„So eine Chance gibt es nur einmal im Leben“
Herr Professor Hasinger, vor einem Jahr wurden Sie als Gründungsdirektor des Deutschen Zentrums für Astrophysik (DZA) in der sächsischen Lausitz berufen. Wie können wir uns Ihren Arbeitsalltag vorstellen?
Von einem Alltag im üblichen Sinn kann man noch nicht sprechen, dafür gibt es uns nicht lange genug. Die politische Entscheidung für unser Zentrum fiel ja erst im Herbst 2022. Das war quasi unser Urknall: Davor gab es nichts, jetzt entsteht alles Schritt für Schritt.
Was sind die nächsten Etappen?
Bereits 2025 werden wir hier drei große internationale Fachkonferenzen ausrichten. Anfang 2026 ist die offizielle Gründung des DZA vorgesehen – derzeit befinden wir uns noch in der Aufbauphase. Im Wintersemester 2026/2027 soll der neue Masterstudiengang Astrophysik mit fünf Professuren an der Technischen Universität Dresden anlaufen. Um 2030 hoffen wir, unsere neuen zentralen Gebäude am Ortsrand von Görlitz beziehen zu können. In rund zehn Jahren werden rund tausend Menschen am DZA arbeiten.
Ein sportlicher Zeitplan. Wo stehen Sie aktuell?
Wir liegen ziemlich gut im Plan. Im ersten Jahr haben wir gut 20 Leute eingestellt, vor allem im Verwaltungsbereich, in diesem Jahr sollen nochmal so viele dazukommen. Im historischen Postamt von Görlitz richten wir gerade ein Übergangsquartier für fünf Jahre ein. Die Planungen für das künftige Zentrum laufen auf Hochtouren. Jetzt geht es erst einmal darum, tragfähige Strukturen für ein weltweit einmaliges Großforschungszentrum zu schaffen.
Wer unterstützt Sie bei dieser Herkulesaufgabe?
Ein großes Team von tollen Kolleginnen und Kollegen aus zehn renommierten Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland, darunter das Deutsche Elektronen Synchrotron DESY in Zeuthen und die TU Dresden. Wir haben den Antrag zur Errichtung des DZA gemeinsam gestellt und teilen uns jetzt die Arbeit. Viel Unterstützung kommt auch aus Wirtschaft und Politik, direkt vor Ort in Görlitz, und natürlich auf Bundes- und Landesebene.
© Paul Glaser
Schlüsselübergabe mit prominentem Besuch: Zur Einweihung des DZA-Übergangsdomizils im Zentrum von Görlitz trafen sich im Februar 2024 (v.l.) Sachsens Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow, TU-Dresden-Rektorin Ursula Staudinger, Ministerpräsident Michael Kretschmer, Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger, DZA-Chef Günther Hasinger und der Görlitzer OB Octavian Ursu.
Ermöglicht wird das DZA durch Mittel aus dem Strukturwandelfonds für Braunkohlegebiete. Wie hoch ist das Budget?
Bis 2038 stehen staatlicherseits insgesamt 1,2 Milliarden Euro zur Verfügung. Das Geld kommt zu 90 Prozent vom Bund und zu zehn Prozent vom Land Sachsen und fließt in Jahrestranchen. Zusätzlich wollen wir Drittmittel von nationaler und internationaler Seite einwerben. Unser Budget ist großzügig bemessen, aber damit allein ist es nicht getan.
Sie brauchen mehr?
Wir müssen auch an Wohnungen, Schulen und Kitas für unsere Mitarbeiter denken, an die Lebensqualität vor Ort, an Straßen und Bahnstrecken. Zu solchen Themen führen wir gerade viele Gespräche. Fantastisch wäre eine neue ICE-Strecke, die Berlin über Dresden und Görlitz nach Breslau führt. Verkehrsmäßig ist die Region derzeit abgehängt, aber mit schnellen Zugverbindungen ergäben sich ganz neue Chancen – auch für wissenschaftliche Kontakte, wie wir sie gerade in Polen und Tschechien knüpfen, konkret zu Universitäten in Breslau und Prag.
© Paul Glaser
Bei einer Diskussionsveranstaltung zu den Perspektiven des Wissenschaftslands Sachsen im Januar 2024 in Crostwitz.
Stichwort Wissenschaft: Wo liegt der Fokus des DZA?
Es gibt drei Schwerpunkte. Zum einen die astrophysikalische Grundlagenforschung, die uns helfen soll, die Entwicklung des Universums zu verstehen. Hier geht es darum, Signale aus der Frühzeit des Kosmos zu empfangen und auszuwerten. Möglich ist das mit modernen Teleskopen, die über die ganze Welt verteilt sind, im chilenischen Hochland ebenso wie im antarktischen Eis. Derzeit entstehen neue, riesengroße Radioobservatorien in Australien und Afrika. Europa plant mit dem Einstein-Teleskop ein weiteres gigantisches Forschungsinstrument. Die Messergebnisse all dieser Anlagen sollen künftig in Sachsen zusammenlaufen, wo der größte zivile Datensatz der Welt entstehen wird, viel größer als das heutige Internet. Dieser Schatz soll kostengünstig und stromsparend ausgewertet werden und hier kommt unser zweiter Schwerpunkt ins Spiel: Das DZA wird neue Technologien und Algorithmen für eine ressourcenschonende Digitalisierung entwickeln, die der Gesellschaft insgesamt zugute kommen. Schwerpunkt Nummer drei ist ein Technologiezentrum, in dem wir innovative Lösungen für Observatorien entwickeln – ich denke da zum Beispiel an neue Halbleitersensoren, Silizium-Optiken oder Regelungstechniken. Durch Ausgründungen und andere Effekte sollen moderne Firmen mit rund zweitausend hochwertigen Arbeitsplätzen entstehen.
Das klingt faszinierend. Aber wie passt all das zu Görlitz, der östlichsten Stadt Deutschlands mit nur 57.000 Einwohnern, direkt an der polnischen Grenze?
Betrachtet man Europa als Ganzes, liegt das schöne Görlitz im Zentrum. In der Gegend findet sich viel wissenschaftlich-technische Kompetenz: mit der Hochschule Zittau-Görlitz, der renommierten Technischen Universität Dresden und einer langen Firmentradition in der Feinmechanik und Mikroelektronik. Von größter Bedeutung ist für uns der besonders gute Granit in der Lausitz. Nahe Görlitz, im Kreis Bautzen, planen wir ein weltweit einzigartiges Labor für astrophysikalische und kommerzielle Technikentwicklungen. Es wird zweihundert Meter unter der Erde liegen und etwa so groß wie eine U-Bahn-Station sein. Seinen Namen Low Seismic Lab verdankt es dem Lausitzer Granitstock. Der dämpft die seismischen Wellen, die den Erdboden ständig durchlaufen, hier herrscht also eine besondere geologische Ruhe, fast ohne seismische Störfaktoren. Für empfindiche Messungen, etwa von Gravitationswellen, ist das von unschätzbarem Vorteil. Das Labor eignet sich auch für die Entwicklung von Quantencomputern und andere High-Tech-Anwendungen. Wenn wir Glück haben, können wir uns demnächst am milliardenschweren Einstein-Teleskop beteiligen, dem empfindlichsten Gravitationswellen-Observatorium aller Zeiten.
Was sagen die Menschen vor Ort zum DZA und seinen großen Plänen?
Inzwischen bekommen wir viel Zuspruch. Aber ganz am Anfang gab es auch Gegenwind. Eine Bürgerinitiative in der Lausitz befürchtete eine Grundwasserabsenkung durch die Bauarbeiten und die Errichtung eines Endlagers für radioaktive Abfälle. Wir haben dann im Sommer 2022, also noch vor dem Zuschlag für unser Projekt, ein Grillfest für alle veranstaltet, um ins Gespräch zu kommen. Wie sich herausstellte, kam der Widerstand von einer kleinen, aber lauten Minderheit, alle anderen waren eher neugierig und aufgeschlossen. Als ich später die Gitarre in die Hand nahm und mich zu einer musikalischen Lebensreise von Oberammergau über München, Potsdam, Hawaii, Madrid bis Görlitz begleitete, war das Eis gebrochen. Wir machen das Grillfest jetzt jedes Jahr. Für diesen Sommer habe ich versprochen, ein Lied auf Sorbisch zu singen. Da muss ich noch kräftig üben.
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Das Gitarren-Solo des DZA-Chefs, hier im August 2023 in Cunnewitz, ist ein fester Programmpunkt der Grill- und Infoabende für die Bevölkerung.
Ein Astrophysiker, der sich mit der Gitarre auf die Bühne stellt und singt – das hat man nicht alle Tage. Wie kommt’s?
In meiner Jugend war ich Mitglied der Münchner Rockband „Saffran“, die eine Platte veröffentlichte und es immerhin auf die Titelseite der Bravo schaffte. Später wollte ich Tontechniker werden, entschied mich dann aber doch für ein Physikstudium. Dass ich für die Astrophysik Feuer gefangen habe, verdanke ich zwei begnadeten akademischen Lehrern, Joachim Trümper und Rudolf Kippenhahn. Beide waren Max-Planck-Direktoren, das wollte ich auch werden. Das hat geklappt und daraus entwickelte sich alles Weitere.
Sie haben den Gründungsauftrag für das DZA in einem Alter übernommen, in dem andere längst in Pension sind. Was hat Sie gereizt?
Die Riesenchance – so etwas gibt es nur einmal im Leben. Große Institute mit bis zu tausend Mitarbeitern habe ich auch vorher schon geleitet, aber ein Zentrum von Null auf Hundert zu bringen, das ist neu und reizt mich sehr. Endlich wird wahr, was wir als Fachcommunity seit Jahrzehnten in unseren Denkschriften fordern: ein nationales Zentrum für Astrophysik.
Vor Kurzem wurden Sie 70. Ist Ruhestand für Sie überhaupt eine Option?
Erst einmal will ich das DZA zum Laufen bringen und helfen, meine Nachfolge zu regeln. Das wird bestimmt noch ein paar Jahre dauern. Danach will ich mich zur Ruhe setzen, aber nicht untätig sein. Mein 2005 erschienenes Sachbuch „Das Schicksal des Universums“ braucht dringend eine Fortsetzung. Die will ich schreiben und mich musikalisch weiterentwickeln – Kontrabass lernen, das könnte mir gefallen.
Bei der 200-Jahr-Feier der GDNÄ in Leipzig haben Sie einen Vortrag über Schwarze Löcher und das Schicksal des Universums gehalten. Wie haben Sie das Jubiläum in Erinnerung?
Als ein Wissenschaftsfest in elegantem Ambiente und mit reichhaltigem Programm. Es war eine Leistungsschau der Forschung vor eindrucksvollem Publikum.
Wenn wir uns das Wissenschaftssystem als Orchester vorstellen: Welchen Part übernimmt die GDNÄ?
Ich stelle mir die GDNÄ vielleicht als die Bratsche vor. Ihr warmer, dunkler Klang bildet eine Art Brücke von der Ersten und Zweiten Geige zu den tiefen Streichinstrumenten Cello und Kontrabass. Einige der allergrößten Komponisten waren Bratscher, zum Beispiel Bach, Beethoven und Mozart.
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Prof. Dr. Günther Hasinger, Gründungsdirektor des Deutschen Zentrums für Astrophysik.
Zur Person
Günther Hasinger kam am 28. April 1954 in Oberammergau zur Welt. Er studierte Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität München; dort forschte er auch für seine Promotion (1984) und seine Habilitation (1995). Von 1994 bis 2001 war er Direktor am Astrophysikalischen Institut in Potsdam und Professor an der dortigen Universität. 2001 wurde er zum Direktor am Max-Planck-Institut (MPI) für Extraterrestrische Physik in Garching berufen; im Jahr 2008 übernahm er die wissenschaftliche Leitung des MPI für Plasmaphysik. 2011 ging er als Direktor an das Institute for Astronomy der University of Hawaii at Manoa und wechselte 2018 nach Madrid, um dort bis Anfang 2023 als Wissenschaftsdirektor der Europäischen Raumfahrtagentur ESA zu arbeiten. Anschließend kehrte er nach Deutschland zurück. Seit April 2023 ist er designierter Gründungsdirektor des Deutschen Zentrums für Astrophysik, gleichzeitig Exzellenzprofessor an der TU Dresden und leitender Wissenschaftler am DESY.
In seiner Forschung konzentriert sich Hasinger auf die Entwicklung entfernter aktiver Galaxien und die Rolle Schwarzer Löcher bei deren Entstehung. Er gilt als einer der führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet der Röntgenastronomie.
Günther Hasinger erhielt mehrere Preise, darunter 2005 den Leibniz-Preis der DFG. Er ist Mitglied der Leopoldina und weiterer Wissenschaftsakademien. Sein Sachbuch „Das Schicksal des Universums“ wurde 2008 zum Wissenschaftsbuch des Jahres gewählt.
© Paul Glaser
Architektonische Vision: So soll der Campus Görlitz in einigen Jahren aussehen.
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