Wechsel im Vorstand

Wechsel im Vorstand

Heribert Hofer ist neuer Präsident der GDNÄ

Mit dem international renommierten Wildtierforscher übernimmt ein engagierter Förderer junger Talente die Präsidentschaft.

Professor Heribert Hofer, Direktor des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin, steht seit dem 1. Januar 2023 an der Spitze der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (GDNÄ). Der renommierte Zoologe wurde von der Mitgliederversammlung für die beiden Jahre 2023 und 2024 in das Präsidentenamt gewählt und ist damit zuständig für die wissenschaftliche Gestaltung der 133. Versammlung im Jahr 2024 in Potsdam. Als Präsident löst er den Pharmakologen Professor Martin Lohse ab, der für zwei Jahre in das Amt des 1. Vizepräsidenten wechselt.

Heribert Hofer (62) leitet das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin-Friedrichsfelde seit dem Jahr 2000. Bis 2017 war er gleichzeitig Leiter der Abteilung für Evolutionäre Ökologie an seinem Institut. Seit 2000 ist Hofer zudem Professor für Interdisziplinäre Wildtierforschung an der Freien Universität Berlin. Vor seiner Berliner Zeit forschte er von 1986 bis 1999 am Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie im bayerischen Seewiesen, zunächst als Postdoktorand, später als selbstständiger Wissenschaftler. 1997 habilitierte er sich an der Ludwig-Maximilians-Universität München mit einer Arbeit über das Verhalten von Tüpfelhyänen in der Serengeti-Savanne. Sein Studium der Zoologie begann Heribert Hofer an der Universität des Saarlandes und schloss es an der Universität Oxford mit der Promotion zum „DPhil“ ab.

Der GDNÄ ist der international bekannte Wissenschaftler seit vielen Jahren eng verbunden. Er engagierte sich auf vielfältige Weise: als gewählter Fachvertreter und Gruppenvorsitzender für das Fach Biologie, mit Redebeiträgen auf Versammlungen und als 2. Vizepräsident bei der Vorbereitung der 200-Jahr-Feier in Leipzig. Besonders wichtig ist Heribert Hofer neben dem Dialog mit der Öffentlichkeit die Förderung junger Talente im Rahmen des GDNÄ-Schülerprogramms.

Wechsel im Präsidentenamt

Wechsel im Präsidentenamt

Blick zurück, Blick nach vorn

Liebe Mitglieder der GDNÄ,

mit diesem Jahr endet meine Amtszeit als Präsident der GDNÄ. Die Corona-Pandemie hat uns gezwungen, die ursprünglich für 2020 in Würzburg geplante Tagung zuerst in das Folgejahr zu verlegen und sie schließlich mit der Leipziger Jubiläumstagung im September 2022 zu fusionieren. Damit hat sich auch meine Präsidentschaft auf ungewöhnliche vier Jahre verlängert.

Das erste dieser Jahre, 2019, diente der Vorbereitung der Tagung zum Thema „Wissenschaft im Bild“, dem Gewinnen von Sprechern, dem Konzipieren eines Rahmenprogramms. Das zweite Jahr, 2020, fand praktisch nur online statt, nachdem die Bundesregierung im März den Lockdown beschlossen hatte. Auch danach waren Treffen in Gruppen zeitweise verboten oder nicht ratsam. Mit einer Expertengruppe aus GDNÄ-Mitgliedern, Landesakademien und ifo-Institut entstand im März eine Stellungnahme zum Umgang mit der Corona-Pandemie, der sich vom restriktiven Kurs der Leopoldina abhob. Die Vorschläge zu einer schrittweisen Öffnung sind vor dem Hintergrund unserer nunmehr fast zweijährigen Pandemie-Erfahrung nach wie vor interessant und aktuell. Mit dieser Stellungnahme eröffneten wir Anfang April 2020 unsere neue Website www.gdnae.de, die mit Hilfe von Nachrichten,  Berichten, Porträts und Interviews für lange Zeit das wesentliche Instrument der Kommunikation wurde. Danke an alle, die hieran mitwirkten, vor allem an unsere Redakteurin Lilo Berg.

Im dritten Jahr, 2021, standen – überraschend schnell – Impfstoffe gegen das SaRS-CoV2-Virus zur Verfügung. Selbst wenn manche in der Bevölkerung (und auch in der GDNÄ) den Injektionen skeptisch gegenüberstanden, zeigt der Blick zurück ebenso wie der heutige Blick nach China, dass sie eine zentrale Rolle bei der Überwindung der Pandemie spielten. Aber der Fortschritt war zu langsam, um eine große Versammlung abhalten zu können, und so musste die für September geplante Würzburger Tagung völlig ausfallen.

Dieses Jahr, 2022, war einerseits gekennzeichnet von sehr hohen Covid-Fallzahlen bei abnehmender Erkrankungsschwere und zurückgehenden Todeszahlen. Andererseits wurde die Krise der Pandemie abgelöst von der Krise, die der Angriff auf die Ukraine verursachte. Es wurde deutlich, dass wir persönlich und als Gesellschaft nur bedingt krisenfest und resilient sind – eine Beobachtung, die uns beschäftigen sollte! Trotz dieser Situation haben wir mit Optimismus die Erstellung der Festschrift Wenn der Funke überspringt und die Planung der Jubiläumstagung betrieben und wurden bei beidem reich belohnt! Schauen Sie doch noch einmal zurück: „Festschrift zum GDNÄ-Jubiläum“ und „200 Jahre GDNÄ – Rückblick auf die Jubiläumsversammlung 2022″

Ich bin sehr dankbar für die Möglichkeit, beides betreiben zu dürfen, und ich danke allen, die all das möglich gemacht haben: den vielen hervorragenden Sprechern, die Einblicke in ihre Forschung gaben, den Dozenten, die das Schülerprogramm auf einen guten Weg brachten, dem Vorstandsrat und den Mitarbeiterinnen der Geschäftsstelle sowie dem Team um unseren lokalen Partner Jörg Junhold vom Leipziger Zoo. Mein Dank gilt auch allen, die an der Festschrift mitgewirkt haben, den Autorinnen und Autoren, Lilo Berg für die Redaktion und Thomas Liebscher vom Passage-Verlag für die Gestaltung. Ohne finanzielle Unterstützung wären Tagung, Schülerprogramm und Festschrift nicht möglich gewesen: Hierfür danke ich der Wilhelm- und Else-Heraeus-Stiftung, der Bayer-Stiftung, der AKB-Stiftung und der Klaus Tschira Stiftung.

Martin Lohse 2022 © MIKA-fotografie | Berlin

© MIKA-fotografie | Berlin

Der Pharmakologe Professor Martin Lohse war GDNÄ-Präsident von 2019 bis 2022. Er wechselte am 1. Januar 2023 in das Amt des 1. Vizepräsidenten.

Jetzt geht der Blick nach vorn. In der Mitgliederversammlung in Leipzig wurde Anke Kaysser-Pyzalla, die Vorstandsvorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), in das Amt der 2. Vizepräsidentin gewählt; 2025 wird sie die Präsidentschaft übernehmen. Satzungsgemäß wird Heribert Hofer, Direktor des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) in Berlin, im Januar das Amt des Präsidenten 2023/24 übernehmen. Beide möchte ich in ihren neuen Funktionen begrüßen und ihnen alles Gute für ihre Aufgaben wünschen. Michael Dröscher wird weiterhin als Schatzmeister und Generalsekretär fungieren; ich selbst werde die Rolle des 1. Vizepräsidenten übernehmen.

Wir haben dieses Jahr zum ersten Mal die Wahl der Fachvertreter elektronisch durchgeführt. Gewählt wurden Marion Merklein (Erlangen-Nürnberg) für die Ingenieurwissenschaften, Uwe Hartmann (Saarbrücken) für Physik/Geologie und Peter Liggesmeyer (Kaiserslautern) für Mathematik/Informatik. Alle, die sich in der GDNÄ neu engagieren werden, heiße ich herzlich willkommen.

Es ist viel zu tun, um die nächste Versammlung 2024 in Potsdam vorzubereiten und die GDNÄ zukunftsfest zu machen. Bewährt hat sich die Einbindung junger Menschen, vor allem im Rahmen des Schülerprogramms. Und wie zuletzt bei der Verleihung der Lorenz-Oken-Medaille an Mai Thi Nguyen-Kim im Oktober angekündigt, wollen wir den Dialog mit der Gesellschaft weiter ausbauen.

Ich habe die GDNÄ als vitale Gesellschaft mit vielen tatkräftigen Mitgliedern erlebt und bin dankbar dafür, dass ich sie auf dem Weg in ihr drittes Jahrhundert begleiten durfte. Es war eine reiche Zeit!

Ich grüße Sie in herzlicher Verbundenheit und wünsche Ihnen und den Ihren alles Gute für das neue Jahr.

Ihr

Lennart Resch

Martin Lohse, Präsident der GDNÄ

Nobelpreisträger Paul J. Crutzen

© MIKA-fotografie | Berlin

Der Zoologe Professor Heribert Hofer war Vizepräsident von 2021 bis 2022. Er hat die GDNÄ-Präsidentschaft am 1. Januar 2023 übernommen.

Prof. Dr. Anke Kaysser-Pyzalla © DLR

© DLR

Professorin Anke Kaysser-Pyzalla ist Ingenieurin. Sie tritt ihr Amt als 2. Vizepräsidentin der GDNÄ am 1. Januar 2023 an.

GDNÄ wählt Anke Kaysser-Pyzalla in ihr Präsidium

GDNÄ wählt Anke Kaysser-Pyzalla in ihr Präsidium

Die Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (GDNÄ) hat Prof. Dr.-Ing. Anke Kaysser-Pyzalla im Rahmen der 200-Jahr-Feier in Leipzig zur Vizepräsidentin gewählt. Die Vorstandsvorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft und Raumfahrt (DLR) wird in den Jahren 2025 und 2026 Präsidentin der GDNÄ sein.

Die Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (GDNÄ) hat auf ihrer Mitgliederversammlung im Rahmen der 200-Jahr-Feier am Gründungsort Leipzig Professorin Dr.-Ing Kaysser-Pyzallla zur 2. Vizepräsidentin für die Jahre 2023 und 2024 gewählt. Sie wird in den Jahren 2025 und 2026 die Präsidentschaft der GDNÄ übernehmen und damit in der 200-jährigen Geschichte der Gesellschaft die dritte Frau nach Christiane Nüsslein-Volhard und Eva Maria Neher sein, die der GDNÄ vorsitzt. Heribert Hofer, der die Präsidentschaft der GDNÄ Anfang 2023 von Martin Lohse übernehmen wird, sagt: „Mit Anke Kaysser-Pyzalla kommt eine sehr engagierte Forscherin und Wissenschaftsmanagerin in das Präsidium der GDNÄ. Als Ingenieurin repräsentiert sie die Interdisziplinarität der modernen Wissenschaften.“

Die GDNÄ ist die älteste interdisziplinäre wissenschaftliche Gesellschaft Deutschlands. Seit 1822 bringt sie Wissenschaftler, Wissenschaftlerinnen und an Wissenschaft Interessierte zum fächerübergreifenden Austausch zusammen. Der Dialog zwischen Naturwissenschaften, Medizin, Technik und Öffentlichkeit ist das Grundanliegen der GDNÄ. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Förderung junger Menschen mit besonderem Interesse an den Naturwissenschaften. So nahmen an der 132. Versammlung und Festsitzung in Leipzig mehr als 200 Schülerinnen, Schüler und Studierende teil.

Nobelpreisträger Paul J. Crutzen

© DLR

Prof. Dr.-Ing. Anke Kaysser-Pyzalla

Zur Person

Anke Kaysser-Pyzalla hat in Bochum und Darmstadt Maschinenbau und Mechanik studiert. Sie promovierte und habilitierte an der Ruhr-Universität Bochum. Nach Forschungstätigkeiten am Hahn-Meitner-Institut (HMI) und an der TU Berlin forschte und lehrte sie von 2003 bis 2005 an der Technischen Universität Wien. 2005 wechselte sie als Wissenschaftliches Mitglied, Direktorin und Geschäftsführerin in die Leitung der Max-Planck-Institut für Eisenforschung GmbH nach Düsseldorf. 2008 folgte die Berufung zur Wissenschaftlichen Geschäftsführerin der Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie GmbH, die unter ihrer Leitung aus der Fusion von HMI und BESSY entstand. 2017 wurde Anke Kaysser-Pyzalla zur Präsidentin der Technischen Universität Braunschweig gewählt. Seit 2020 ist sie Vorstandsvorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR).

Die GDNÄ trauert um ihren Altpräsidenten Professor Harald Fritzsch

Professor Harald Fritzsch

Die GDNÄ trauert um ihren ehemaligen Präsidenten

Der ehemalige Präsident der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (GDNÄ), der Physiker Prof. Dr. Harald Fritzsch, ist am 16. August 2022 im Alter von 79 Jahren in München verstorben. Harald Fritzsch war in den Jahre 2003 bis 2004 Präsident der GDNÄ und leitete die 123. Versammlung in Passau.

„Harald Fritzsch war ein theoretischer Physiker, der wichtige Beiträge zur Theorie der Quarks geleistet hat“, sagt der GDNÄ-Präsident Professor Martin Lohse. „Er machte sich auch als Autor populärwissenschaftlicher Bücher einen Namen, etwa mit seinem Buch ‚Quarks‘, das 1981 erschien. In seinen späteren Werken ließ er Wissenschaftler verschiedener Epochen miteinander über schwierige physikalische Themen diskutieren.“

Harald Fritzsch wurde 1943 in Zwickau geboren. Nach dem Abitur an der Erweiterten Oberschule „Gerhart Hauptmann“ war er ab dem Sommer 1961 Soldat der Nationalen Volksarmee der DDR in Kamenz, wo er bei den Luftstreitkräften zum Funker ausgebildet wurde. Er studierte von 1963 bis 1968 in Leipzig Physik. 1968 waren er und ein Freund die Initiatoren einer riskanten, äußerst öffentlichkeitswirksamen Protestaktion gegen die Sprengung der 700 Jahre alten Paulinerkirche. Fritzsch gelang zusammen mit seinem Freund eine gewagte Flucht per Faltboot über das Schwarze Meer in die Türkei. Er setzte sein Studium in München fort, wo er 1971 unter Anleitung von Heinrich Mitter mit einer Arbeit „Über die algebraische Struktur von Observablen in der starken Wechselwirkung“ promovierte. Nach der Promotion ging er ein Jahr an das Europäische Forschungszentrum CERN bei Genf. Anschließend wechselte er mit Murray Gell-Mann zum California Institute of Technology (Caltech) in Pasadena. Von 1977 bis 1978 war er Professor an der Universität Wuppertal. 1979 wechselte Fritzsch an die Universität Bern, dann 1980 an die Ludwig-Maximilians-Universität München. 2008 wurde er emeritiert. Fritzsch war Ordentliches Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

Die GDNÄ wird ihrem ehemaligen Präsidenten, dem renommierten Physiker Professor Harald Fritzsch, ein ehrendes Andenken bewahren.

Nobelpreisträger Paul J. Crutzen

© Rotary Magazin

Professor Harald Fritzsch

RNA-Medizin. Einst unterschätzt, jetzt Hoffnungsträger

RNA-Medizin

Einst unterschätzt, jetzt Hoffnungsträger

In der Corona-Pandemie stellten mRNA-Impfstoffe ihre Wirksamkeit und Sicherheit unter Beweis. Mit ihnen beginne eine neue Ära in der Medizin, sagt der Würzburger Infektionsbiologe Jörg Vogel. Er beschreibt den Siegeszug der Ribonukleinsäure in der Therapie bei der GDNÄ-Festversammlung in Leipzig – und hier im Interview. 

Herr Professor Vogel, ein Themenschwerpunkt der Jubiläumstagung in Leipzig ist die RNA-Medizin. Was macht die neue Therapierichtung so interessant?
Die begründete Hoffnung, dass bisher unheilbare Krankheiten endlich behandelt werden können. Auslöser waren die großartigen Erfolge der mRNA-Impfstoffe in der Corona-Pandemie. Die Impfstoffe konnten nicht nur sehr schnell entwickelt werden, sie haben sich auch als hochwirksam und sicher erwiesen. Weltweit herrscht derzeit eine unglaubliche Aufbruchstimmung, manche sprechen sogar von einer medizinischen Revolution. Jetzt geht es darum, das Wirkprinzip auf möglichst viele Krankheiten zu übertragen. 

Welche Krankheiten kommen dafür infrage?
Grenzen gibt es da kaum. Die Forschung konzentriert sich aktuell auf Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Aber auch andere Volkskrankheiten wie die Demenz sind mögliche Kandidaten. Und bei zahlreichen seltenen Erkrankungen, vor allem wenn sie auf Defekte in einem einzelnen Gen zurückgehen, könnte die RNA-Medizin endlich den Durchbruch bringen. Einige RNA-Medikamente sind in der EU bereits auf dem Markt und ich rechne schon bald mit vielen neuen Therapien. 

Die RNA scheint ein Alleskönner zu sein. Wie schafft sie das?
Das hat mit ihren vielen Fähigkeiten zu tun, die lange übersehen wurden. Früher konzentrierte sich fast alles auf die Messenger-RNA, kurz: mRNA, ein Botenmolekül, das genetische Baupläne aus dem Zellkern zu den Proteinfabriken im Zytosol bringt. Neben der ebenfalls schon länger bekannten tRNA, die Aminosäuren zu den Proteinfabriken, den Ribosomen, transportieren, und der rRNA, die ein Bestandteil dieser Proteinfabriken ist, hat man in den letzten Jahren viele weitere RNA-Klassen entdeckt. Sie erhielten Namen wie miRNA für micro RNA oder siRNA für small interfering RNA. Inzwischen sind mehr als ein Dutzend verschiedene RNA-Klassen bekannt, und es kommen ständig neue hinzu. Klar ist heute: RNA steuert lebenswichtige Prozesse in den Zellen und Fehler bei dieser Steuerung können Krankheiten verursachen. Oder, um ein bisschen zu übertreiben: Die RNA ist der wahre Akteur in unseren Zellen und Organen.

Impressionen vom Vorbereitungstreffen des Schülerprogramms im Juni 2022 in Leipzig.

© SciGraphix/Sandy Westermann

Die moderne RNA-Medizin nutzt unter anderem therapeutische mRNA, Antisense-Strategien und CRISPR-Cas-Systeme zur Behandlung unterschiedlicher Krankheiten.

Wie lässt sich das Wundermolekül medizinisch nutzen?
Auf zweierlei Weise: in modifizierter Form als Wirkstoff und, wenn es um körpereigene RNA geht, als Angriffspunkt für maßgeschneiderte Wirkstoffe. mRNA-Impfungen sind ein gutes Beispiel für das erste Wirkprinzip. So enthält etwa der Corona-Impfstoff von Biontech/Pfizer eine im Labor erzeugte mRNA-Variante des Stachelproteins von SARS-CoV-2. Nach der Impfung erzeugt der Körper diese Stachelprotein-Variante, was eine starke Immunantwort hervorruft. Der Impfstoff funktioniert als Antigen, das die Bildung von Antikörpern durch das Immunsystem anstößt. In ähnlicher Weise will man das Immunsystem mithilfe gezielt veränderter RNA zur Produktion von Antikörpern gegen Krebszellen anregen. Dazu laufen bereits etliche Studien. Man könnte auch die Lungenzellen von Mukoviszidose-Patienten mithilfe der CRISPR-Cas-Methode so verändern, dass sie ein lebenswichtiges Protein in der korrekten Form herstellen. Welche dieser Therapien sich unter medizinischen und Kosten-Gesichtspunkten durchsetzen wird, kann man heute noch nicht absehen.

Bitte erläutern Sie auch das zweite Wirkprinzip an einem Beispiel.
In der Herzmedizin wird beispielsweise daran geforscht, die Produktion krankmachender Proteine durch künstlich hergestellte siRNA zu unterbinden. Dafür werden RNA-Schnipsel im Labor erzeugt, die genau komplementär zur Sequenz der körpereigenen RNA aufgebaut sind – sogenannte Antisense-Moleküle. Die Idee ist, sie an kleine Fettbläschen zu koppeln und unter die Haut zu spritzen. Diese Liposomen sollen ins Herz gelangen, um ihre siRNA-Fracht in die Zellen einzuschleusen. Die Fracht, so der Plan, dockt an der körpereigenen RNA an und legt sie lahm. Auf ähnliche Weise könnte man nicht-kodierende RNA, die im Körper zwar keine Proteine herstellen, dafür aber viele Prozesse regeln, bei Fehlfunktionen in die gewünschte Richtung lenken. 

Was kann, kurz gesagt, die RNA-Medizin, das herkömmliche Wirkstoffe nicht können?
Ein großer Vorteil ist die Programmierbarkeit: Wirkstoffe lassen sich exakt nach Bedarf entwerfen. Ein weiterer Vorzug ist die Geschwindigkeit. Man kann ein Therapeutikum am Bildschirm in Minutenschnelle entwerfen und danach zügig herstellen, wenn die Produktionskapazität da ist. Denken wir an die mRNA-Impfstoffe, die ja sehr schnell zur Verfügung standen.

Impressionen vom Vorbereitungstreffen des Schülerprogramms im Juni 2022 in Leipzig.

© RVZ

Alt und neu in ästhetischer Verbindung: Die umgebaute und erweiterte frühere Chirurgische Klinik der Würzburger Universität beherbergt jetzt zwei Forschungszentren, das Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung und das Rudolf-Virchow-Zentrum für Experimentelle Biomedizin.

Aber bewirken RNA-Therapien auch genau das, was sie sollen?
Sie sind sehr spezifisch. Vielleicht sogar spezifischer als herkömmliche Arzneimittel, die gegen Proteine gerichtet sind. Zu tun hat das mit der exakten Basenpaarung bei Nukleinsäuren. 

Und wenn gravierende Nebenwirkungen auftreten: Lässt sich die RNA wieder zurückholen?
Das wissen wir noch nicht genau. Bisher war es nicht nötig, weil die mRNA schnell wieder aus dem Körper verschwindet. Für die Zukunft werden wir uns aber etwas überlegen müssen. Bis jetzt ist es nur eine Forschungsidee, Depots mit Ersatzproteinen im Körper anzulegen. Aber wenn das gelingt, muss man natürlich Schutzmechanismen für den Fall von Unverträglichkeiten  bereithalten. Ein prinzipielles Problem sehe ich aber nicht, denn man könnte auch hier ein Gegenmittel entwerfen. Etwa ein Anti-CRISPR-Cas-Molekül, das bei Bedarf verabreicht wird. 

Anders als heutige Medikamente ist RNA sehr instabil. Wie verhindert man, dass sie im Körper schnell zerfällt und wirkungslos bleibt?
Dafür muss man ihre chemische Struktur verändern. Ein passendes Beispiel liefert wieder der mRNA-Impfstoff. Dass er so gut wirkt, ist der Biochemikerin Katalin Karikó zu verdanken. Sie hat schon weit im Vorfeld zusammen mit dem Immunologen Drew Weissmann eine Variante der Base Uridin, das Pseudouridin, in die mRNA eingebaut. Das macht das Molekül nicht nur stabiler und effizienter, es reduziert auch das Risiko von Überreaktionen des Immunsystems. 

Eine Pionierleistung, die die rettenden Impfstoffe erst ermöglichte?
Ja, und ganz bestimmt nobelpreisverdächtig. Wenn man Versuche mit nicht-modifizierter mRNA dagegenhält, dann zeigt sich, dass es ohne diese Modifikation nicht geht. Das ist der Grund, warum manche andere Impfstoffkandidaten bisher gescheitert sind. 

Lassen Sie uns ein paar technische Fragen klären. RNA-Moleküle sind groß und sehr negativ geladen. Wie bekommt man sie im Körper dorthin, wo man sie haben will?
Bei der mRNA-Impfung funktioniert das ja sehr gut: Der in den Oberarmmuskel gespritzte Impfstoff wird im Muskel von bestimmten Immunzellen aufgenommen und führt von dort aus direkt zur Immunantwort. Es wird aber, wie schon erwähnt, auch über Depots in der Nähe von Zielorganen wie Lunge, Leber oder Nieren nachgedacht. Sprays sind ebenfalls in der Diskussion. Insgesamt ist das gerade ein großes Forschungsthema. Wichtig ist dabei immer auch die Compliance: Wie gut wird die Therapie von Patienten angenommen und wie treu bleiben sie ihr – all das spielt eine Rolle. 

Heute werden RNA-Moleküle vor allem in Lipide verpackt, um sie in die Zellen zu schleusen. Ist das die beste Methode?
Derzeit ja. Erprobt werden auch Nanocages, die man sich als Käfige aus DNA zum Transport der RNA vorstellen kann. Es kommt vor allem darauf an, die vergleichsweise großen RNA-Moleküle vor den Attacken des Immunsystems und dem Abbau durch Enzyme zu schützen – an diesen Kriterien müssen sich alle Verfahren messen lassen.  

Wie lange hält die Wirkung einer RNA-Therapie an?
Das kommt auf die Technologie an. Bei der mRNA-Therapie wird das Protein, ähnlich wie bei der Corona-Impfung, nach Verabreichung für einige Tage hergestellt – danach ist die mRNA abgebaut. Das Protein wiederum kann Tage bis Wochen im Körper existieren und seine Wirkung entfalten, bis es dann ebenfalls abgebaut wird. Ein Beispiel: Bei der Therapie der Spinalen Muskelatrophie SMA müssen die Medikamente, die die mRNA-Reifung fördern, alle zwei bis vier Monate gegeben werden. 

Wie weit ist die Erprobung am Menschen?
Mit am weitesten fortgeschritten ist eine CRISPR-Cas-Studie mit einem RNA-Wirkstoff zur Behandlung der Erbkrankheit Beta-Thalassämie. Bisher benötigen die Patienten regelmäßige Bluttransfusionen. Wenn die neue Therapie sich bewährt, ist das nicht mehr nötig. Dann produziert ihr Körper das fehlende Hämoglobin. In der klinischen Prüfung sind auch neue Impfstoffe auf mRNA-Basis, etwa gegen Influenza oder Malaria.

Impressionen vom Vorbereitungstreffen des Schülerprogramms im Juni 2022 in Leipzig.

© HIRI / Luisa Macharowsky

An der anaeroben Werkbank im Labor des Helmholtz-Instituts für Infektionsforschung mit Professor Jörg Vogel (links).

Warum ist die RNA-Medizin erst jetzt ein großes Thema geworden?
Es brauchte die Pandemie, um Druck aufzubauen. Sie hat den nötigen Schub gebracht und gezeigt, dass mRNA-Impfstoffe und die RNA-Medizin insgesamt wirksam und sicher sind.  

Sie gelten als Pionier der RNA-Medizin. Was hat Sie in diese Richtung gebracht?
Ich habe Biochemie studiert und schon als Student in molekularbiologischen Laboren gearbeitet, unter anderem in der Pflanzengenetik. Dort habe ich dann auch promoviert, und zwar über molekulare Mechanismen von katalytischen RNA-Molekülen in den Chloroplasten der Gerste.  

Seit mehr als fünf Jahren leiten Sie das Helmholtz-Institut für RNA-basierte Infektionsforschung. Wo stehen Sie heute?
Das Institut hat sich prächtig entwickelt, und zwar parallel zur wachsenden Bedeutung der RNA-Forschung. Als wir anfingen, dachte man beim Thema Impfstoffe noch in erster Linie an Proteine als Wirkstoffe, nicht an RNA. Das hat sich in den letzten Jahren gründlich geändert. Innovationen erwartet man heute vor allem von der RNA-Forschung. An unserem Institut profitieren wir sehr von der Hochdurchsatzsequenzierung: Dadurch können wir wie mit einem Mikroskop in die Zellen hineinschauen und sehen, welche RNA gerade produziert werden. Mittlerweile sind wir auch ziemlich gut darin, die RNA so zu modifizieren, dass sie medizinisch nützlich ist. 

Ist der medizinische Nutzen ein großes Thema bei Ihnen?
Wenn es um neue Ansätze geht, ja. Aber wir sind Grundlagenforscher. Die Weiterentwicklung ist Sache der Industrie. 

Arbeitet Ihr Institut mit Pharmafirmen zusammen?
Bisher kaum, aber das soll sich ändern. Derzeit bereiten wir die erste Ausgründung vor. Es geht um RNA-basierte Diagnostik und um Tests, die viele verschiedene Erreger gleichzeitig nachweisen können. 

Gegen die gewöhnliche Erkältung ist bislang kein Kraut gewachsen. Ob die RNA-Medizin damit fertig wird?
Warum nicht? Ideen hätten da schon! 

Eine kürzere Version dieses Interviews findet sich in der Festschrift zum 200-jährigen Bestehen der GDNÄ „Wenn der Funke überspringt“, Leipzig 2022, ISBN 978-3-95415-130-1.

Impressionen vom Vorbereitungstreffen des Schülerprogramms im Juni 2022 in Leipzig.

© HIRI

Die RNA-Biologie ist sein Forschungsschwerpunkt: Professor Jörg Vogel

Zur Person

Jörg Vogel ist Professor für Molekulare Infektionsbiologie und Gründungsdirektor des Helmholtz-Instituts für RNA-basierte Infektionsforschung (HIRI) in Würzburg. Das Institut wird als Standort des Braunschweiger Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung zusammen mit der Universität Würzburg betrieben. Es ist das weltweit erste Institut, das RNA-Biologie und Infektionsforschung zusammenbringt. Parallel leitet Jörg Vogel das Institut für Molekulare Infektionsbiologie an der Universität Würzburg. Für seine Arbeiten zur RNA-Biologie erhielt er 2017 den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Ribonukleinsäure (RNA)

Als mRNA sorgt die Ribonukleinsäure (RNA) dafür, dass die in der DNA gespeicherten Information in die lebensnotwendigen Proteine umgesetzt werden. Andere RNA-Klassen regulieren die Aktivität der Gene oder haben katalytische Funktionen. Im Aufbau ähnelt die RNA der DNA. Im Unterschied zu dieser ist sie in der Regel einsträngig, was sie zwar weniger stabil aber auch chemisch vielseitiger als DNA macht. Mit der RNA begann auf der Erde die chemische Evolution – aus ihr haben sich wahrscheinlich alle Organismen entwickelt.  

Jürgen Floege „Die Pandemie hat uns tief in die roten Zahlen getrieben“

„Die Pandemie hat uns tief in die roten Zahlen getrieben“

Jetzt sei die Politik gefordert, sagt Professor Jürgen Floege. Er leitet die Universitätsklinik für Nieren- und Hochdruckkrankheiten in Aachen, engagiert sich für mehr Forschung und blickt gern über die Tellerrand hinaus – auch in der GDNÄ.

Herr Professor Floege, mit welchen Gedanken und Gefühlen sehen Sie als Klinikdirektor dem zweiten Pandemiewinter entgegen?
Ich bin relativ entspannt. Mit einer Belastung, wie wir sie zu Beginn der Pandemie hatten, rechne ich in diesem Winter nicht. Im Frühjahr 2020 lagen viele Schwerstkranke auf den Stationen, was auch mit der geografischen Nähe zum damaligen Corona-Hotspot Heinsberg zu tun hatte. Aktuell betreuen wir rund ein Dutzend Covid-19-Patienten in unserer Klinik. Es handelt sich zu hundert Prozent um Ungeimpfte. Einige sind jung und ohne Vorerkrankungen, dennoch müssen sie jetzt künstlich beatmet werden. Das zeigt doch ganz eindeutig: Gegen diese Krankheit hilft kein noch so starkes Immunsystem, den besten Schutz bietet die Impfung.

Sehen das auch die Beschäftigten in Ihrer Klinik so?
Ja, die allermeisten sind zweifach geimpft. Inzwischen haben sich viele – ich zähle auch dazu – ein drittes Mal impfen lassen. Zwangsmaßnahmen gibt es bei uns nicht, wir appellieren aber an Vernunft und Rücksichtnahme. Damit sind wir bis jetzt gut gefahren. Sorgen bereitet uns derzeit ein ganz anderes Thema.

Es hat auch mit der Pandemie zu tun?
Sogar unmittelbar. Die Pandemie hat uns hohe Mehrausgaben aufgebürdet und uns tief in die roten Zahlen getrieben. Schon vor der Pandemie waren drei Viertel der deutschen Universitätsklinika defizitär, nun geht es fast allen wie uns. Jede dieser Kliniken versorgt Patienten, die kein anderes Krankenhaus behandeln kann oder will, zusätzlich sind wir in großem Stil für die Ausbildung jünger Ärztinnen und Ärzte zuständig. Das kostet Zeit und Geld und wird durch das aktuelle Vergütungssystem nicht ausreichend honoriert. Daher brauchen wir dringend Zuschläge, die die Politik aber bisher verweigert. An meinem Klinikum, aber auch in vielen Häusern andernorts, hat das zu einem Investitionsstau der Sonderklasse geführt. Wichtige Projekte müssen jetzt warten.

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© Peter Winandy

Das Universitätsklinikum Aachen besteht seit 1985. Heute beschäftigt es rund 8.500 Mitarbeiter in 35 Fachkliniken, 30 Instituten und sechs fachübergreifenden Einheiten. Jährlich werden dort mehr als 50.000 Patienten stationär und gut 200.000 ambulant behandelt. Das Klinikum liegt im Westen Aachens in unmittelbarer Nachbarschaft zur Gemeinde Vaals in den Niederlanden.

Ihr Spezialgebiet ist die Niere – ein Organ, das medizinische Laien nicht unbedingt mit dem Coronavirus in Verbindung bringen.
Dabei sind die Nieren nach Nasenschleimhaut und Lunge eines der am häufigsten befallenen Organe. Ein Drittel aller schwer an Covid-19 Erkrankten leidet unter Nierenversagen. Und es ist gar nicht so selten, dass eine Infektion zu Spätschäden in der Niere führt, die sich nicht zurückbilden.

Wie häufig sind Nierenschäden hierzulande?
Sehr häufig. Bei rund vier Millionen Menschen liegt die Nierenfunktion unter 30 Prozent der möglichen Kapazität. Und bei einer halben Million Menschen ist die Nierentätigkeit auf 15 Prozent oder weniger abgesunken. Geht die Funktion auf fünf bis sieben Prozent zurück, sind die Betroffenen auf eine Dialyse als Nierenersatztherapie angewiesen, sofern keine neue Niere für eine Transplantation zur Verfügung steht.

Schätzungen besagen, dass Nierenkrankheiten im Jahr 2040 die fünfthäufigste Todesursache weltweit sein werden. Dennoch gibt es auf Ihrem Gebiet, der Nephrologie, aktuell die wenigsten klinischen Studien für neue Therapien. Woran liegt das?
Es hat mit der Komplexität von Nierenkrankheiten zu tun. Sie sind schwer in den Griff zu bekommen und schwer zu beforschen. Die wenigsten Patienten haben nur Nierenprobleme, die meisten leiden zusätzlich an Krankheiten des Herz-Kreislauf-Systems, der Lunge oder des Magen-Darm-Trakts, um nur einige Diagnosen zu nennen. Von Arzneimittelstudien werden Menschen mit ausgeprägten Nierenschäden oft ferngehalten, weil man dabei auf ein funktionierendes Organ angewiesen ist – immerhin werden die allermeisten Arzneimittelwirkstoffe über die Niere ausgeschieden. Hinzu kommt: Die Behandlung von Nierenpatienten ist hochindividuell, da gibt es kaum Standardrezepte. Und Medikamente, die bei Nierengesunden die beabsichtigte Wirkung zeigen, können bei schwer Nierenkranken in manchen Fällen völlig anders wirken.

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© J. Floege

Die Visite bei Dialyse-Patienten gehört zum täglichen Pensum des Teams um Jürgen Floege.

In Ihrer Klinik wird dennoch viel geforscht. Zu welchen Themen?
Neben Nierenerkrankungen geht es um rheumatologisch-immunologische Erkrankungen. Wir initiieren und beteiligen uns an klinischen Studien, machen aber auch Grundlagenforschung. Erst kürzlich wurde der Sonderforschungsbereich „Mechanismen kardiovaskulärer Komplikationen bei chronischer Niereninsuffizienz“, den wir zusammen mit den hervorragenden Herzspezialisten unserer Hochschule betreiben, sehr gut bewertet und für eine zweite Förderperiode empfohlen. Wir engagieren uns zudem in der Covid-19-Forschung: Einige Kollegen sind gerade dabei, eine künstliche Niere im Reagenzglas zu erzeugen, um daran neue Therapieansätze zu erproben. Mit meiner eigenen Arbeitsgruppe will ich herausfinden, ob hochdosierte Gaben des Gerinnungsvitamins K Dialysepatienten helfen können. Es gibt Hinweise, dass insbesondere die Variante K2 die bei chronischen Nierenerkrankungen stark belasteten Blutgefäße schützt. K2 ist nur in sehr wenigen Lebensmitteln enthalten, etwa in dem japanischen Sojaprodukt Natto. Für unsere Studie verwenden wir synthetisch hergestelltes Vitamin.

Was kann man selbst für gesunde Nieren tun?
Wichtig sind Normalgewicht, Blutdruckwerte möglichst unter 130/80 Millimeter Quecksilbersäule und wenig Salz. Optimal sind bis zu fünf Gramm am Tag, was gerade mal einem Teelöffel entspricht – deutlich mehr ist ungesund. Darüber hinaus ist Diabetes mit einem erheblichen Risiko für Nierenleiden verbunden: Auch deshalb sollte man die Krankheit nach Möglichkeit vermeiden beziehungsweise den Blutzucker bei Erkrankung gut einstellen. 

Gestatten Sie eine persönliche Frage: Wie kamen Sie selbst zur Nierenforschung?
Dass ich Medizin machen wollte, stand für mich schon früh fest. Der Entschluss hatte auch mit dem frühen Tod meines Vaters zu tun. In den 1970er-Jahren konnte man gegen seine Herzinfarkte noch nicht viel ausrichten, da hat es zum Glück große Fortschritte gegeben. Meine Lehrjahre habe ich in Hannover, New York und Seattle verbracht und habe dabei immer mehr Interesse für die Nierenheilkunde entwickelt.

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© Peter Winandy

Das Universitätsklinikum der RWTH Aachen (im Bild vorne links) ist eines der größten Krankenhausgebäude Europas. Nördlich davon liegt der Campus Melaten mit technologieorientierten Forschungseinrichtungen der RWTH und von Unternehmen.

Seit mehr als zwanzig Jahren sind Sie nun in Aachen tätig. Wie arbeitet es sich als Mediziner an einer technischen Hochschule?
Heute geht es mir hier sehr gut. Das war anders, als ich Ende der 1990er-Jahre meine Stelle antrat. Damals war die Medizin hier eher ein Anhängsel der technischen Fächer. Der Wissenschaftsrat hat sich das im Jahr 2000 angeschaut und dem Land Nordrhein-Westfalen die Schließung der medizinischen Fakultät empfohlen. Was dann folgte, war ein gewaltiger Ruck. Alle strengten sich an, es wurde viel frisches Forschungsgeld eingeworben, man berief gute Wissenschaftler und bis heute beleben tolle junge Leute den Betrieb – wir sind eine hochgeschätzte und -bewertete Fakultät innerhalb der RWTH Aachen geworden.

Wie sind Sie GDNÄ-Mitglied geworden?
Ich bin erst seit Kurzem dabei, und zwar auf Vorschlag des Würzburger Kardiologen, Professor Georg Ertl. Er hat mich auch dafür gewonnen, die Aufgabe des Gruppenvorsitzenden Medizin zu übernehmen.

Als Kliniker und Forscher leiden Sie nicht unter Arbeitsmangel. Was hat Sie bewogen, sich zusätzlich für die GDNÄ zu engagieren?
Ich schaue gern über den Tellerrand meiner Disziplin hinaus und interessiere mich sehr für andere Bereiche der Naturwissenschaften. Diesem Bedürfnis kommt die GDNÄ mit ihrer Fächervielfalt entgegen. Was mich auch fasziniert, ist die großartige Tradition – das ist schon einzigartig.

Haben Sie Ideen für die Zukunft der GDNÄ?
Ich denke, wir brauchen eine „Junge GDNÄ“ parallel zur etablierten Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte. Vorbilder könnten die Jungen Internisten innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin sein oder auch die Junge Akademie der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wisssenschaften und der Leopoldina. Wichtig ist, dass die jungen Leute sich selbst organisieren und unabhängig von den Älteren produktiv sein können.

Saarbrücken 2018 © Robertus Koppies

© J. Floege

Prof. Dr. Jürgen Floege

Zur Person
Seit 1999 leitet Professor Dr. med. Jürgen Floege die Medizinische Klinik II der Universitätsklinik RWTH Aachen (Klinik für Nieren- und Hochdruckkrankheiten, Rheumatologische und Immunologische Erkrankungen). Er studierte er an der Medizinischen Hochschule Hannover und am Albert Einstein College of Medicine in New York. In Hannover schloss er seine Facharztausbildung ab, habilitierte sich und trat 1995 eine Stelle als Oberarzt an. In den 1990er-Jahren arbeitete er zusätzlich drei Jahre als Gastwissenschaftler an der University of Washington in Seattle. Zu seinen wissenschaftlichen Schwerpunkten, zu denen er mehr als 600 Originalartikel, Reviews, Editorials und Buchkapitel publiziert hat, gehören Nierenerkrankungen und ihre zentrale Bedeutung für die Innere Medizin, etwa bei der Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Professor Floege ist Herausgeber des internationalen Bestseller-Lehrbuchs „Comprehensive Clinical Nephrology” und Mitherausgeber der führenden nephrologischen Fachzeitschrift „Kidney International“. Für seine Forschung erhielt der Aachender Nephrologe zahlreiche Ehrungen, darunter im Jahr 2020 die höchste Auszeichnung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN), die Franz-Volhard-Medaille. Neben seiner Kliniktätigkeit engagiert sich Floege in renommierten Gesellschaften, Gremien und Organisationen. Er ist Gründungsmitglied und Past-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN), Past-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) und im Leitungsgremium von KDIGO – einer Organisation, die weltweit gültige Leitlinien der Nephrologie erstellt. Der GDNÄ gehört Jürgen Floege seit 2019 an; er hat die Aufgabe des Gruppenvorsitzenden Medizin übernommen.

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