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  • Michal Kucera: „Willkommen in einer stolzen Wissenschaftsstadt“

    „Willkommen in einer stolzen Wissenschaftsstadt“

    Professor Michal Kucera, Konrektor für Forschung und Transfer an der Universität Bremen, über sein Engagement für die GDNÄ-Tagung 2026 und Wissenschaft in einer Stadt der kurzen Wege.

    Herr Professor Kucera, Sie haben das Amt des wissenschaftlichen Geschäftsführers für die GDNÄ-Versammlung 2026 in Bremen übernommen. Was hat Sie daran gereizt?
    Ich kenne die GDNÄ aus meiner Zeit an der Universität Tübingen. An die von der Medizin-Nobelpreisträgerin und damaligen GDNÄ-Präsidentin Christiane Nüsslein-Volhard ausgerichtete Versammlung kann ich mich noch gut erinnern. Mit ihren fachübergreifenden Vorträgen und ihrem Schülerprogramm war die Tagung für mich ein Vorbild für moderne Wissenschaftskommunikation. Zur Wissenschaftsstadt Bremen, in der ich seit dreizehn Jahren arbeite, passt das alles sehr gut. Ich habe daher gern zugesagt, als mich die heutige Präsidentin der GDNÄ bat, die Aufgabe zu übernehmen. 

    Wie können wir uns Ihre Tätigkeit als wissenschaftlicher Geschäftsführer vorstellen?
    Ich bereite der GDNÄ die Bühne vor Ort und unterstütze sie mit meinen Kontakten in der Bremer Wissenschafts-, Bildungs- und Kulturszene. Da geht es um die Gewinnung von Vortragenden, gute Adressen für das Begleitprogramm oder auch um Kontakte zu Schulen und zur Stadtverwaltung. Die Zeit und Kraft dafür investiere ich gern. Für uns ist die GDNÄ-Versammlung eine willkommene Gelegenheit, die Stärken des Wissenschaftsstandorts Bremen unter Beweis zu stellen.

      © DHI Bremen

    Professor Michal Kucera stellt die KI-Forschung seiner Universität bei einer Tagung in der Bremer Messehalle vor. Nebenan im Congress Centrum wird die 134. Versammlung der GDNÄ stattfinden.

    Welche Stärken sind das?
    Der Stifterverband kürte Bremen im Jahr 2005 zur ersten deutschen „Stadt der Wissenschaft“. Das zeugt von der rasanten Entwicklung, die Hochschulen, Institute und die gesamte Wissenschaftsszene in Bremen und Bremerhaven in den letzten 50 Jahren gemacht haben. Ich selbst war immer von der großen Dichte an wissenschaftlichen Einrichtungen beeindruckt, die rund um unseren Campus im Technologiepark angesiedelt und miteinander stark vernetzt sind. Im Zentrum steht die Universität, drumherum scharen sich Hightech-Firmen und außeruniversitäre Institute. Die Wege sind kurz, gemeinsamer Treffpunkt ist oft die Mensa – das fördert Kooperationen. Mit unseren Schwerpunkten in der Meeresforschung, in künstlicher Intelligenz und Robotik, aber auch in den Sozialwissenschaften können wir international mithalten. Zudem ist Bremen eine tolle Stadt, die viel zu bieten hat. Die Menschen hier sind stolz darauf, in einer Stadt der Wissenschaft zu leben und sie kommen gern zu Vorträgen, Ausstellungen oder Diskussionsveranstaltungen. Die Bedeutung und der Nutzen von Wissenschaft für die Gesellschaft ist den Bremerinnen und Bremern bewusst.

    Das passt zum Motto der Versammlung 2026: Wissen schafft Nutzen – Wissenschaft nutzen.
    Ja, auch mit Blick auf die Anwendung von Forschung ist Bremen ein sehr geeigneter Tagungsort für die GDNÄ.

    Als Konrektor für Forschung und Transfer an der Universität Bremen sind Sie zuständig für den Anwendungsbezug von Forschung. Wie gehen Sie vor?
    Es ist mir wichtig, unsere Forschenden bei ihrem Engagement für Transfer zu unterstützen und unsere Wertschätzung für sie klar zu kommunizieren. Ich versuche zu verstehen, was Transfer fördert und was hinderlich wirkt. Dazu führe ich sehr viele Gespräche und versuche, Kolleginnen und Kollegen in der ganzen fachlichen Breite der Universität einzubinden. Wichtig ist uns auch, Kontakt zu lokalen Akteuren in Bremen zu pflegen, von der Kulturszene bis zu Wirtschaftsverbänden wie der Handelskammer und dem Industrieclub. Die enge Vernetzung ist der Schlüssel zum Erfolg für den Standort insgesamt.

    Sie sind seit drei Jahren im Amt. Was hat sich beim Transfer getan?
    Wir konnten einiges erreichen. Ein Beispiel ist der Digital Hub INDUSTRY, in dem wir zusammen mit kleinen und mittelständischen Unternehmen in der Region maßgeschneiderte digitale Lösungen für die Industrie von Morgen entwickeln. Ein weiteres Beispiel ist das im Dezember 2024 gegründete Transferzentrum für nachhaltige Materialien, das matena innovate! center. Wir konnten uns in hartem Wettbewerb durchsetzen und die Hamburger Joachim Herz Stiftung für die Förderung unseres Standorts gewinnen. Hier entwickeln Forschungsteams der Universität und unserer Partnerinstitute neue Ansätze aus der Forschung bis zur Anwendungsreife. Im Fokus stehen Themen wie die stationäre Energiespeicherung für regenerative Energien, nachhaltige Futtermittel für die Aquakultur oder Sensormaterialien für die Wasserstoffwirtschaft. Zugute kommt uns eine veränderte Großwetterlage, wenn es um Transfer geht: Ihre Bedeutung wird gesellschaftlich zunehmend erkannt, ihr Image ist in den vergangenen Jahren deutlich besser geworden.

    © Volker Diekamp, Universität Bremen

    Expedition MSM 111 in der Baffin Bay: Im Besprechungsraum des Forschungsschiffs Maria S. Merian diskutieren Wissenschaftler über die ersten Ergebnisse einer Tiefseebohrung. Gemeinsam versuchen sie, die Schichtung des Ozeanbodens zu verstehen. „Wie sich später herausstellen sollte, lagen wir mit unseren ersten Interpretationen völlig daneben“, sagt der damalige Expeditionsleiter Michal Kucera (Bildmitte) heute.

    Sie sind Tscheche, haben in Prag studiert, in Schweden promoviert und Ihre wissenschaftliche Laufbahn führte sie über die USA, Großbritannien an mehrere Universitäten in Deutschland. Wie beurteilen Sie die deutsche Wissenschaftsszene im internationalen Vergleich?
    Die Freiheit der Forschung an deutschen Universitäten ist großartig. Sie müssen sich nicht durch Studiengebühren finanzieren und sind deshalb weniger kommerziell ausgerichtet als Hochschulen im angelsächsischen Raum. Dort hat die Lehre eine größere Bedeutung als in Deutschland, es gibt viele Tutorien für Studierende und die Gestaltung des Curriculums ist flexibler als in Deutschland. Während es hierzulande oft um das Einhalten von Regeln gilt, etwa bei der Lehrverpflichtung, wird in Großbritannien die Lehre bedarfsgerecht und flexibel im Kollektiv der Lehrenden verteilt. Große Pluspunkte für Deutschland sind wiederum die hervorragende Forschungsförderung und die weltweit einmalige Forschungsinfrastruktur. Sie machen das Land zu einer wissenschaftlichen Großmacht. Ich zum Beispiel profitiere sehr von Zugang zu exzellenten meereswissenschaftlichen Geräten und hochmodernen Forschungsschiffen. 

    Haben Sie noch Zeit für eigene Forschung?
    Ja, aber leider nicht mehr so viel wie früher. Deshalb starte ich derzeit keine neuen Großprojekte, sondern konzentriere mich auf die Auswertung der Ergebnisse vergangener Expeditionen. Da sind zum Beispiel Proben aus einer Tiefseebohrung, die wir 2022 bei einer von mir geleiteten Expedition in der Baffin Bay gewonnen haben. Hier erwarten wir neue Erkenntnisse zum Abschmelzverhalten der grönländischen Eiskappe in der Vergangenheit, die wichtig für unsere Zukunft in einem wärmeren Erdklima sind. Bei dieser Ausfahrt haben wir auch Sedimentkerne in Südgrönland gewonnen, die wertvolle Informationen über das Klima der letzten zehntausend Jahre enthalten. Sie werden uns helfen zu verstehen, warum die Wikinger ihre Siedlungen auf Grönland im 15. Jahrhundert verließen, nachdem sie vierhundert Jahre dort gelebt hatten. Die Expedition MSM 111 mit dem Forschungsschiff Maria S. Merian fand übrigens im Rahmen des Exzellenzclusters der Universität Bremen „Der Ozeanboden – unerforschte Schnittstelle der Erde“ statt, dessen Fortsetzung kürzlich bewilligt wurde.

    Lassen Sie uns noch einmal auf die die GDNÄ-Tagung 2026 schauen: Auf was können sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer schon jetzt freuen?
    Auf faszinierende Vorträge zu aktuellen Themen in den Naturwissenschaften und ein tolles Begleitprogramm. Geplant ist zum Beispiel ein Empfang im Bremer Übersee-Museum. Das Haus mit seiner europaweit einzigartigen Sammlung aus Natur-, Völker- und Handelskunde feiert 2026 seinen 130. Geburtstag. Ein weiteres Highlight ist der Besuch im Universum Bremen  Das beliebte Wissenschaftscenter liegt direkt am Uni-Campus und lädt uns mit bei einer exklusiven Führung zum Mitmachen und Experimentieren ein.

    Saarbrücken 2018 © Robertus Koppies

    © Jan Rathke / Universität Bremen

    Prof. Dr. Michal Kucera, Konrektor der Universität Bremen und Geschäftsführer Wissenschaft der GDNÄ-Versammlung 2026 in Bremen.

    Zur Person

    Michal Kucera studierte Geologie in Prag und promovierte an der Universität Göteborg in Schweden. Es folgten Aufenthalte im kalifornischen Santa Barbara, in London und in Tübingen, ehe er 2012 nach Bremen an den Fachbereich Geowissenschaften und das MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen als Professor für Mikropaläontologie / Paläozeanographie wechselte. In seiner Forschung untersucht Michal Kucera den Einfluss des Klimawandels in der älteren und jüngeren Vergangenheit auf die marine Umwelt und deren Bewohner.

    Neben seiner Rolle im Vorstand des Excellenzclusters „Der Ozeanboden – unerforschte Schnittstelle der Erde“ war er Sprecher des deutsch-kanadischen Graduiertenkollegs ArcTrain und Mitglied der Senatskommission für Erdsystemforschung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Seit September 2022 ist er Konrektor für Forschung und Transfer der Universität Bremen. 2025 wurde er in das Amt des Präsidenten der Wittheit zu Bremen gewählt, einer traditionsreichen wissenschaftlichen Gesellschaft der Freien Hansestadt Bremen. Und seit 2024 ist Michal Kucera Mitglied der GDNÄ und Geschäftsführer Wissenschaft für die 134. Versammlung der Naturforschergesellschaft in Bremen 2026.

    Saarbrücken 2018 © Robertus Koppies

    @ Raphael Morard

    Bei der Expedition MSM 111 überwachen Michal Kucera und ein Kollege am Arbeitsdeck des Forschungsschiffs die Entnahme eines Sedimentkerns.
    Zum Weiterlesen:

    Stefan Buchholz: „Diese Entwicklung dürfen wir nicht verschlafen“

    „Diese Entwicklung dürfen wir nicht verschlafen“

    Stefan Buchholz, Mitglied im Vorstandsrat der GDNÄ und deren designierter Generalsekretär, über seinen Weg in der chemischen Industrie, künstliche Intelligenz und Pläne für die Zukunft.

    Herr Professor Buchholz, Mitglied der GDNÄ sind Sie schon lange. Wie lange genau?
    Tatsächlich schon seit mehr als einem Vierteljahrhundert. Dazu gebracht hat mich Professor Heribert Offermanns, ein begnadeter Chemiker und Vorstandsmitglied der Degussa. Als Vorstandsassistent habe ich einige Jahre für ihn gearbeitet und zum Beispiel Reden für ihn geschrieben. Herr Offermanns war mein Mentor – er hat mich von den Qualitäten der GDNÄ überzeugt.

    Was hat Sie besonders angesprochen?
    Das große Themenspektrum und der fachübergreifende Ansatz in den Naturwissenschaften. Schon als Kind habe ich mich für die Natur in ihrer ganzen Fülle interessiert und war fasziniert von der Unendlichkeit des Weltalls. Als es dann ans Studieren ging, fiel es mir schwer, mich zwischen Chemie, Biologie und Physik zu entscheiden. Die Wahl fiel schließlich auf die Chemie, was im Nachhinein betrachtet richtig für mich war.

    Inwiefern?
    Weil die Chemie sehr viele Anknüpfungspunkte zu anderen Disziplinen bietet. Die spannendste Zeit meiner beruflichen Laufbahn waren die Jahre im Bereich Biotechnologie, in denen ich unter anderem mit Biologen, Physikern und Ingenieurwissenschaftlern zusammenarbeiten konnte. Das waren wunderbare interdisziplinäre Teams, die zu tollen Ergebnissen kamen. Ich denke zum Beispiel an fermentativ erzeugte Aminosäuren, die aus tierischem Material gewonnene Aminosäuren ersetzen. In der BSE-Krise war das eine wichtige und für das Unternehmen gewinnbringende Neuerung.

     © Evonik

    An einem großen Fermenter im Projekthaus Biotechnologie gibt Chemieingenieur Kai Boldt Daten zur Prozesssteuerung ein.

    Sie haben bei der damaligen Degussa angefangen und sind dem Unternehmen und seinen Nachfolgefirmen, heute Evonik,  bis zum Ruhestand treu geblieben. Eine akademische Karriere hat Sie nicht gereizt?
    Doch, grundsätzlich schon, die war ursprünglich mein Ziel gewesen, aber die Chemie war nach meiner Einschätzung, die ich im Studium gewonnen habe, relativ ausgeforscht, die grundlegenden Moleküle sind bekannt. Klar, man kann noch unendlich viele neue Moleküle herstellen, aber das war nicht mein Weg. Mehr interessierten mich dann die Innovation, die Nutzung von Wissen für neue Prozesse und Produkte. Spannend fand ich auch den Praxistransfer vom Forschungsergebnis in die großtechnische Produktion. Das ist schwierig, aber immer wieder gelingt er auch. Ein Beispiel sind die sehr hautfreundlichen, naturidentischen und biologisch abbaubaren Biosurfactants, die eines meiner Projektteams im letzten Jarhzehnt entwickelt hat: Heute werden sie etwa in Spülmitteln und Hautpflegeprodukten verwendet. Als Biotech-Verantwortlicher, der über mehrere Jahre nur Biologen und Ingenieuren als Mitarbeiter hatte, fühlte ich mich in der chemischen Industrie sehr wohl. 

    Der deutschen Chemieindustrie geht es derzeit nicht gut. Fehlt es an Innovation?
    Ja, aber nicht nur im Sinne von neuen chemischen Produkten. Wir haben schon sehr viele gute Produkte. Die chemische Industrie ist eine reife Industrie, die in einer gigantischen Transformation steckt. Energie und Rohstoffe sind teuer, Billigkonkurrenz und schwache Nachfrage drücken die Margen. Eine Konsolidierung ist unausweichlich, die chemische Industrie wird schrumpfen. Gleichzeitig wird sie dringend gebraucht, auch um dem Klimawandel zu begegnen und die Umwelt besser zu schützen. Gefragt sind jedoch radikal neue Ansätze. Chancen sehe ich in der Verknüpfung von Chemie und künstlicher Intelligenz, sie wird dem Fach einen großen Schub geben. Und diese Entwicklung dürfen wir nicht verschlafen.

     © Evonik

    Im Projekthaus Biotechnologie nimmt Projektleiter Dr. Stefan Verseck eine Probe aus einem Stahlbehälter.

    Das klingt nach einem guten Thema für die nächste GDNÄ-Versammlung 2026 in Bremen.
    Ja, tatsächlich ist dazu ein Beitrag vorgesehen. Geplant sind auch Vorträge zur industriellen Biotechnologie und zur elektrokatalytischen Gewinnung von grünem Wasserstoff. Den Nobelvortrag wird Benjamin List vom Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim halten. Er berichtet von seiner Forschung zur Organokatalyse, für die er 2021 den Chemie-Nobelpreis erhielt.

    In der GDNÄ sind Sie nicht nur Gruppenvorsitzender für das Fach Chemie, sondern auch designierter Generalsekretär. Anfang 2027 werden Sie das Ehrenamt von Michael Dröscher übernehmen. Was motiviert Sie?
    Die GDNÄ passt gut zu mir und meinem Interesse an grundsätzlichen und zugleich fachübergreifenden Fragen. Dafür steht die GDNÄ seit zweihundert Jahren. Das beeindruckt mich, das finde ich wichtig und gern trage ich zu ihrer künftigen Entwicklung bei.

    Haben Sie dafür schon Ideen?
    In meinem Studium an der Universität des 3. Lebensalters der Frankfurter Goethe-Universität. beschäftige ich mich derzeit intensiv mit Naturphilosophie. Dabei geht es auch um unsere Fähigkeit zur Naturerkenntnis und deren Grenzen. Wir lernen viel über Wissenschaftstheorien und Wissenschaftsgeschichte und diskutieren angeregt darüber. So ein Themenangebot könnte ich mir auch in der GDNÄ vorstellen. Dass Interesse an derart grundsätzlichen Fragen besteht, zeigt der große Zulauf zu meinem Studiengang.

    Saarbrücken 2018 © Robertus Koppies

    © Privat

    Prof. Dr. Stefan Buchholz, Chemiker, designierter Generalsekretär der GDNÄ.

    Zur Person

    Professor Stefan Buchholz studierte in Marburg Chemie und absolvierte am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz mit einer Arbeit über monomolekulare Schichten seine Promotion. Anschließend ging Buchholz als Post-doc an die Harvard University in Boston. Seit 2011 ist er Honorarprofessor an der Universität Stuttgart. Seine berufliche Laufbahn begann der 63-Jährige bei der Degussa 1993 im Geschäftsbereich Industrie- und Feinchemikalien in Frankfurt. In den Jahren 1995 bis 1998 leitete er die Forschungsplanung und -koordination des Unternehmens und war Vorstandsassistent. Von 1998 bis 2000 arbeitete der Chemiker als Betriebsassistent am Degussa-Standort Antwerpen. 2000 übernahm er die Leitung des Projekthauses Biotechnologie, einer Forschungsgruppe, die sich schwerpunktmäßig mit Biokatalyse beschäftigte. Anschließend war Stefan Buchholz unter anderem vier Jahre lange Leiter des Bereichs Innovation Management C4 Chemie, bevor er im Jahr 2012 die Leitung der strategischen Forschungs- und Entwicklungseinheit Creavis und später die der Division Nutrition and Care übernahm. Im Jahr 2023 wechselte er in den Vorruhestand. Professor Buchholz wurde mehrfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt er den Degussa Innovations-Preis für die Entwicklung neuer Fermentationsprozesse in der Pharmaproduktion. Er war und ist Mitglied in zahlreichen Gremien und Fachgesellschaften, hat vielfach publiziert und besitzt mehr als zwanzig Patente.

    Ekkehard Winter: „Über die Seitenlinie Begeisterung schüren und Talente fördern“

    „Von der Seitenlinie Begeisterung schüren, Talente fördern“

    Ekkehard Winter, langjähriger Stiftungsmanager und Mitglied im GDNÄ-Vorstandsrat, über neue Wege zu einer besseren MINT-Bildung in Deutschland.

    Herr Dr. Winter, Sie sind vor gut dreißig Jahren Mitglied der GDNÄ geworden. Damals, Mitte der 1990er-Jahre, standen Sie am Anfang Ihrer Laufbahn in großen deutschen Wissenschaftsstiftungen. Was hat die GDNÄ für Sie interessant gemacht?
    Das waren ganz klar Persönlichkeiten wie Hubert Markl, Joachim Treusch und Detlev Ganten, die sich damals als Präsidenten der GDNÄ ablösten. Sie sind die Pioniere moderner Wissenschaftskommunikation in Deutschland, ihnen haben wir viel zu verdanken. Ich war dann immer wieder auf Versammlungen der GDNÄ, wobei mich die 200-Jahr-Feier in Leipzig vor drei Jahren ganz besonders beeindruckt hat. Bei all diesen Treffen werden niveauvolle Vorträge geboten, die ein Thema gründlich ausleuchten – und nicht nur Wissensschnipsel wie bei anderen Veranstaltungen mit ähnlicher Zielgruppe. 

    Vor fast einem Jahr wurden Sie in den GDNÄ-Vorstandsrat berufen. Was bedeutet das für Sie?
    Ich bin für zwei Jahre berufen, also bis Ende 2026. Mir macht es Freude, meine jahrzehntelange Erfahrung in der mathematisch-naturwissenschaftlichen Bildung einzubringen. Hilfreich könnte auch mein Netzwerk an Kontakten sein – sei es in Stiftungen, Hochschulen und Forschungsmuseen oder in der Politik. Bisher habe ich an zwei Strategiesitzungen der GDNÄ teilgenommen und jedesmal war ich beeindruckt von den produktiven Diskussionen auf Augenhöhe und den erfrischenden Beiträgen junger Mitglieder. 

    Sie kennen viele Nachwuchsorganisationen im Wissenschaftsbereich. Welchen Eindruck haben Sie von der noch recht jungen jGDNÄ?
    Ihre Mitglieder sprudeln über vor Ideen, sie wollen etwas erreichen, auch für ihre eigene Karriere. Das ist andernorts ähnlich und sehr zu begrüßen. Gut finde ich auch, wenn die jungen Leute eigene Veranstaltungen zwischen den Versammlungen der GDNÄ organisieren. Aber, und auch das gehört zum Bild: Derzeit lebt die Initiative vom Elan besonders engagierter Mitglieder. Doch was ist, wenn sie ins Ausland gehen? Oder kaum noch Zeit für das Ehrenamt haben? Droht dann der Zerfall? Um das zu verhindern, wird in ein, zwei Jahren eine Art Verbindungsbüro nötig sein – ein Hub, der alles zusammenhält. Das kostet Geld und ohne Fördermittel wird das kaum zu stemmen sein. Da überlege ich gern mit.

     © Marlene Anders

    Auch Volkssternwarten sind Teil des Bildungs-Ökosystems: Das Foto zeigt Mitglieder der jGDNÄ beim Besuch der Heidelberger Sternwarte im Haus der Astronomie.

    Sind schon Förderchancen absehbar?
    Nehmen wir zum Beispiel die Stiftungen. Viele von ihnen engagieren sich inzwischen aufgrund strategischer Entscheidungen und auch aus Kostengründen weniger in Personenprogrammen, sie fördern eher Strukturen. Für einen jGDNÄ-Hub würde das also passen. Es gibt aber noch viele andere Fördermöglichkeiten über zivilgesellschaftliche oder staatliche Institutionen, die sich teilweise kombinieren lassen. Was fehlt, ist ein Überblick, der Stärken, Schwächen und Besonderheiten der Angebote erkennen lässt. Die Erstellung einer „Förderlandkarte“ wäre doch mal ein schönes Thema für eine Bachelorarbeit! 

    Ein Vorschlag aus den Reihen der jGDNÄ ist ein Mentoringprogramm, das junge Leute mit etablierten GDNÄ-Mitgliedern aus Wissenschaft und Wirtschaft zusammenbringt. Eine gute Idee?
    Eine sehr gute Idee! Ich denke da an eine Erfahrung, die ich als Geschäftsführer der Telekom Stiftung gemacht habe. Wir haben ein Programm auf die Beine gestellt, das Doktoranden mit Führungspersönlichkeiten aus unterschiedlichen Bereichen zusammenbrachte, auch mit Topmanagern aus der Wirtschaft. Jeder Mentee hatte einen Mentor oder eine Mentorin, die alle sehr gern mitgemacht haben und oft aus anderen Disziplinen als ihre Mentees kamen. Das hat hervorragend funktioniert. Aber es muss gut organisiert werden und braucht Begeisterung, Zeit und Geld. 

    Die jGDNÄ ist eine Dachorganisation, in der auch das seit vielen Jahren erfolgreiche Schülerprogramm der GDNÄ angesiedelt ist. Wie beurteilen Sie das Programm?
    Nach allem, was ich in den letzten Jahren beobachten konnte, hat es sich wunderbar entwickelt. Es spielt eine wichtige Rolle im Ökosystem der MINT-Bildung, also im Bereich von Mathematik, Informatik, Natur- und Technikwissenschaften. Solche Programme stärken die Faszination für Fächer, die dringend gebraucht werden, denen es aber immer schon an Nachwuchs fehlte. Grundlegend wird sich das wohl auch in Zukunft nicht ändern. Umso wichtiger sind Programme für Schülerinnen und Schüler, die sozusagen über die Seitenlinie Begeisterung schüren und Talente fördern.  

    Unter dem Dach der jGDNÄ laufen mehrere Programme, unter anderem ein noch kleines Lehrerprogramm der GDNÄ. Sehen Sie Potenzial und, wenn ja, wie lässt es sich ausschöpfen?
    Gerade im MINT-Bereich gibt es unglaublich engagierte Lehrkräfte. Dass das auch beim GDNÄ-Programm so ist, weiß ich aus Gesprächen mit dessen Leiter Paul Mühlenhoff. Diese Lehrerinnen und Lehrer genießen es oft sehr, außerhalb ihrer eigenen Schulen zusammenzukommen und sich austauschen zu können. In ihren heimischen Kollegien gelten sie oft als Störenfriede, weil sie gern Neues ausprobieren und die Standards hochschrauben. Eine Idee wäre zum Beispiel ein Lehrkräftecafé bei der nächsten Versammlung 2026 in Bremen. Eingeladen wären etablierte und angehende MINT-Lehrerinnen und Lehrer mit Interesse an Austausch und Kooperation. Ich habe einige Treffen dieser Art koordiniert und war immer wieder verblüfft, wie wenig Lehrkräfte über Initiativen in anderen Bundesländern wissen und wie gern sie gute Impulse aufgreifen. Unser föderales Bildungssystem ist dermaßen provinziell! Das sollten wir ändern und die GDNÄ könnte hier einen wichtigen Beitrag leisten. 

    Vor zwei Jahren sind Sie in den Ruhestand gegangen. Neben Ihren Ehrenämtern, unter anderem in der GDNÄ, studieren Sie jetzt Wissenschaftsphilosophie an der Uni Münster. Eine gute Entscheidung? 
    Ja, auf jeden Fall. Bisher fehlte mir die Zeit, mich mit der Ideengeschichte und den Theoriegebäuden der Naturwissenschaften zu befassen. Diese Bereiche sollten aber nicht nur Ruheständler interessieren, sondern sie müssten aus meiner Sicht auch in der Vermittlung der MINT-Fächer an Schulen und Hochschulen vorkommen. Auch die GDNÄ mit ihrer langen Geschichte könnte dafür ein guter Platz sein.

    Saarbrücken 2018 © Robertus Koppies

    © Deutsche Telekom Stiftung

    Dr. Ekkehard Winter, Biologe, langjähriger Stiftungsmanager und berufenes Mitglied im GDNÄ-Vorstandsrat.

    Zur Person

    Dr. Ekkehard Winter engagiert sich im Nationalen Bildungsforum und berät das Nationale MINT Forum; beide Einrichtungen sind wichtige bildungspolitische Akteure. Von 2005 bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand 2023 war Winter Geschäftsführer der Deutschen Telekom Stiftung, deren Profilierung als führende Bildungsstiftung im Bereich Mathematik, Ingenieur- und Naturwissenschaften (MINT) er maßgeblich geprägt hat. Zuvor war der promovierte Biologe als Programmleiter und stellvertretender Generalsekretär des Stifterverbandes für die Deutsche Wissenschaft tätig. Ekkehard Winter zählt zu den Gründern der bundesweiten Initiative Wissenschaft im Dialog (WiD) und des EuroScience Open Forum (ESOF). In den Jahren 2017 und 2018 war er Gründungsvorstand des Forums Bildung Digitalisierung, das sich für die digitale Transformation im Schulsystem einsetzt. Von 2017 bis 2023 war Winter Co-Sprecher des Nationalen MINT-Forums e.V.. GDNÄ-Mitglied ist Ekkehard Winter seit Mitte der 1990er-Jahre; 2024 wurde er in den Vorstandsrat berufen. 

    © Deutsche Telekom Stiftung

    Ekkehard Winter in seiner Zeit als Geschäftsführer der Telekom-Stiftung bei einem Interview für den hauseigenen Social-Media-Kanal.

    Zum Weiterlesen:

    Carsten Bolm: „Ohne Industriekontakte geht es in meinem Fach nicht“

    „Ohne Industriekontakte geht es in meinem Fach nicht“

    Chemieprofessor Carsten Bolm, Mitglied im GDNÄ-Vorstandsrat, über kreative Forschung, seine nur scheinbar geradlinige Laufbahn und lohnende Perspektiven für den Nachwuchs.

    Herr Professor Bolm, Sie haben sich früh für die Chemie entschieden, sind Hochschullehrer geworden und dabei geblieben – inzwischen seit gut dreißig Jahren. Würden Sie diesen Weg noch einmal gehen?
    Ja, für mich ist er immer genau richtig gewesen. Ich kann meine Forschung nach eigenem Ermessen gestalten und talentierte junge Leute in ihrer Entwicklung begleiten: Diese Vorzüge genieße ich Tag für Tag. Es ist kein Nine-to-five-Job, man ist immer gefordert und gelegentlich findet mein Team, dass ich zu hart arbeite. Es gibt diesen Trend beim Nachwuchs, der Universität den Rücken zu kehren und sich einen ruhigeren Job zu suchen. Da versuche ich gegenzusteuern, unter anderem mit meinem Vortrag „Warum Sie an der Hochschule bleiben sollten“. Ich werde ihn demnächst wieder halten.

    Was sind Ihre Hauptargumente für die Hochschullaufbahn?
    Die gedankliche Freiheit und die Möglichkeit dem nachzugehen, was man beruflich am liebsten tut.

    Wodurch wurde Ihre Begeisterung für die Forschung und speziell für die Chemie geweckt?
    Rollenmodelle in der Familie gab es nicht. Aber meine Eltern haben mir Chemiebaukästen geschenkt und ich durfte in einer nahegelegenen Apotheke alle Chemikalien kaufen, die ich für meine Experimente brauchte. Heute ginge das nicht mehr, es wäre den Erwachsenen zu riskant, aber in den Sechziger- und Siebzigerjahren war das kein Problem. Viel zu verdanken habe ich meiner Biologielehrerin. Sie promovierte nebenher im Fach Mikrobiologie und unterrichtete Biologie mit einer starken Chemieorientierung. Ihre Begeisterung war ansteckend und irgendwann war mir klar: Ich werde Chemiker.

     © Carsten Bolm

    Die große, international gemischte Arbeitsgruppe von Carsten Bolm vor dem Institutsgebäude.

    Diesen Plan haben Sie, so scheint es, zielstrebig umgesetzt.
    Von außen wirkt das vielleicht so. Ich selbst empfand mich in der Zeit als ziemlich sprunghaft. Acht Umzüge, in Deutschland, der Schweiz, in den USA, und nirgendwo war ich länger als zwei Jahre. Dass daraus eine akademische Laufbahn wurde, hat viel mit dem Glück zu tun, zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Leute zu treffen.

    Sie sprachen von der Faszination der Chemie. Was genau fasziniert Sie?
    Die Chemie erfordert sowohl Kopf- als auch Handarbeit, eine wunderbare Kombination. Sie ist auch die einzige Disziplin, in der ständig neue Stoffe herstellt werden – Substanzen, die es vorher nicht gab. Das begeistert mich immer wieder aufs Neue.

    Sie sind Organischer Chemiker, betreiben aber auch Mechanochemie. Wie passt das zusammen?
    Zu Beginn einer akademischen Karriere muss man sich auf wenige Forschungsfragen spezialisieren, um Profil und Sichtbarkeit in der Fachwelt zu gewinnen. Später habe ich mein Spektrum Zug um Zug erweitert, unter anderem in Richtung Mechanochemie. Anwendung findet sie häufig in den Geowissenschaften, wenn es etwa darum geht, Stoffe mithilfe einer Kugelmühle energieeffizient und lösungsmittelfrei zu zerkleinern. Vor zwanzig Jahren war das in der organischen Synthesechemie noch Neuland, heute wird die Mechanochemie als maßgebliche methodische Weiterentwicklung angesehen. In meiner Arbeitsgruppe nutzen wir das Verfahren, um einerseits bestehende Syntheseverfahren zu verbessern und andererseits chemisches Neuland zu entdecken – die ungewöhnlichen Reaktionsbedingungen in den Kugelmühlen sind für manche Überraschung gut.

      © Carsten Bolm

    Arbeitsplatz Labor: Doktorandin Lena Hanek vor einer Kugelmühle, mit der sich Stoffe energieeffizient und lösungsmittelfrei zerkleinern lassen.

    Wie entstehen solche neuen Ansätze an Ihrem Institut?
    Oft durch fachübergreifenden Austausch. Bei der Suche nach neuen Wirkstoffen gegen Krankheiten arbeite ich zum Beispiel viel mit Medizinern zusammen. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Schwefelchemie, etwa zur Entwicklung neuer Tuberkulose-Hemmstoffe. Dank interdisziplinärer Kooperation konnten wir die Substratpalette der Sulfoximine, die sich insbesondere für die Nutzung in der Medizinalchemie und im Pflanzenschutz eignen, maßgeblich erweitern. Kooperationen gibt es auch mit Ingenieuren, etwa im kürzlich wieder bestätigten RWTH-Exzellenzcluster Integrated Fuel & Chemical Science Center, kurz: FSC2. Hier unterstützen wir die Entwicklung umweltfreundlicher flüssiger Energieträger. Ob an der eigenen Universität oder im Rahmen großer EU-Projekte: Wir setzen stets auf hochkarätige, verlässliche Partner. Und das bekommt uns sehr gut.

    Welche Rolle spielt bei Ihnen der Kontakt zur Industrie?
    Eine ganz wichtige. Ich würde sogar sagen: Ohne Industriekontakte geht es in meinem Fach nicht. Meine Arbeitsgruppe hat zum Beispiel enge Kontakte zur Pharmaindustrie, um gemeinsam neue Wirkstoffe zu entwickeln. Eine Pflanzenschutzfirma testet derzeit eine in unseren Laboratorien entdeckte neue Verbindungsklasse. Und ebenso wie viele andere Chemieinstitute an deutschen Hochschulen profitieren wir wesentlich vom Fonds der Chemischen Industrie bei der Förderung des akademischen Nachwuchses. Er vergibt Preise und Fördermittel – für unsere jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist das sehr wichtig.

      © Stefanie Zimmer

    Lernort Labor: Postdoktorand Dr. Renè Hommelsheim (rechts) beantwortet die Fragen des Master-Studenten Christian Keisers zur Schwefelchemie.

    Wie geht es dem Chemiestandort Deutschland aus Ihrer Perspektive?
    Wir sehen mit Sorge, dass die großen Chemieunternehmen immer weniger Stellen für unsere Absolventinnen und Absolventen anbieten. Aber wer lange genug sucht, findet etwas – das gilt vor allem für promovierte Chemikerinnen und Chemiker. Oft handelt es sich um Positionen in kleineren Firmen. Insgesamt leidet die Branche unter den gewaltigen Energiekosten und viele Unternehmen erwägen derzeit eine Verlagerung ins Ausland. Hilfreich wäre eine schnelle politische Intervention zur Kostensenkung.

    Vor fast 30 Jahren haben Sie den Ruf auf einen Lehrstuhl an der RWTH angenommen und sind trotz anderer Angebote geblieben. Was hat Sie in Aachen gehalten?
    Der starke Standort, gute Forschungsbedingungen und die hohe Lebensqualität. Ich komme aus Braunschweig, habe mich in Basel habilitiert und träumte von einem Leben im deutschen Südwesten. Aber es verschlug mich nach Aachen. Sollte ein Angebot aus Freiburg kommen, dachte ich damals, dann unterschreibe ich blind. Etwas später kam er wirklich, der Ruf aus Freiburg. Die RWTH machte ein so großzügiges Gegenangebot, dass ich nicht Nein sagen konnte. Es folgte ein weiterer Ruf – aber erneut war die RWTH besser. Und mit der Zeit habe ich die Stadt, die Nähe zu Belgien und das Rheinland sehr schätzen gelernt.

    Wie sind Sie zur GDNÄ gekommen?
    Durch einen Telefonanruf vor anderthalb Jahren. Michael Dröscher, Chemiker wie ich und langjähriger Generalsekretär der GDNÄ, fragte mich, ob ich Lust auf eine Mitarbeit hätte. Die GDNÄ war mir damals zwar bekannt, doch mir fehlte ein klares Bild von ihren Zielen. Ich glaube, es geht vielen an den Hochschulen so.  Ich bin dann zur Versammlung in Potsdam gereist und fand sie extrem gelungen. Beeindruckt hat mich das Zusammenwirken der Disziplinen und das wertschätzende Miteinander von Jung und Alt – in dieser Art und Ausprägung hatte ich das noch nie erlebt. In Potsdam wurde das Junge Netzwerk der GDNÄ gegründet, das sich seither prächtig entwickelt. Da kommen einem gleich ganz neue Ideen.

    Welche zum Beispiel?
    Vielleicht gelingt es uns, in Aachen eine Vortragsserie zu Themen der modernen Chemie auf die Beine zu stellen, zusammen mit Vertretern der jGDNÄ. Wenn das klappt, könnte das auch ein Format für andere Universitätsstädte sein. Eine weitere Idee wäre es, GNDÄ-Mitglieder auf Vortragsreise an deutsche Hochschulen zu senden, um so die Gesellschaft mitsamt der jGDNÄ ins universitäre Rampenlicht zu rücken.

    Sie wurden zum Fachvertreter für Chemie in den Vorstandsrat der GDNÄ gewählt. Was wollen Sie aus dem Amt machen?
    Zu meinen zentralen Aufgaben gehört es derzeit, hochkarätige Chemiker für möglichst allgemeinverständliche Vorträge über ihre Forschung für die Versammlung 2026 in Bremen zu gewinnen. Die Themen sollen aktuell und von fachübergreifendem Interesse sein. Es ist ein wunderbares Amt und es passt perfekt zu meinem Anliegen: Ich will die Chemie sichtbarer machen – in Wissenschaft und Öffentlichkeit – und die GDNÄ gleich mit.

    Saarbrücken 2018 © Robertus Koppies

    © Martin Braun Fotografie

    Prof. Dr. Carsten Bolm, Lehrstuhl für Organische Chemie II an der RWTH Aachen University.

    Zur Person

    Professor Carsten Bolm (65) ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Organische Chemie der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen University. Seine Forschungsbeiträge reichen von der Grundlagenforschung im Bereich der organischen Synthesechemie über die Mechanochemie bis zur Entwicklung neuer biobasierter Kraftstoffe.

    Carsten Bolm wuchs in Braunschweig auf und studierte dort und an der University of Madison, Wisconsin, Chemie. 1987 wurde er in Marburg promoviert und absolvierte anschließend einen Postdoc-Aufenthalt beim zweimaligen Nobelpreisträger Barry Sharpless am Massachusetts Institute of Technology in Boston. 1993 habilitierte er sich an der Universität in Basel. 1996 nahm er einen Ruf auf einen Lehrstuhl für Organische Chemie der RWTH an. Der Chemiker gehörte mehrfach zu den „Thomson Reuters Highly Cited Researchers“ und wurde 2015 zum Fellow der britischen Royal Society of Chemistry ernannt. Im Jahr 2022 wurde er in die Academia Europaea berufen. Die Gesellschaft Deutscher Chemiker verlieh ihm für seine Arbeit auf dem Gebiet der Katalyseforschung die Adolf-von-Baeyer-Denkmünze. Als Fachvertreter Chemie engagiert sich Professor Bolm seit 2024 im GDNÄ-Vorstandsrat.

    © Carsten Bolm

    Das RWTH-Institut für Organische Chemie. Das Relief über dem Eingang zeigt die Entwicklung der Chemie im Verlauf der Jahrhunderte. Dargestellt ist auch der nicht metallische Feststoff Schwefel, den die Arbeitsgruppe Bolm neu beforscht. Schwefel war schon im Mittelalter ein Grundstoff war.

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    Ferdi Schüth: „Wir sollten andere Disziplinen stärker einbeziehen“

    „Wir sollten andere Disziplinen stärker einbeziehen“

    GDNÄ-Vizepräsident Ferdi Schüth über die unverzichtbare Expertise von Ökonomen, versemmelte Prüfungen und Forschung mit der Kugelmühle.

    Herr Professor Schüth, im Hauptberuf sind Sie Max-Planck-Direktor, daneben üben Sie zahlreiche Ehrenämter aus. Wissen Sie aus dem Stand, wie viele es sind?
    Es sind tatsächlich viele, die genaue Zahl habe ich jetzt nicht parat. Die Ämter sind sehr unterschiedlich, auch was den Zeitaufwand angeht. Er reicht von 80 Prozent meiner Arbeitszeit in den Jahren als Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft bis zur zweistündigen Sitzung alle paar Jahre in kleineren Gremien. 

    Vor einigen Monaten ist ein weiteres Amt dazugekommen: das des Vizepräsidenten und kommenden Präsidenten der GDNÄ. Was motiviert Sie, sich für die GDNÄ zu engagieren?
    Mir gefällt ihre thematische Breite. In der GDNÄ zeigt sich, wie verschiedene Bereiche der Wissenschaft zusammenwirken – das ist in anderen Gesellschaften nicht so deutlich sichtbar. Als ich gefragt wurde, ob ich das Amt übernehme wolle, musste ich nur kurz überlegen und habe dann überzeugt ja gesagt. Die Präsidentschaft beginnt sanft mit zwei Jahren als Vizepräsident und klingt ebenso sanft wieder aus – das erleichtert vieles.

     © Isabel Schiffhorst für MPI für Kohleforschung

    Haupteingang des Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr.

    Wie wollen Sie als neues Präsidiumsmitglied vorgehen? 
    Zunächst werde ich mir alles genau anschauen und das, was gut läuft, unterstützen. Ein Beispiel ist die neue Nachwuchsorganisation der GDNÄ, die jGDNÄ. Dass es sie jetzt gibt, finde ich großartig und absolut zeitgemäß. Ähnliche Entwicklungen sind auch in anderen wissenschaftlichen Gesellschaften zu beobachten – ich denke etwa an die Jungchemikerforen der Gesellschaft Deutscher Chemiker, die heute praktisch jeder Ortsverband unterhält. Wichtig ist, dass die jungen Mitglieder Freiräume bekommen, in denen sie selbst etwas gestalten können. 

    Welche Akzente möchten Sie in Zukunft setzen?
    Zunehmend interessant und wichtig erscheint mir die Wirkung der Wissenschaft auf die Gesellschaft. Was halten die Bürgerinnen und Bürger von Wissenschaft und Forschung, was haben sie davon und was können wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihnen bieten? Die GDNÄ ist meiner Ansicht nach ein gutes Forum für solche Fragen und den Austausch mit der Öffentlichkeit. 

    Wie kann das gelingen?
    Vielleicht sollten wir in Zukunft die Sozial-, Human- und Geisteswissenschaften stärker einbeziehen, zumindest punktuell. Wie hilfreich das sein kann, erlebe ich gerade bei der Leopoldina, wo ich in einer Fokusgruppe zu Klima und Energie mitarbeite. Wir Natur- und Technikwissenschaftler in der Gruppe profitieren sehr vom Fachwissen der ebenfalls beteiligten Ökonomen. Sie helfen uns, Geschäftsmodelle für unsere schönen Ideen zu entwickeln. Denn was sich nicht rechnet, kann man vergessen – das ist eine wichtige Erkenntnis, die ich in vielen Berufsjahren gewonnen habe. Wirtschaftswissenschaftliche Expertise beispielsweise könnte auch die GDNÄ bereichern, etwa bei einzelnen Themen in den Versammlungen. Ihren Charakter als naturwissenschaftliche Gesellschaft würde sie dennoch behalten. 

    © Frank Vinken für MPI für Kohleforschung

    Die Professoren Alois Fürstner, Frank Neese, Tobias Ritter, Benjamin List und Ferdi Schüth (v.l.n.r.) bilden zusammen das Direktorium des Mülheimer Max-Planck-Instituts.

    Eine naturwissenschaftliche Gesellschaft, die im Dialog mit der Öffentlichkeit steht… 
    …ja, und das ist eine Stärke der GDNÄ, die wir noch weiter ausbauen können. Der Kommunikationsbedarf ist groß, denn einerseits ist Wissenschaft wichtiger denn je, andererseits vertraut die Gesellschaft ihr weniger als noch vor 20, 30 Jahren. Heute gibt es alternative Fakten und Querdenker, mit denen ein vernünftiges Gespräch kaum möglich ist. Wir als Wissenschaftler müssen unsere Arbeit stärker rechtfertigen als früher und genauer erklären, was Wissenschaft kann und was sie nicht kann. Dafür ist die GDNÄ eine sehr gute Plattform. 

    In der öffentlichen Diskussion dominieren aktuell die politischen Themen. Dabei geht es auch um das wissenschaftsfeindliche Verhalten der Trump-Regierung. Sollte Deutschland die Chance nutzen, wie es einige vorschlagen, und US-Wissenschaftler gezielt abwerben? 
    Wir sollten Aufnahmebereitschaft signalisieren und Optionen in Deutschland aufzeigen. Offensiv darauf hinzuarbeiten, dass amerikanische Wissenschaftler ihr Land verlassen, halte ich nicht für den richtigen Weg. 

    Wirkt sich die aktuelle US-Politik auf Ihr Institut aus? 
    Ja, die Folgen sind spürbar. Jahrzehntelang konnten wir unsere Postdocs problemlos für ein paar Forschungsjahre in die USA schicken. Das ist derzeit schwierig, weil viele US-Forschungseinrichtungen verunsichert sind und nicht wissen, was morgen kommt. Meldet Euch in ein paar Monaten nochmal, heißt es jetzt oft auf unsere Anfragen.

    © Frank Vinken / MPG

    Der Mahlprozess in einer Kugelmühle aktiviert einen Katalysator so, dass er die Synthese von Ammoniak bei viel niedrigerer Temperatur und geringerem Druck vermittelt, als sie im etablierten Haber-Bosch-Verfahren nötig sind.

    In Ihrer aktuellen Forschungsarbeit geht es um die Energie von morgen. In diesem Zusammenhang ist auch die Mechanokatalyse zu sehen, für deren Erforschung Sie im vergangenen Jahr einen mit 2,5 Millionen Euro dotierten Advanced Grant des Europäischen Forschungsrats ERC einwerben konnten. Was haben Sie nun vor?
    Wir möchten grundlegende Abläufe in der Mechanochemie auf molekularer Ebene verstehen. Unsere mechanochemischen Reaktionen führen wir in Kugelmühlen durch. Da laufen Reaktionen bei Raumtemperatur und normalem Druck ab, für die sonst mehrere hundert Grad und hundert bar Druck erforderlich sind. Das spart Ressourcen, Zeit und Kosten. Meine Arbeitsgruppe hat mit diesem Konzept bereits spannende Projekte realisiert, beispielsweise die Synthese von Ammoniak. Ein Detailverständnis des Prozesses könnte die Produktion völlig neuer Materialien ermöglichen. Das ist aber nicht Teil des ERC-Projekts, beim Aufklären der Prozesse handelt es zunächst um reine Grundlagenforschung. Dennoch wird in meiner Abteilung, basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen, zur Zeit die Gründung mehrerer Start-up-Unternehmen vorbereitet.

    Lassen Sie uns noch einen Blick auf Ihren Werdegang werfen: Sie haben Chemie und Jura studiert, eine ungewöhnliche Fächerkombination. Wie kam es dazu?
    Die meisten Chemiker gehen nach dem Studium in die Industrie und so dachte ich mir, ein zusätzliches Jurastudium sei nicht verkehrt. Juristen denken anders, das hat mich  interessiert. Als ich dann drei Mal durch die erste Prüfung gefallen bin, hat mich der Ärger gepackt und ich wollte beweisen, dass ich es kann. Ärger ist ein guter Antrieb. Meine Laufbahn hat sich dann anders entwickelt, aber die Jurakenntnisse haben mir später bei der Gründung unserer Firma hte geholfen.

    Sie feiern in diesem Jahr Ihren 65. Geburtstag. Für viele Berufstätige ist das ein Wendepunkt im Leben. Wie ist es für Sie?
    Ich habe vor, in dem für Max-Planck-Direktoren ohne größere Hürden möglichen Renteneintrittsalter von 68 Jahren aufzuhören. Das wäre dann knapp zwei Jahre später als das reguläre Pensionierungsalter. Bis dahin, wir sprechen von 2028, sollten die Promotionsvorhaben in meinem Bereich abgeschlossen sein, bis dahin läuft auch – für mich mit einigen Monaten am Emeritusarbeitsplatz – das ERC-Projekt. Ich freue mich auf die neuen Freiheiten als Pensionär. Ich werde Bücher schreiben, als Erstes vielleicht ein Buch über Energie. Und ich will Deutschland durchwandern: einmal längs von Nord nach Süd.

     

    Saarbrücken 2018 © Robertus Koppies

    © Robert Eickelpoth

    Prof. Dr. Ferdi Schüth

    Zur Person

    Ferdi Schüth, Jahrgang 1960, studierte Chemie und Jura an der Universität Münster und wurde 1988 in Chemie promoviert. Nach einem Postdoc-Aufenthalt an der Universität von Minnesota habilitierte er sich in Anorganischer Chemie in Mainz. 1995 wurde er Professor an der Universität Frankfurt. 1998 zog es ihn nach Mülheim an der Ruhr, wo er Direktor am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung wurde. Seit 1999 ist er auch Honorarprofessor an der Ruhr-Universität Bochum. Im selben Jahr gründete er mit sechs Kollegen die hte GmbH. Deren Geschäftsmodell basiert auf einem Verfahren, mit dem sich optimale Katalysatoren für chemische Reaktionen schnell und effizient finden lassen. Insgesamt geht es in Schüths Forschung um Katalyse, Zeolithe, poröse Materialien und energiebezogene Themen. 

    Ferdi Schüth hatte und hat zahlreiche Funktionen in wissenschaftlichen Gesellschaften und Gremien inne. So war er unter anderem von 2014 bis 2020 Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft mit Zuständigkeit für die Fachgebiete Chemie, Physik und Technik. Er hat viele Auszeichnungen für seine wissenschaftliche Arbeit erhalten, darunter den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Als Mitglied der Leopoldina leitet er, zusammen mit Robert Schlögl, die Fokusgruppe „Klima und Energie“.

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    Katharina Kohse-Höinghaus: „Morgens klingelten oft drei Wecker“

    „Morgens klingelten oft drei Wecker“

    Katharina Kohse-Höinghaus, Seniorprofessorin für Physikalische Chemie und GDNÄ-Vorstandsrätin, über ihren Weg als Wissenschaftlerin in einer männlich dominierten Disziplin, Karrieren mit Kind und warum es ohne Verbrennungsforschung nicht geht.
    Frau Professorin Kohse-Höinghaus, wir nehmen den Internationalen Frauentag am 8. März zum Anlass, um über Ihre kürzlich erschienene Autobiografie zu sprechen. Sie schildern darin Ihren Weg als Frau in einem technischen Gebiet, wie es im Untertitel heißt. Sehen Sie sich als Pionierin?
    Ja, durchaus. In der Physikalischen Chemie und speziell in der Forschung zu Verbrennungsprozessen gab es lange Zeit kaum Frauen. Als ich als frisch promovierte Chemikerin 1979 beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Stuttgart anfing, war ich dort die einzige Wissenschaftlerin. Anfangs beäugte man mich skeptisch, dann wurde ich akzeptiert. Später, als ich mich um Professuren bewarb, erfuhr ich hinter vorgehaltener Hand, dass man einen gestandenen Mann für die Stelle suche. Und keine junge Mutter mit Baby und einem Mann mit eigener Karriere, wie das bei mir der Fall war. Zum Glück änderte sich das und auch in meiner Disziplin wurden Frauen zunehmend anerkannt.

    Wie machte sich das bemerkbar?
    Herablassendes Verhalten gegenüber Fachkolleginnen kam immer seltener vor, um ein Beispiel zu nennen. Für mich persönlich waren es zwei Ereignisse, die mir das Gefühl gaben, angekommen zu sein: 2007 wurde ich als erste Frau zur Vorsitzenden der Deutschen Bunsen-Gesellschaft berufen und 2012 wurde mir als erste Frau die Präsidentschaft des Combustion Institute, der international führenden Fachgesellschaft, für vier Jahre übertragen. Beides hat auch anderen Wissenschaftlerinnen den Weg geebnet.

    Für welche Zielgruppe ist Ihr Buch gedacht?
    Vor allem für junge Leute, die eine Laufbahn in der Wissenschaft anstreben. Ich möchte ihnen an meinem Beispiel zeigen, wie kurvenreich Karrierewege verlaufen und ihnen Mut machen, ihrem eigenen Kompass zu folgen. Aber im Prinzip können alle, die sich für die Entwicklung von Naturwissenschaften und Technik in den letzten fünfzig Jahren interessieren, von dem Buch profitieren. Es ist reich bebildert und ich habe versucht, allgemeinverständlich, unterhaltsam und anschaulich zu schreiben. Auch deshalb denke ich, dass der Band sich gut als Geschenk oder als Preis für besondere Leistungen eignet.

     © aus dem Buch „Burning for Science“

    Promotion 1978, hier mit Betreuer Professor Friedrich Stuhl.
    Sie haben das Buch auf Englisch geschrieben. Warum nicht auf Deutsch?
    Englisch ist heute die globale Wissenschaftssprache und mein akademisches Netzwerk ist international. Ich möchte, dass meine Kolleginnen und Kollegen in aller Welt das Buch mühelos lesen können. Jungen Menschen ist das Englische heute ohnehin vertraut, da sehe ich keine Probleme.

    In Ihrer Jugend war das anders. Und dass sie einmal Professorin für Physikalische Chemie werden sollten, war damals nicht abzusehen.
    Das stimmt. Ich bin in einer Lehrerfamilie im Ruhrgebiet aufgewachsen und meine Eltern waren nicht begeistert, als ich Chemie studieren wollte. Kriegt man mit so einem Abschluss überhaupt einen Mann? Heute kann man sich das kaum noch vorstellen, aber damals gab es solche Sorgen. Einfach war es für mich auch an der Uni nicht. Ich kam von einem neusprachlichen Gymnasium, hatte Defizite in Mathe und Physik und musste in den ersten Semestern an der Universität Bochum eine Menge aufholen. Morgens klingelten oft drei Wecker, die ich mir gestellt hatte, um nur ja keinen Kurs zu verpassen. Anstrengend war es, aber auch eine gute Zeit mit vielen Freiheiten.

    Haben Sie ein Beispiel für uns?
    Da fällt mir als Erstes ein, wie ich Ende der 1970er-Jahre einen Laser gebaut habe, der für meine Promotion in der Atmosphärenchemie wichtig war. In dem Forschungsgebiet tat sich in den 1970er-Jahren sehr viel und das öffentliche Interesse daran war groß. Hintergrund war die zunehmende Luftverschmutzung, gerade auch im Ruhrgebiet. Für meinen Laser musst ich mich tief in die Physik einarbeiten, was mir großen Spaß gemacht hat. Mein Doktorvater Friedrich Stuhl verbrachte in der Zeit ein Forschungssemester in den USA. Als er zurückkam, konnte ich ihm meine fertige Dissertation auf den Tisch legen.

    Jetzt stand Ihnen die große weite Welt der Wissenschaft offen. Welche Stationen waren entscheidend für Sie?
    Meine erste Festanstellung bekam ich 1979 in Stuttgart am DLR. Ich hatte mich vorher schon von der Atmosphärenchemie verabschiedet – jetzt wollte ich herausfinden, wo die Luftverschmutzung eigentlich herkommt und was man dagegen tun kann. Wissenschaftlich war ich also in die Verbrennungsforschung gewechselt und am DLR konnte ich solche Hochtemperaturprozesse mittels Laserspektroskopie im Detail untersuchen.

    © aus dem Buch „Burning for Science“

    Abschiedsposter der Stuttgarter Arbeitsgruppe 1994.
    Mit 27 Jahren eine Lebenszeitstelle in der Wissenschaft – davon träumen heute viele Nachwuchsforscher.
    Auch ich habe mich damals sehr über die Zusage aus Stuttgart gefreut. Ich hatte dort gute Arbeitsbedingungen, tolle Kollegen, ein sicheres Einkommen, aber nach einer Weile brauchte ich neue Herausforderungen. 1987 bin ich dann, zusammen mit meinem Mann Klaus, für ein gutes Jahr nach Kalifornien gezogen, um in Stanford zu forschen. Dort habe ich viel über Maschinenbau und Molekülspektroskopie gelernt, und beides hat mir neue Horizonte in der Verbrennungsforschung eröffnet. In dieser Zeit sind viele neue Freundschaften entstanden, die bis heute halten und ein wichtiger Teil meines beruflichen Netzwerks sind.

    Viele junge Wissenschaftlerinnen werden nicht von ihren Partnern ins Auslandsjahr begleitet, umgekehrt ist das oft anders. Wie kam es, dass Ihr Mann mitreiste?
    Wir hatten einige Jahre Fernbeziehung hinter uns und wollten das nicht wiederholen. Mein Mann hat daher als Arzt in einer Stuttgarter Klinik unbezahlten Urlaub genommen, ein Stipendium beantragt und tatsächlich bekommen. Wir waren also beide gut beschäftigt und sind 1988 mit frischen Ideen und voller Tatkraft in unsere Institute in Stuttgart zurückgekehrt.

    Zwei Jahre später, im Sommer 1990, kam Ihre Tochter zur Welt. Damals gab es weder Elterngeld noch das Anrecht auf einen Kitaplatz. Wie ging es dem Dual-Career-Paar Kohse-Höinghaus in dieser Phase?
    Es war eine Umbruchphase in jeder Hinsicht. Ich strebte eine Professur an einer Universität an, um eigenen Forschungsinteressen folgen zu können und mehr mit jungen Leuten zusammenzuarbeiten. Mein Mann suchte eine leitende Stellung in einer Klinik, die er schließlich in Oldenburg fand. Ich konnte mich, parallel zu meiner Arbeit als Gruppenleiterin am DLR, 1992 an der Universität Stuttgart habilitieren, als erste Frau an der Fakultät. Es war eine turbulente Zeit, die Klaus und ich durch unseren Zusammenhalt, mit moralischer Unterstützung von Verwandten und Freunden sowie privater Kinderbetreuung und Haushälterin überstanden haben. Unser Lebensmittelpunkt ist seither Oldenburg. Von dort pendelte ich regelmäßig an die Universität Bielefeld, wo ich 1994 auf den Lehrstuhl für Physikalische Chemie berufen worden war. Mein Mann und ich haben uns die Familienarbeit geteilt, unsere Tochter war gut versorgt. Trotzdem konnten manche es nicht lassen, mich Rabenmutter zu nennen.

    Sehen Sie sich als Rollenmodell für junge Frauen von heute, die Forschung und Familie verbinden wollen?
    Ja und nein. Für junge Familien gibt es heute mehr staatliche Unterstützung. Auch in der Forschungsförderung und bei Berufungen hat sich das Klima in Bezug auf Chancengleichheit deutlich geändert. Viele Universitäten und Forschungseinrichtungen erleichtern es mit Dual-Career-Strategien, zwei Karrieren und Familie zu verbinden. Allerdings ist es immer noch ein Spagat, der viel Einsatz erfordert. In einem experimentellen Fach wie der Chemie kann es helfen, für eine Schwangerschaft laborintensive Zeiten zu vermeiden. Und nicht nur wenn die Kinder klein sind, braucht es viel Unterstützung, viel Vorbereitung auf Eventualitäten – aber das gilt genauso für andere Berufsgruppen. Gerade im internationalen Kontext stelle ich aber fest, dass viele junge Frauen heute immer noch ähnliche Schwierigkeiten haben wie ich vor mehr als 30 Jahren.

    © aus dem Buch „Burning for Science“

    Die Messung läuft: Verbrennungsforschung am französischen Synchrotron SOLEIL nahe Paris.
    Heute sind Sie Mentorin für junge Leute. Gab es in Ihrer Laufbahn so etwas auch für Sie´?
    Nein, und das hat mir sehr gefehlt. Deshalb habe ich immer versucht, jüngere Generationen mit Rat und Tat zu unterstützen. Als Seniorprofessorin halte ich nach wie vor Kontakt zu mehr als hundert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die mit mir zusammengearbeitet haben. Zum Mentoring im weiteren Sinne zählt auch das teutolab. So nennt sich das Bielefelder Mitmachlabor, das ich als eines der allerersten solcher außerschulischen Lernorte gegründet habe, um Kinder und Jugendliche für die Naturwissenschaften zu begeistern. Der entsprechende Bundesverband, den wir aus Bielefeld mit ins Leben gerufen haben, besteht jetzt 20 Jahre, und in diesem Jahr feiern wir den 25. Geburtstag des teutolab.

    Als Seniorprofessorin sind Sie weiterhin aktiv. Wie können wir uns Ihre Tätigkeit vorstellen?
    Ich sitze viel am Schreibtisch und bin viel unterwegs. Am Schreibtisch arbeite ich an Vorträgen, Fachartikeln oder wissenschaftlichen Stellungnahmen für Akademien und Wissenschaftsorganisationen. In den letzten zwei Jahren hat mich die Arbeit an der Autobiografie intensiv beschäftigt. Als Fachwissenschaftlerin mit großem Netzwerk und langjährigen Verbindungen ins Ausland bin ich oft unterwegs, zum Beispiel in China. Ich halte es für sehr wichtig, trotz politischer Spannungen die Kontakte dorthin aufrechtzuerhalten, gerade auch zum wissenschaftlichen Nachwuchs. Ohne China gibt es keine Lösung für einige globale Probleme unserer Zeit – wir müssen zusammenarbeiten.

    Eines dieser Probleme ist der Klimawandel, der maßgeblich auf die Verbrennung fossiler Energieträger zurückgeht. Hat Sie das nicht an Ihrem Fachgebiet zweifeln lassen?
    Absolut nicht. Wir müssen die Verbrennung fossiler Rohstoffe aufgeben, nicht aber die Verbrennungsforschung. Denn sie liefert wissenschaftliche Grundlagen, die wir für die Entwicklung klimaneutraler Treibstoffe für Industrie und Verkehr brauchen. Die Verbrennungsforschung gibt uns auch das Rüstzeug für eine bessere Bekämpfung von Großbränden, sei es in der freien Natur oder in Städten. Mit meiner Forschung konnte ich einen Beitrag zum Verständnis der komplexen chemischen Reaktionen in Hochtemperaturprozessen leisten und Wege zur Vermeidung von Schadstoffen aufzeigen. Und das gibt mir ein gutes Gefühl.

    Saarbrücken 2018 © Robertus Koppies

    © Universität Bielefeld / Norma Langohr

    Prof. Dr. Katharina Kohse-Höinghaus.

    Das Buch

    Katharina Kohse-Höinghaus: Burning for Science – A Woman in a Technical Field, GNT Publishing GmbH, Berlin 2025

    Zur Buchreihe

    Die autobiografische Reihe „Lives in Chemistry – Lebenswerke in der Chemie“ gibt Einblicke in das Leben und Denken herausragender Forscher im Spiegel der Zeit. Erfolgreiche Chemiker beschreiben darin authentisch und persönlich, wie Neues in den Naturwissenschaften entsteht. Herausgegeben wird die Reihe vom Beirat der Fachgruppe Geschichte der Chemie in der Gesellschaft Deutscher Chemiker.

    Am 8. März 2025 erscheint in dieser Reihe die Autobiografie einer weiteren Wissenschaftspionierin, der Chemikerin Sigrid Peyerimhoff: „Ab initio – Ein Leben für die Quantenchemie“, GNT Publishing GmbH, Berlin 2025. Professorin Peyerimhoff erhielt 2018 die Alexander-von-Humboldt-Medaille der GDNÄ für ihre herausragenden Verdienste um die Weiterentwicklung der Naturforschergesellschaft.

    © aus dem Buch „Burning for Science“

    Habilitation 1992, erwartet von Mann und Tochter.
    Zur Person

    Katharina Kohse-Höinghaus ist Senior-Professorin für Physikalische Chemie an der Universität Bielefeld. Die 73-jährige Wissenschaftlerin ist international bekannt für die Diagnostik von Verbrennungsvorgängen mittels Laserspektroskopie und Massenspektrometrie.

    Von 1994 bis 2017 leitete sie an der Universität Bielefeld einen Lehrstuhl für Physikalische Chemie. Zuvor forschte Kohse-Höinghaus an verschiedenen Institutionen im In- und Ausland 1992 habilitierte sie sich mit einem Thema aus der Energietechnik an der Universität Stuttgart.

    Auf Initiative von Katharina Kohse-Höinghaus wurde im Jahr 2000 eines der ersten deutschen Mitmachlabore, das teutolab, gegründet. Inzwischen gibt es Satellitenlabore in der Region Bielefeld, im europäischen Ausland und in Asien.

    Die international renommierte Wissenschaftlerin ist Mitglied mehrerer Akademien, darunter die Leopoldina und die acatech, sowie zahlreicher Gremien und Wissenschaftseinrichtungen im In- und Ausland. Sie erhielt viele Auszeichnungen, zum Beispiel das Bundesverdienstkreuz am Bande sowie Ehren- und Gastprofessuren in mehreren Ländern. Im Jahr 2007 wurde sie als erste Frau zur Präsidentin der Deutschen Bunsen-Gesellschaft gewählt und als erste Europäerin war Katharina Kohse-Höinghaus von 2012 bis 2016 Präsidentin des International Combustion Institute. Sie ist seit vielen Jahren Mitglied der GDNÄ und zählt zu den Mitgestaltern der wissenschaftlichen Tagungsprogramme im Bereich Technikwissenschaften.

    Zum Weiterlesen:

    © Andreas Brockhinke

    Professorin Kohse-Höinghaus in ihrem Bielefelder Büro im Jahr 2011.