbedingungen und der Leistungsfähigkeit des Menschen untersucht. In der neuen Kurzarmzentrifuge können Probanden mit bis zu 4,5 Gramm am Fußende beschleunigt werden.

In ihrer 200-jährigen Geschichte hatte die GDNÄ bisher siebzig Präsidenten und nur zwei Präsidentinnen. Auch die Mitglieder sind überwiegend männlich. Steht Frauenförderung auf Ihrer Agenda?
Ja, das ist ein ganz wichtiges Zukunftsthema. In der Medizin ist der Nachwuchs schon zum größten Teil weiblich, in den Natur- und Ingenieurwissenschaften gibt es Nachholbedarf. Da müssen wir stärker zeigen, wie viel Spaß diese Berufe machen und uns noch mehr um die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit kümmern.

Das Schülerprogramm hat sich zu einem starken Pfeiler in der GDNÄ entwickelt wie etwa die Jubiläumsfeier 2022 in Leipzig zeigte. Welchen Stellenwert hat dieses Programm für Sie und haben Sie schon Ideen für die Nachwuchsförderung?
Das Schülerprogramm ist eine tolle Sache und ganz wichtig für die GDNÄ. Beim DLR haben wir gut funktionierende Schülerlabore, da lassen sich womöglich Synergien schaffen. Auch den Schülerinnen und Schülern möchte ich zeigen, wie attraktiv Berufe in Medizin, Natur- und Technikwissenschaften sind. Vielleicht gelingt es uns, Patenschaften zwischen etablierten Wissenschaftlern und jungen Leuten und eine Plattform mit Materialien für den naturwissenschaftlichen Unterricht aufzubauen. Bestimmt haben die Mitglieder der GDNÄ weitere gute Ideen – die sollten wir sammeln und auswerten.

Labor im Innsbrucker Institut für Quantenoptik und Quanteninformation © IQOQI/M.R.Knabl

© DLR

DLR-Schülerlabor: Experimente auf der Bühne gaben bei der Einweihung Ende September 2022 einen Vorgeschmack auf die neuen Möglichkeiten, die das DLR_School_Lab Jena jungen Leuten bietet.

Der Austausch mit der Öffentlichkeit ist ein starkes Anliegen der GDNÄ. Wie beurteilen Sie das bisherige Engagement? Wollen Sie den Dialog vertiefen?
Die GDNÄ wird in der Öffentlichkeit geschätzt und hat sich große Verdienste im Dialog mit der Gesellschaft erworben. Diese Arbeit möchte ich fortsetzen. Als Wissenschaftler haben wir die Pflicht, unser Wissen in die öffentliche Diskussion einzubringen. Wichtig ist, dass man sich auf Zahlen und Fakten, etwa auf die Geltung naturwissenschaftlicher Gesetze, einigen kann. Darauf müssen wir Wissenschaftler verstärkt hinwirken. 

Zum Schluss noch eine persönlichere Frage: Wie sind Sie zur GDNÄ gekommen und was bedeutet sie Ihnen?
Ich bin durch andere Mitglieder und ihre begeisterten Schilderungen zur GDNÄ gekommen. Mir imponiert ihre große Tradition und ihre Offenheit für Zukunftsthemen. Dafür setze ich mich gern ein.

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© DLR

Prof. Dr.-Ing. Anke Kaysser-Pyzalla

Zur Person

Prof. Dr. Anke Kaysser-Pyzalla hat in Bochum und Darmstadt Maschinenbau und Mechanik studiert. Sie wurde an der Ruhr-Universität Bochum promoviert und habilitierte sich auch dort. Nach Forschungstätigkeiten am Hahn-Meitner-Institut (HMI) und an der Technischen Universität Berlin forschte und lehrte sie von 2003 bis 2005 an der Technischen Universität Wien. 2005 wechselte sie als Wissenschaftliches Mitglied, Direktorin und Geschäftsführerin in die Leitung des Max-Planck-Instituts für Eisenforschung GmbH nach Düsseldorf. 2008 folgte die Berufung zur Wissenschaftlichen Geschäftsführerin der Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie GmbH, die unter ihrer Leitung aus der Fusion von HMI und der Berliner Elektronenspeicherring-Gesellschaft für Synchrotronstrahlung (BESSY) hervorging. 2017 wurde Anke Kaysser-Pyzalla zur Präsidentin der Technischen Universität Braunschweig gewählt. Seit 2020 ist sie Vorstandsvorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und seit dem 1. Januar 2023 zweite Vizepräsidentin der GDNÄ.

Labor im Innsbrucker Institut für Quantenoptik und Quanteninformation © IQOQI/M.R.Knabl

© DLR

Un­be­mann­ter DLR For­schungs­hub­schrau­ber su­per­AR­TIS mit Ab­wur­fein­rich­tung für Hilfs­gü­ter.

Weitere Informationen:

Rainer Blatt: Die Quantentechnologie entwickelt sich stürmisch

„Die Quantentechnologie entwickelt sich stürmisch“

Für seine Leistungen auf dem Gebiet der Quantenphysik erhält Anton Zeilinger den Physiknobelpreis 2022. Wie Österreich zu einem Hotspot dieser Forschungsrichtung wurde und wie man jetzt in Deutschland aufholen will, schildert in diesem Interview Professor Rainer Blatt. Er ist vielen GDNÄ-Mitgliedern durch seine Vorträge und Publikationen bekannt und arbeitet seit Langem eng mit Anton Zeilinger zusammen. 

Herr Professor Blatt, wie viele Interviews haben Sie seit Anfang Oktober gegeben?
Es werden fünf oder sechs gewesen sein. Die Anfragen kamen von nationalen und internationalen Agenturen und Zeitungen. 

Um was ging es in den Gesprächen?
Anlass war natürlich der Nobelpreis für die Quantenforschung, der meinem Kollegen Anton Zeilinger zusammen mit dem Franzosen Alain Aspect und dem US-Amerikaner John Clauser zugesprochen wurde. Das Themenspektrum reichte von Fragen der Grundlagenforschung bis zu meiner Verbindung zu Anton Zeilinger.  

Das interessiert auch uns: Wie lange kennen Sie Anton Zeilinger und was verbindet Sie beide?
Wir kennen uns seit 35 Jahren und haben bald nach meiner Ankunft an der Universität Innsbruck im Jahr 1995 mit unserer Zusammenarbeit begonnen. Uns verbindet die quantenphysikalische Forschung, wobei sich unsere Ansätze unterscheiden, aber gut ergänzen. Anton Zeilinger widmet sich den Grundlagen der Quantenmechanik und arbeitet mit Photonen, ich habe mich auf Atome und Ionen spezialisiert und nehme stärker die Anwendungen in den Blick. Zusammen gründeten wir mit Peter Zoller und weiteren Kollegen im Jahr 2003 in Innsbruck das Institut für Quantenoptik und Quanteninformation, kurz: IQOQI. Unser Vorbild war das berühmte JILA, ein US-Institut für Atomphysik und Astrophysik in Boulder, Colorado. Dort hatten Peter Zoller und ich wunderbare Forschungsaufenthalte verbracht. Zurück in Österreich konnten wir die hiesige Akademie der Wissenschaften für den Aufbau einer ähnlichen Institution in unserem Land gewinnen. Inzwischen hat sich das IQOQI, das kann man ohne Übertreibung sagen, zu einem Leuchtturm der Forschung entwickelt.

Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI). © IQOQI/M.R.Knabl

© IQOQI/M.R.Knabl

Exklusive Lage den Tiroler Alpen: das Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI).

Wie können wir uns das Institut vorstellen?
Wir arbeiten an zwei Standorten: Hier in Innsbruck forschen inzwischen mehr als 200 Wissenschaftler aus über 20 Ländern, ähnlich groß und international ist das Team um den Leiter Markus Aspelmeyer in Wien. Trotz unterschiedlicher Forschungsschwerpunkte arbeiten wir eng zusammen und unsere Arbeitsgruppen treffen sich regelmäßig, um sich auszutauschen. In den ersten Jahren habe ich das Institut als Gründungsdirektor geleitet, seither fungiere ich als wissenschaftlicher Direktor. 

Könnte man das IQOQI demnach als Keimzelle für den Quantenphysik-Nobelpreis 2022 bezeichnen?
Durchaus. Zwar sind viele der mit dem Preis gewürdigten Arbeiten bereits vor der Gründung des Instituts entstanden, das IQOQI hat jedoch die Sichtbarkeit der Quantenphysik in Österreich sehr befördert.  

Welche Bedeutung hat die Auszeichnung für Ihr Fachgebiet in Österreich?
Der Nobelpreis ist auch eine Anerkennung für die immense Aufbauleistung der letzten 25 Jahre. Sie hat dazu geführt, dass in der Quanteninformation hierzulande eine kritische Masse entstanden ist. Mit seinen Pro-Kopf-Ausgaben für diesen Bereich ist Österreich weltweit führend. Dafür gesorgt haben unsere Förderagenturen, allen voran der Wissenschaftsfonds FWF, das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung und die Österreichische Akademie der Wissenschaften – ihnen gilt unser ganz besonderer Dank. 

Wie steht es um die praktische Anwendung der Forschungsergebnisse, etwa im Bereich Quantencomputer?
Es gibt erste Prototypen, die mit einigen zehn Quantenbits, sogenannten Qubits, rechnen können. Das ist sehr viel, wenn man bedenkt, dass ein Quantencomputer im Prinzip schon mit fünfzig Qubits die Leistungsfähigkeit eines heutigen Supercomputers erreichen kann. Voraussetzung ist allerdings, dass die Quantenrechnungen sich beliebig lange fortsetzen lassen und dabei keinerlei Fehler passieren. Davon sind wir noch weit entfernt, doch an Fehlerkorrektur und Skalierbarkeit wird derzeit weltweit intensiv gearbeitet. Überhaupt entwickelt sich das Feld stürmisch, das Potenzial ist extrem groß und viele junge Leute mit frischen Ideen stoßen neu hinzu.

Labor im Innsbrucker Institut für Quantenoptik und Quanteninformation © IQOQI/M.R.Knabl

© IQOQI/M.R.Knabl

Blick in ein Labor im Innsbrucker Institut für Quantenoptik und Quanteninformation.

Oft heißt es, dass Quantencomputer mit gigantischen Rechenleistungen klassische Computer schon bald ganz verdrängen werden. Sehen Sie das auch so?
Nein, denn Quantencomputer eignen sich besonders gut für die Lösung von speziellen Problemen, zum Beispiel für die Berechnung der Quanteneigenschaften von Materialien, was in der Chemie sehr wichtig ist und wofür heute rund die Hälfte der weltweiten Rechenleistung verbraucht wird. Klassische Computer benötigen für solche Operationen sehr viel mehr Speicherkapazität als Quantencomputer. Übrigens wies schon in den 1980er-Jahren der US-Nobelpreisträger Richard Feynman darauf hin, dass es doch sehr viel sinnvoller sei, für solche Aufgaben Computer zu verwenden, die mit Quanteneigenschaften rechnen und somit das Quantenverhalten automatisch berücksichtigen, als dies auf einem klassischen Rechner kompliziert zu programmieren. Klassische Computer werden weiterhin Standardberechnungen und Routinearbeiten durchführen und haben ihre Berechtigung, wenn es zum Beispiel um Big-Data-Anwendungen geht, etwa in der Klimaforschung. Hier gelten die Regeln der klassischen Mechanik, das ist nicht das Terrain der Quantenrechner.

Mit zwei Milliarden Euro fördert die Bundesregierung die Entwicklung von Quantencomputern „Made in Germany“. Bayern legte noch einmal 300 Millionen Euro drauf und startete Anfang 2022 das ehrgeizige Projekt „Munich Quantum Valley“, in dem auch Sie sich engagieren. Was passiert da gerade?
Es geht darum, die Quantentechnologie insgesamt sowie wettbewerbsfähige Quantencomputer in Bayern zu entwickeln und zu betreiben. Die beiden Münchner Universitäten und die Universität Erlangen-Nürnberg beteiligen sich, dazu die Max-Planck-Gesellschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt und die Bayerische Akademie der Wissenschaften. Im Munich Quantum Valley mit seinen gut 350 Mitarbeitern laufen die Fäden zusammen. Derzeit bauen wir Quantencomputer auf drei unterschiedlichen Plattformen auf. Schon jetzt setzt das Projekt international Maßstäbe. Ich widme ihm als Berater und Koordinator inzwischen die Hälfte meiner Arbeitszeit.

Das Munich Quantum Valley hat sich vorgenommen, die Öffentlichkeit über aktuelle Themen der Quantenforschung zu informieren. Eine gute Idee?
Ich halte das für extrem wichtig. Die wissenschaftliche Arbeit und die Forscher werden von der Gesellschaft bezahlt, das Forschungsumfeld wird von ihr bereitgestellt – also haben wir auch die Pflicht zu erklären, was und wofür wir das tun.

Wie gehen Sie dabei vor? Leichte Kost ist die Quantenphysik ja nicht gerade.
Ich nehme die Leute ernst und versuche, sie dort abzuholen, wo sie gerade sind. Was ich sage, muss nicht wissenschaftlich klingen. Es sollte die Dinge so einfach wie möglich auf den Punkt bringen, darf aber nicht falsch sein. Ich benutze gern Bilder, Analogien und Beispiele. Und manchmal zitiere ich meine Mutter mit einem ihrer Lieblingssätze: „Von nix kommt nix“. Da sind wir dann mitten in der Physik und schnell bei meinen Themen.

Rainer Blatt, Professor für Experimentalphysik an der Universität Innsbruck. © C. Lackner

© C. Lackner

Rainer Blatt, Professor für Experimentalphysik an der Universität Innsbruck.

Zur Person

Rainer Blatt ist seit 1995 Professor für Experimentalphysik an der Universität Innsbruck und seit 2003 wissenschaftlicher Direktor am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Der 1952 in Idar-Oberstein geborene Forscher studierte in Mainz Mathematik und Physik. Seine akademische Laufbahn führte ihn anschließend nach Berlin, Hamburg und Göttingen. Prägend für seine Arbeit waren Forschungsaufenthalte am Joint Institute of Laboratory Astrophysics in Boulder/Colorado bei John L. Hall, der 2005 den Physiknobelpreis erhielt.

Für seine Leistungen auf dem Gebiet der Quantenphysik erhielt Professor Blatt viele Auszeichnungen, darunter 2016 den International Quantum Communication Award und 2019, gemeinsam mit Anton Zeilinger und Peter Zoller, den Preis der chinesischen Micius Quantum Foundation. Seit 2021 koordiniert der Deutsch-Österreicher zusätzlich zu seiner Arbeit in Innsbruck das Munich Quantum Valley, eine Initiative zum Ausbau der Quantenwissenschaften in Bayern. 2021 wurde Rainer Blatt auch zum Ehrenprofessor der Technischen Universität München ernannt sowie zum auswärtigen Mitglied des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik in Garching bei München berufen. Der GDNÄ ist Professor Blatt seit Jahren als Gastredner und Autor verbunden.

 

Zur Vertiefung

Für die Festschrift zum 200-jährigen Bestehen der GDNÄ hat Rainer Blatt einen Beitrag über Quantencomputer verfasst („Mit Quanten muss man rechnen“). Der Innsbrucker Physikprofessor beschreibt darin den aktuellen Stand der Forschung und stellt die Arbeit seines Teams an der Universität Innsbruck vor.

>> „Mit Quanten muss man rechnen“ aus der Festschrift zum GDNÄ-Jubiläum (PDF)

Bei der 130. Versammlung in Saarbrücken 2018 hielt Professor Blatt einen Vortrag zum Thema „Quantenphysik – Rechenkunst mit Quantenphysik“:

>> zum Vortrag von Professor Blatt

Weitere Informationen: