„Wir haben eine Menge Ideen für die Zukunft“

Heribert Hofer, Zoologe und designierter GDNÄ-Präsident, über seine Pläne für die nächsten Jahre, Wildtier-Forschung in Afrika und Naturschutz auf wissenschaftlicher Grundlage

Herr Professor Hofer, seit Anfang 2021 sind Sie Vizepräsident der GDNÄ. Was bedeutet Ihnen diese Aufgabe?
Sehr viel. Ich bin der GDNÄ ja schon seit vielen Jahren verbunden – zuletzt als Vorsitzender der Gruppe Biologie. Dass ich mich jetzt noch stärker für die älteste und größte interdisziplinäre wissenschaftliche Gesellschaft in Deutschland engagieren kann, empfinde ich als Ehre. Bis heute ist die GDNÄ eine feste Größe in unserem Wissenschaftssystem: Hier kommen führende Forscher zusammen, um über Fachgrenzen hinweg miteinander zu diskutieren und dabei die Öffentlichkeit einzubeziehen. Das ist einmalig und dafür bewundere ich die GDNÄ.

Welche Akzente möchten Sie als Vizepräsident setzen?
Mir liegt die Förderung der jungen Generation sehr am Herzen. Ein Beispiel dafür sind die Science Slams für Schüler, die ich bei den letzten Versammlungen in Greifswald und Saarbrücken initiiert und moderiert habe. Die jungen Leute hatten, glaube ich, großen Spaß und die Älteren schauten sich das gern an. In den kommenden Jahren möchte ich helfen, das wunderbare Schülerprogramm der GDNÄ weiter auszubauen und bundesweit zu verankern. Eine Idee ist, erfahrene Wissenschaftler als Mentoren zu gewinnen: Sie könnten unsere Nachwuchstalente individuell betreuen und längerfristig begleiten. Das Schülerprogramm soll eine zentrale Einrichtung der GDNÄ werden – das ist meine Vision für die Zukunft.

Aus dem Landrover beobachtet Heribert Hofer das Verhalten von Raubtieren.

Sie sind heute ein international anerkannter Wildtierforscher und Institutsleiter. Wer hat Sie am Anfang Ihres Weges gefördert? Was hat Sie geprägt?
Ich bin in den 1960-er, 1970er-Jahren groß geworden, da gab es solche tollen Programme noch nicht. Beeinflusst haben mich vor allem einzelne Lehrer aus dem mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich und, ganz wichtig, bestimmte Bücher.   Woran ich mich gut erinnere, ist das Buch „Prinzip Eigennutz“ des deutschen Verhaltensforschers Wolfgang Wickler. Es erschien 1977, also ein Jahr nach Richard Dawkins´ Buch über das egoistische Gen. Mein Patenonkel hatte mir Wicklers Werk geschenkt und ich habe es regelrecht verschlungen. Sehr wichtig war auch die Evolutionäre Erkenntnistheorie des Physikers und Philosophen Gerhard Vollmer. Seine Bücher habe ich schon in der Schulzeit mit Begeisterung gelesen, wobei ich mich nicht mehr erinnern kann, wie ich auf sie gestoßen bin.  Was steuert das Verhalten? Nach welchen Regeln funktioniert sozialer Zusammenhalt? Wie zutreffend ist die Wahrnehmung der Realität? Das sind Fragen, die mich seither umtreiben.

Damit hätten Sie auch Sozialwissenschaftler werden können.
Dann hätte ich mich aber nicht mit Raubtieren beschäftigen können (lacht). Raubtiere sind sehr intelligente Lebewesen und ihr Verhalten im Freiland zu beobachten und daraus Schlüsse zu ziehen, ist unglaublich faszinierend.

Seit vielen Jahren beobachten Sie Tüpfelhyänen in der ostafrikanischen Savanne. Warum ausgerechnet Tüpfelhyänen?
Diese Raubtiere haben ein sehr komplexes Sozialverhalten und leben in weiblich dominierten Gruppen. Damit verhalten sie sich quasi spiegelbildlich zu der bei Säugetieren üblichen männlichen Dominanz. Um diese Besonderheit genauer zu erforschen, bin ich 1986 erstmals in die Serengeti gereist. Das ist ein tansanischer Nationalpark von der Größe Schleswig-Holsteins, in dem mehr als eine Million Gnus, Hunderttausende Zebras und Abertausende Büffel, Löwen, Hyänen und andere Großsäuger leben – so konzentriert, wie sonst nirgendwo auf der Welt. Mitten in der Serengeti, im Tal des Flusses Seronera, liegt ein internationales Forschungsinstitut mit Unterkünften für Wissenschaftler. Dort haben wir zwei Häuser gemietet und renoviert und da halte ich mich seit 33 Jahren regelmäßig zu Studienzwecken auf, oft zusammen mit meiner Frau, der Verhaltensökologin Marion East, und Teammitgliedern.

Drei Gepardenmännchen rasten in der Serengeti.

Wie können wir uns das Forscherleben dort vorstellen?
Es ist ein einfaches Leben. Wir wohnen in recht simplen Hütten, die rund um das Institut verstreut liegen. Unseren Strom beziehen wir aus Photovoltaikanlagen, das Wasser kommt aus großen Tanks, die das Regenwasser vom Dach sammeln. Wer handwerkliche Fähigkeiten besitzt, ist im Vorteil: Ständig gibt es etwas zu reparieren – in der Hütte, am wissenschaftlichen Equipment oder am Landrover. Im Forschungsinstitut leben Wissenschaftler aus aller Welt, drei Viertel von ihnen sind Frauen. Geselligkeit gibt es eher wenig, denn alle sind vollauf mit ihren eigenen Projekten beschäftigt. Wir zum Beispiel verlassen unser Quartier immer sehr früh und bleiben lange weg, um die Hyänen im Zentrum der Serengeti zu beobachten. Die besten Zeiten dafür sind zwischen halb sieben und halb zehn morgens und zwischen halb fünf und acht Uhr abends – also um Sonnenaufgang und Sonnenuntergang herum.

Es handelt sich um Langzeitprojekte: Wie groß ist Ihr Datenschatz inzwischen?
Mittlerweile kennen wir die kompletten individuellen Lebensläufe von gut 2500 Hyänen über mehrere Generationen hinweg. Dazu können wir in unserem Studiengebiet bleiben, denn die Gruppenterritorien werden von der Müttergeneration an die Töchtergeneration weitergegeben.  Auch im Ngorongoro-Krater, das ist ein zweites im Südwesten der Serengeti gelegenes Studiengebiet, untersuchen unsere Mitarbeiter Hyänen – und das seit bald fünfundzwanzig Jahren.

Was haben Sie bisher über das Sozialverhalten der Tüpfelhyänen herausgefunden?
Eine zentrale Frage war von Anfang an, wie es zu der ausgeprägten weiblichen Dominanz kommt, welchen Vorteil sie hat und wie sie entstanden sein könnte. Ganz oben im Rudel steht ein Alpha-Weibchen, dann folgen in strenger Hierarchie andere Weibchen und alle männlichen Clan-Mitglieder stehen unter dem rangniedrigsten Weibchen. Das liegt nicht etwa an hormonellen Unterschieden, wie heute noch fälschlich in Lehrbüchern behauptet wird. Wir konnten vielmehr zeigen, dass weibliche Dominanz bei Tüpfelhyänen ein erlerntes Verhalten ist und letztlich auf einer pseudo-freiwilligen Selbstunterwerfung der Männchen beruht. Sie haben keine andere Wahl, weil die Weibchen Koalitionen bilden und die Männchen regelmäßig dominieren. Auch haben Männchen bei der Paarung nur dann eine Chance, wenn es ihnen gelungen ist, eine freundschaftliche Beziehung zu einem Weibchen aufzubauen.

Soziale Kompetenz ist also ein echter Vorteil?
Das ist ganz eindeutig so. Hinzu kommt, dass sich insbesondere junge Weibchen vor allem für frisch in das Rudel eingewanderte oder später als sie selbst geborene Männchen des eigenen Clans interessieren. Deshalb suchen sich kluge Männchen diejenige Gruppe im Umfeld aus, die die meisten jungen Weibchen aufweist und wandern ab.  Dadurch wird zugleich sehr erfolgreich Inzest vermieden, was durchaus ein Problem in einer Gruppenstruktur sein könnte, in der die jungen Weibchen weder die älteren Brüder noch ihren Vater kennen. Dafür konnten wir überzeugende Belege in unserer Langzeitstudie im Ngorongoro-Krater finden.

Seit 2000 leiten Sie das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung im Osten Berlins. Da noch selbst zu forschen, ist vermutlich gar nicht so einfach.
Das stimmt, aber eigene Forschung war mir immer wichtig. Leider kann ich nicht mehr so wie zu Anfang meiner Laufbahn monatelang in der Serengeti sein. Aber auf drei, vier Wochen Feldforschung im Jahr komme ich immer noch.

Eine große Rolle spielt an Ihrem Institut der wissenschaftsbasierte Naturschutz. Was genau ist darunter zu verstehen?
Ein gutes Beispiel ist die Lösung, die ein Team aus meinem Institut für den Konflikt zwischen Rinderfarmern und Geparden in Namibia gefunden hat. Im Dezember 2020 haben wir darüber im Fachjournal PNAS berichtet. In Zentralnamibia leben einige Hundert Individuen der seltenen Großkatzenart frei auf den Ländereien von Rinderfarmern. Gelegentlich erlegen die Geparde Rinderkälber, was zu erheblichen Konflikten führte. Wir haben uns mit den Viehzüchtern zusammengesetzt, deren Anregungen und Fragen aufgenommen und gemeinsam eine Forschungsstrategie entworfen. Gemeinsam haben wir es dann geschafft, 250 Geparde mit Funksendern zu versehen, um ihr Bewegungsverhalten und ihre Raumnutzung zu erfassen. Es stellte sich heraus, dass es besonders gefährliche Orte für Kälber gibt – nämlich dort, wo sich Geparden aus der Region regelmäßig treffen, um Informationen auszutauschen oder Paarungspartner zu finden.

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Gruppenbild im Grünen: Die Mitarbeiter des Instituts für Zoo- und Wildtierforschung auf der Wiese vor dem Forschungsgebäude in Berlin-Friedrichsfelde.

In Medienberichten wurden die Treffpunkte mit großstädtischen Szeneclubs verglichen.
Ja, so könnte man auch dazu sagen. Wir sprechen eher von Kommunikationszentren. Wenn die Farmer wussten, um welche Gebiete es sich dabei handelte – wir konnten ihnen das genau sagen, sofern wir auf ihrer Farm einen mit Sender ausgestatteten Geparden hatten – und dann ihre Herden während der Kalbzeit an andere Stellen verlegten, sanken die Verluste um mehr als 80 Prozent. Ein großer Erfolg, der nur durch die vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern und Farmern möglich war. Unseren Part sehen wir darin, zusammen mit den Betroffenen Fragen zu sammeln und darauf wissenschaftlich begründete Antworten zu finden. Mit diesem Ansatz versuchen wir in Deutschland gerade, in der Auseinandersetzung um die Wiederbesiedlung von Wölfen zu einer Lösung zu kommen.

Wie stehen die Chancen?
Der Ausgang ist offen. Gegenüber Deutschland hat Namibia den Vorteil, dass dort sowohl von staatlicher Seite als auch von den Betroffenen selbst die Probleme ehrlich angesprochen und ernst genommen werden. Das ist in Deutschland so noch nicht der Fall. Hierzulande gehört der Wolf berechtigterweise zu den geschützten Arten, andererseits werden die Interessen der Landbevölkerung von Parlamentariern und Ministerien nicht ausreichend beachtet. Daher sind insbesondere die Schafzüchter, die sehr fragile wirtschaftliche Existenzen haben und sich aufwändige Schutzmaßnahmen nicht leisten können, sehr verärgert. In diesem Konfliktfeld bewegen wir uns.

Bereits jetzt ist Ihr Institut auf vielen Kontinenten aktiv und forscht zu einer erstaunlichen Fülle von Themen.  Lässt sich das noch toppen?
Ich denke schon. Wir haben jedenfalls eine Menge Ideen für die Zukunft. In den nächsten Jahren wollen wir zum Beispiel das Potential moderner Fernerkundung verstärkt einsetzen. Mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt entwickeln wir derzeit Methoden, um bedrohte Tierarten per Satellit aufzuspüren und in Fast-Echtzeit zu beobachten. Bislang werden die Bestände mit großem technischem und zeitlichem Aufwand erfasst. Relevante Informationen kommen oft viel zu spät. Mithilfe von Satelliten ließen sich auch Tierwanderungen auf großen Flächen besser beobachten, etwa in der Serengeti-Savanne. In einem anderen Projekt wollen wir Geier mit intelligenten Funksendern ausstatten, um Kadaver von Elefanten aufzuspüren, die Wilderern zum Opfer fielen. Die mit Hilfe künstlicher Intelligenz sachgerecht aufbereiteten Informationen könnten dann quasi in Echtzeit an Patrouillen und Strafverfolgungsbehörden weitergeben werden. Neueste molekularbiologische Methoden, maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz: Sobald wir all das zusammen einsetzen können, sind wir fit für die Zukunft – mit einem modernen, evidenzbasierten Natur- und Artenschutz.

Saarbrücken 2018 © Robertus Koppies
Prof. Dr. Heribert Hofer, Direktor des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung

Zur Person
Prof. Dr. Heribert Hofer (60) leitet das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in Berlin-Friedrichsfelde seit dem Jahr 2000. Bis 2017 war er zudem Leiter der Abteilung für Evolutionäre Ökologie an seinem Institut. Seit 2000 hat Hofer eine Professur für Interdisziplinäre Zoo und Wildtierforschung an der Freien Universität Berlin inne. Vor seiner Berliner Zeit war er von 1986 bis 1999 im Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie im bayerischen Seewiesen tätig – zunächst als Postdoktorand, später als selbstständiger Wissenschaftler. 1997 habilitierte er sich an der Ludwig-Maximilians-Universität München mit einer Arbeit über das Verhalten von Tüpfelhyänen in der Serengeti-Savanne.  Sein Studium der Zoologie begann Heribert Hofer an der Universität des Saarlandes und schloss es an der Universität Oxford mit der Promotion zum „DPhil“ ab.

Der international bekannte Wissenschaftler ist der GDNÄ eng verbunden. Er engagiert sich seit vielen Jahren auf mannigfache Weise: als gewählter Fachvertreter und Gruppenvorsitzender für das Fach Biologie sowie als Sitzungsleiter und Vortragender auf Versammlungen, etwa 2014 in Mainz, 2016 in Greifswald und 2018 in Saarbrücken. Besonders am Herzen liegt Heribert Hofer neben der Wissenschaftskommunikation mit der Öffentlichkeit auch die Förderung junger Talente im Rahmen des GDNÄ-Schülerprogramms. Im November 2020 wurde Professor Hofer von der Mitgliederversammlung zum neuen Vizepräsidenten gewählt; seit Anfang 2021 übt er die ehrenamtliche Funktion aus. Als Vizepräsident ist Hofer zugleich designierter Präsident der GDNÄ. Dieses Amt wird er im Jahr 2023 antreten. 

Hyänen-Zwillingspärchen © Marion L. East und Heribert Hofer

Schicksale der Serengeti: Das Bild zeigt zwei junge Hyänen-Zwillingspärchen, die gemeinsam aufwuchsen und deren Lebensweg Heribert Hofer und Marion East in einem Langzeitprojekt so umfassend wie möglich dokumentiert haben. Links steht eine dominante Schwester mit ihrem subdominanten Bruder; ihre Mutter hat zu diesem Zeitpunkt den niedrigsten Rang im der Hyänenrudel. Beide sind etwas kleiner als die Zwillinge rechts neben ihnen, die vom ranghöchsten Weibchen der Gruppe abstammen. Die dominante Schwester (2.v.r.) ist hier leicht größer als ihr subdominanter Bruder. Beide Würfe sind gleich alt, aber die Jungen der hochrangigen Mütter haben mehr Milch pro Tag erhalten als die Jungen der niedrigrangigen Mütter – daher die Größenunterschiede. Beide hier gezeigten Weibchen blieben ihr Leben lang in ihrer Geburtsgruppe; beide Brüder wanderten in andere, nicht untersuchte Gruppen ab.

Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung

Im Jahr 1992 gegründet, hat sich das Leibniz-IZW rasch zu einem international anerkannten Forschungsinstitut entwickelt. Es gehört zum Forschungsverbund Berlin e.V. und ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Erklärtes Ziel ist es, die Anpassungsfähigkeit von Wildtieren im Kontext des globalen Wandels zu verstehen und zum Erhalt von gesunden Wildtierbeständen beizutragen.

Am IZW arbeiten mehr als 200 Personen, darunter rund 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Die Forschungsprojekte zu einem großen Themenspektrum sind schwerpunktmäßig in Europa, Afrika und Südostasien angesiedelt. Das Spektrum reicht von Studien zu Wildtieren in der Stadt über die Gefährdung von Fledermäusen durch Windparks bis zur Fortpflanzung von Grottenolmen und der Erhaltung des Nördlichen Breitmaulnashorns.

Bürgerforschung wird am IZW großgeschrieben. Zuletzt lud das Institut Bürger in Berlin und Brandenburg ein, Eichhörnchen zu beobachten und ihre Ergebnisse für neue Forschungsprojekte zu dokumentieren.

Weitere Informationen: www.izw-berlin.de

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Eines der letzten Sumatra-Nashörner aus dem malaysischen Bundesstaat Sabah. Dort untersuchen IZW-Forscher seit 2009 die Gründe für den drastischen Rückgang dieser Art.

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