200-Jahr-Feier der GDNÄ: ein glanzvolles Fest der Wissenschaften
von Prof. Dr. Michael Dröscher, Schatzmeister und Generalsekretär
Wie vital und zukunftsfähig die fachübergreifende Forschergesellschaft bis heute ist, stellte sie bei ihrer 200-Jahr-Feier am Gründungsort Leipzig unter Beweis. Es war ein prachtvolles Fest der Wissenschaften, das die Gesellschaft Deutscher Naturwissenschaftler und Ärzte (GDNÄ) vom 8. bis 11. September 2022 in der schönen Atmosphäre der Leipziger Kongresshalle am Zoo unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier ausrichtete. Rund 800 GDNÄ-Mitglieder und Gäste, darunter mehr als 200 Schülerinnen und Schüler sowie Studierende, waren gekommen, um den Geburtstag der Gesellschaft mit einem hochkarätigen Programm zum Thema „Wissenschaft im Bild“ zu feiern.
Im Jahr 1822 von freisinnigen Köpfen in Leipzig auf Einladung von Lorenz Oken gegründet, hat sich die GDNÄ im Laufe ihrer 132 Versammlungen vom Treffen der naturwissenschaftlich-medizinischen Elite Europas hin zu einem Austausch hochrangiger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit an den Naturwissenschaften interessierten Menschen entwickelt. In den allgemeinverständlichen Vorträ- gen aus Chemie, Physik, Biologie, Informatik und Medizin zeigte sich, wie interdisziplinär Wissenschaft heute ist und sein muss.
© MIKA-fotografie | Berlin
Beim Festabend nach dem ersten Versammlungstag: Michael Dröscher begrüßt die Gäste mit launigen Worten (hinter ihm v.l.n.r.: Ronald Werner, Jörg Junhold, Martin Lohse).
Zur besonderen Feier des Jubiläums war das Programm nicht nur auf vier Tage ausgedehnt, sondern bot den Teilnehmern auch eine wissenschaftliche Ausstellung mit Mitmachaktivitäten und eine deutli- che Ausweitung des Schülerprogramms. Die Schülerinnen, Schüler und Studierenden nahmen nicht nur am kompletten wissenschaftlichen Programm teil. Sie bestritten durch ihre Fragen an die Wissen- schaft wesentliche Programmpunkte mit, gestalteten einen begeistert aufgenommenen Science Slam, nahmen die Gelegenheit zur Studienberatung wahr und tauschten sich freimütig mit Rednern und Gästen aus.
Der Eröffnungstag stand im Zeichen der Festsitzung, eingestimmt und umrahmt vom Albero-Streich- quartett mit Musik von Felix Mendelssohn-Bartholdy, Maurice Ravel und Ludwig van Beethoven.
GDNÄ-Präsident Professor Martin Lohse und der örtliche Geschäftsführer und Gastgeber Zoodirektor Professor Jörg Junhold eröffneten die Festsitzung in der Kongresshalle. Mit den Worten „Die GDNÄ steht für Austausch und Offenheit“, begrüßte die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Bettina Stark-Watzinger, die Festgesellschaft in ihrer Videobotschaft. Landtagspräsident Dr. Matthias Rößler wies in seinem Grußwort auf die enge Verbindung Sachsens mit der GDNÄ hin, die zum neunten Mal im Freistaat tagte und hob die Förderung des Dialogs der Wissenschaft und der Öffentlichkeit heraus. Auf die große Bedeutung des Wissenschaftsstandorts Leipzig wies Bürgermeister Professor Thomas Fabian hin.
Die GDNÄ lebt vom Engagement ihrer Mitglieder. Deshalb verleiht sie alle zwei Jahre die Alexander von-Humboldt-Medaille für besondere Beiträge zur Entwicklung der Gesellschaft. Im Rahmen der Festsitzung ehrte sie Professor Joachim Treusch für seine Verdienste als Vorstandsmitglied, Präsident und langjähriger Begleiter des Vorstands. In ihrer Laudatio sagte Professorin Eva-Maria Neher: „Unser heutiger Laureat, Joachim Treusch, gehört mit Alexander von Humboldt zu den ‚Weitblickern‘, die nicht nur die GDNÄ gestaltet, sondern mit und als Teil von ihr die Wissenschaften geprägt, die Kommunikation in die Gesellschaft vorangetrieben und die Politik maßgeblich überzeugt haben, Innovationen und Veränderungen zu fördern.“ Die Medaille würdigt insbesondere den Beitrag des Preisträgers zur Umsetzung des Schülerprogramms und seine Verknüpfung der Gesellschaft mit den Netzwerken der Wissenschaft. Als Gründungspräsident der Helmholtz-Gemeinschaft, Senatsmitglied der Leopoldina und Mitglied der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften hat Professor Treusch viele Verbindungen zur GDNÄ mitgestaltet.
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Schülerinnen und Schüler umringen Physik-Nobelpreisträger Reinhard Genzel nach seinem Vortrag „Eine 40-jährige Reise zum Zentrum der Milchstraße“.
Im Fachgebiet Biologie diskutierten junge Leute die Frage „Wie müsste eine Alge verändert und eingesetzt werden, um möglichst schnell, praktikabel, zuverlässig und risikofrei Treibhausgase, wie das atmosphärische und im Meerwasser gelöste CO2, in nutzbares organisches Material umzuwandeln und wie könnte das technisch realisiert werden?“ mit Professorin Antje Boetius, der Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts für Polar- und Meeresforschung. „Was halten Sie für notwendig, um Individualmedizin für jeden Menschen zeitnah realisieren zu können?“ – so lautete die Frage des Medizin-Teams an Professor Patrick Cramer, ab 2023 Präsident der Max-Planck-Gesellschaft. „Wie realisiert die Wissenschaft die perfekte Stadt von morgen?“ wurde Professor Johann-Dietrich Wörner, Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften, von der Fachgruppe Technik/Ingenieurwissenschaften gefragt. Das von Martin Lohse moderierte Gespräch findet sich, ebenso wie alle Vorträge auf dem Videokanal der Gesellschaft.
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Der Vortrag des Physik-Nobelpreisträgers Professor Reinhard Genzel lockte viele Leipzigerinnen und Leipziger in die Kongresshalle am Zoo.
Ebenfalls auf der großen Bühne präsentierten drei weitere Schülergruppen ihre Fragen am nächsten Tag im Rahmen der Biologie-Session. Vizepräsident Professor Heribert Hofer moderierte die zweite Runde. „Muss die Chemie Plastik neu erfinden, um die Vorteile zu erhalten sowie die bekannten Nach- teile zu eliminieren und kann die Wissenschaft bereits vorhandenen Plastikmüll beseitigen und dies ökonomisch attraktiv gestalten?“, wurde Professor Michael Buchmeiser, Direktor des Instituts für Polymerchemie der Universität Stuttgart, gefragt. Die Frage der Mathematik/Informatik-Gruppe „Wie kann die Informatik trotz fortschreitender Digitalisierung den Energie- und Ressourcenverbrauch der Datenspeicherung und Kommunikation auf ein Minimum reduzieren?“ richtete sich an Professor Wolfgang Wahlster, Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz. Auf die von der Physik-Gruppe gestellte Frage zur Wissenschaftskommunikation „Wie kann die Wissenschaft es erreichen, die dringendsten Probleme so verständlich zu kommunizieren, dass sie zu direkten Handlungen führt?“ antwortete Professorin Katharina Kohse-Höinghaus, Universität Bielefeld.
Zurück zur Festsitzung: Bilder und Reisen war das Thema des Podiums im zweiten Teil. Präsident Lohse führte in das Tagungsthema ein. „Alle Wissenschaften streben danach, genaue Bilder zu er- zeugen. Sie nutzen dafür künstliche ebenso wie natürliche Intelligenz, den großen Instrumentenkasten der Informatik, ausgeklügelte Methoden der Physik und eigens konzipierte Bausteine der Chemie. Um etwa die Moleküle des Lebens immer exakter abzubilden werden optimierte Farbstoffe und Markierungsstrategien, komplexe Licht- und Elektronenmikroskope, effiziente Algorithmen und einleuchtende Visualisierungen gebraucht. Impulse für die Podiumsdiskussion gaben Professor Oliver Lubrich, Universität Bern, zu „Alexander von Humboldts Bilder der Wissenschaft“, Professorin Antje Boetius mit einem Bericht über die MOSAiC-Expedition, die zusätzlich durch Bilder in der Ausstellung dokumentiert wurde, sowie Professor Günther Hasinger, European Space Agency, mit seinem Blick auf Schwarze Löcher und das Schicksal des Universums.
Mit einem Glas Sekt in der Hand eröffneten Professor Jörg Junhold und Dr. Ronald Werner, der Vertreter der Sächsischen Staatsregierung, den Festabend im Konzertgarten des Zoos. Mit Musik vom Alberto Quartet und einem Flying Buffet wurde gebührend gefeiert.
Aber nicht nur das. Um 19.30 Uhr war im Weißen Saal „Wissenschaft in 5 Minuten“ angesetzt. Dieses Format fand zum dritten Mal statt, immer moderiert von Vizepräsident Professor Heribert Hofer. Vor vollem Saal traten 13 junge Menschen, einzeln oder in Teams, an. Mit ihren Themen „Alkylpolyglucoside und Konservierungsstoffe mal anders“, „Geschlecht in der Medizin“, „Einsatz von Lehm im kommerziellen Bauwesen – ein signifikanter Beitrag zu Wegen aus der Klimakrise“, „Fullerene und der medizinische Einsatz“, „Wird KI unsere Welt übernehmen?“, „Warum lässt sich aus zwei kollidierenden Blöcken die Zahl Pi berechnen?“, „Spannung oder Strom, was ist der Killer?“, „Wie können tonnenschwere Maschinen fliegen?“, „Das Periodensystem der Elemente – tödlicher als Du denkst“ sowie „Interstellare Reisen“ konnten die jungen Rednerinnen und Redner das Publikum so begeistern und zu Beifallstürmen hinreißen, dass es am Ende 5 erste und 5 zweite Plätze gab, die mit jeweils 200 beziehungsweise 100 Euro belohnt wurden.
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Gut besucht, gern genutzt: Die Studienberatung durch ausgewiesene Experten am Samstag, 10. Oktober.
Der zweite Tag begann mit der von Professorin Tina Romeis geleiteten Biologie-Session. Verborgenen Wildtieren tropischer Regenwälder war Dr. Andreas Wilting auf der Spur, während Professor Markus Sauer in die „Neuesten Entwicklungen der Super-Resolutions-Mikroskopie“, einführte.
Der Wissenschaftsmarkt war am Freitag und Samstag von 10 bis 16 Uhr geöffnet. Er bot nicht nur interessante Einblicke, etwa in die MOSAiC-Ausstellung „Into the Ice“ und die Ausstellung „Faszination Wissenschaft“ der Fotografin Herlinde Koelbl, sondern auch Mitmachaktivitäten. Vertreten waren das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie (Forschungsstätte von Professor Svante Pääbo, Medizin-Nobelpreisträger 2022), die Leibniz-Institute für Photonische Technologien, Jena, Troposphärenforschung und Länderkunde, beide aus Leipzig, sowie das Leipziger Max-Planck-Institut für Mathematik in den Naturwissenschaften. Der Archivar der Gesellschaft, Dr. Matthias Röschner, hatte einige besonders interessante Stücke aus dem GDNÄ-Archiv im Deutschen Museum mitgebracht.
Im acatech „Science and Technology Café“ lud Privatdozent Marc-Denis Weitze in der Mittagspause zum Thema „In welcher Welt wollen wir leben/Wissenschaft für morgen“ ein. Parallel dazu moderierte Lilo Berg ein Gespräch zur Geschichte der GDNÄ mit Professor Dietrich von Engelhardt und dem Archivar Dr. Matthias Röschner.
Der Nachmittag begann im Rahmen der von Professor Wolfgang Lubitz geleiteten Chemie-Session mit der Verleihung der Liebig-Denkmünze der Gesellschaft Deutscher Chemiker durch den GDCh-Präsidenten Dr. Karsten Danielmeier an Professorin Claudia Felser, Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe. Die Laudatorin, Professorin Barbara Albert, Rektorin der Universität Duisburg-Essen, lobte die Preisträgerin als Visionärin der festen Materialien. In ihrem Vortrag berichtete Claudia Felser über „Chiralität und Topologie“. Beiträge zur NMR-unterstützten Strukturbiologie von Professor Bernd Reif, Einblicken in die molekulare Architektur von Zellen durch Professor Wolfgang Baumeister und Begegnungen mit Nanomaschinen bei der Arbeit, vermittelt durch Professor Helmut Grubmüller, vollendeten die Chemie-Session.
Der öffentliche Abendvortrag des Physik-Nobelpreisträgers Reinhard Genzel über seine 40-jährige Reise zum Zentrum der Milchstraße lockte außer den Tagungsteilnehmern auch viele Bürgerinnen und Bürger aus Leipzig an. Professor Genzel nahm sich nach dem Vortrag viel Zeit, um mit den Schülerinnen und Schülern zu sprechen. Anschließend strömten die Tagungsteilnehmer zur Nikolaikirche, um Werke von Georg Phillip Telemann, Johann Sebastian Bach, Max Reger und Richard Wagner zu hören. Unter der Leitung des Universitätsmusikdirektors David Timm (Orgel) musizierten Viktorija Kaminskaite (Gesang), Alexander Bernhard (Trompete) und Reiko Brockelt (Altsaxophon). Zwischen den Musikstücken erläuterte Superintendent Sebastian Feydt die Bedeutung der Nikolaikirche für die Friedliche Revolution 1989.
Nach der frühen GDNÄ-Mitgliederversammlung begann der Samstagmorgen mit der von Professor Thomas Elsässer geleiteten Physik-Session. Mit Bildern aus der Nanowelt, zeitaufgelöster Röntgenkristallografie und der Vielfalt der extrasolaren Planeten beindruckten Professor Roland Wiesendanger, Professorin Petra Fromme und Professorin Heike Rauer die Zuhörer.
Das Thema des gut besuchten acatech „Science and Technology Cafés“ in der Mittagspause war die Digitalisierung der Medizin. Gleichzeitig ließen sich die Schülerinnen und Schüler in großer Zahl von den Mitgliedern des Vorstandsrats der GDNÄ über die Studienmöglichkeiten in den Naturwissenschaften, in Informatik, Medizin und Veterinärmedizin beraten.
Der Nachmittag war Themen aus Technik und Informatik gewidmet und stand unter Leitung von Professor Johannes Buchmann. Professor Stefan Roth berichtete über Bildanalysen und das Bildverstehen für das autonome Fahren und Professor Christian Theobalt über Maschinelles Lernen in Computergrafik und Bilderkennung. Mit dem Thema Echtzeit-Strahlverfolgung für die fotorealistische Visualisierung schloss Professor Philipp Slusallek den Informatikteil ab.
Zum darauf folgenden öffentlichen Leopoldina-Vortrag von Markus Gross, Informatikprofessor an der ETH Zürich und Direktor von Disney Research, über computergenerierte Hollywood-Filme mit beindrucken- den Bildern und Technologien strömten erneut viele Bürgerinnen und Bürger Leipzigs in die Kongresshalle am Zoo.
Nach dem Vortrag waren die Referentinnen und Referenten von Oberbürgermeister und Zoodirektor in das Gondwanaland des Zoos zu einem Abend in tropischer Umgebung eingeladen.
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Der Sonntag war der Medizin gewidmet, eingeführt von Professor Jürgen Floege. Den Auftakt machte Professor Jens Frahm mit beeindruckenden Bildern der Echtzeit-Magnetresonanz-Tomografie. Künstler beim Trompetespiel und Singen von innen betrachten zu können war beeindruckend.
Anschließend stand die neue RNA-Medizin im Mittelpunkt. Professor Jörg Vogel, Professor Lorenz Meinel und Professorin Stefanie Dimmeler führten in das Gebiet ein und diskutierten über künftige Entwicklungen zusammen mit GDNÄ-Präsident Professor Martin Lohse.
Der Präsident dankte zum Abschluss den Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die von nah und fern angereist waren, den Sprecherinnen und Sprechern sowie den Podiumsgästen, den Mitgliedern des Vorstands und des Vorstandsrats sowie den lokalen Teams von Zoo und Kongresshalle um Professor Jörg Junhold. Er hob den großen Einsatz derjenigen hervor, die bei der Vorbereitung und Durchführung dieser Tagung geholfen haben. Er dankte insbesondere den Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle, Frau Landeck und Frau Diete, die von den Teilnehmern mit großem Beifall bedacht wurden.
Der Dank des Präsidenten galt darüber hinaus der Stadt Leipzig und dem Land Sachsen für ihre Gastfreundschaft, dem Superintendenten der Nikolaikirche, Sebastian Feydt, sowie den Musikern des Jubiläumskonzerts, den Schülerinnen und Schülern um Studienrat Paul Mühlenhoff, dem Team Instagram aus Stuttgart um Professor Alexander Mäder, dem Archiv der GDNÄ um Matthias Röschner und allen Ausstellern im tagungsbegleitenden „Markt der Wissenschaften“, dem Autorenteam der Festschrift um Lilo Berg und Thomas Liebscher sowie allen Förderern, Spendern und Stiftern.
Die nächste Versammlung der GDNÄ wird im September 2024 in Potsdam stattfinden, dann unter der Leitung des Berliner Zoologen Professor Heribert Hofer.
Alle Vorträge wurden im Livestream übertragen und stehen über www.gdnae.de als Video zur Verfügung. Eine Fotogalerie, das Versammlungs-Tagebuch und viele weitere Beiträge auf der Website erinnern an die glanzvolle 200-Jahr-Feier der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte im September 2022 in Leipzig.
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Das Jubiläumskonzert in der Nikolaikirche – ein unvergessliches Erlebnis zum Abschluss des zweiten Versammlungstages.
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