„Wir arbeiten mit Hochdruck an neuen Ansätzen“

„Wir arbeiten mit Hochdruck an neuen Ansätzen“

Michael Manns, Präsident der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und GDNÄ-Mitglied, über sein Krankenhaus im Ausnahmezustand, schützende Antikörper im Test und die Freude am fachübergreifenden Austausch.

Herr Professor Manns, Sie leiten die Medizinische Hochschule Hannover, eine der größten Kliniken Deutschlands. Wie ist Ihr Haus für die Corona-Pandemie gerüstet?
Sehr gut, würde ich sagen. Unser Betrieb ist komplett umgestellt, um möglichst schnell, flexibel und effektiv agieren zu können. Wir haben schon zu Beginn der Pandemie den Notstand ausgerufen und eine Krankenhauseinsatzleitung eingesetzt. Sie berät jeden Morgen zusammen mit dem Präsidium über die aktuelle Situation und trifft Entscheidungen über die nächsten Schritte. Im ersten Schritt haben wir die Ambulanz praktisch geschlossen und Operationen, die sich verschieben lassen, bis auf Weiteres abgesagt. Dadurch gewinnen wir freie Kapazitäten für Patienten mit Symptomen der Coronavirus-bedingten Krankheit Covid-19 auf den Normal- und Intensivstationen. Für den Fall, dass die Zahl dieser Patienten drastisch ansteigen sollte, steht uns zusätzlich ein Behelfskrankenhaus mit 465 Betten auf dem Gelände der Hannover-Messe offen, das kurzfristig in Betrieb gehen kann.

Von einem normalen Klinikbetrieb kann also nicht mehr die Rede sein?
Wir kümmern uns natürlich weiterhin um unsere Krebspatienten und Patienten mit anderen Erkrankungen, die einer zeitnahen Behandlung bedürfen. Aber es stimmt schon: Wir arbeiten im Ausnahmemodus und unter sehr großer Anspannung. Nur noch etwa 50 Prozent der Klinikbetten sind belegt; die anderen stehen als Reserve bereit, falls sich die Pandemie verschlimmern sollte. Durch die Unterbelegung verlieren wir pro Monat rund 10 Millionen Euro. Ich kann nur hoffen, dass die Politik uns am Ende nicht mit diesen Defiziten allein lässt. Aktuell steht eine Rückkehr zur Normalität in Aussicht und darauf bereiten wir uns jetzt vorsichtig und schrittweise vor.

Die Medizinische Hochschule Hannover behandelt nicht nur Kranke, sie ist auch stark in der Forschung. Können wir bald mit Erfolgsmeldungen in Sachen Coronavirus rechnen?
Eine sichere Prognose kann es da natürlich nicht geben. Ich kann aber sagen: Wir arbeiten mit Hochdruck an neuen Ansätzen für Diagnostik, Prävention und Therapie von Covid-19 – ebenso wie viele andere Zentren weltweit. Gerade im Bereich der Infektionsforschung haben wir an unserem Standort in den letzten Jahren eine hervorragende Infrastruktur aufgebaut, um Ergebnisse aus der Grundlagenforschung schneller ans Krankenbett bringen zu können. Beispiele dafür sind das Zentrum für Experimentelle und Klinische Infektionsforschung, kurz Twincore, und das Zentrum für individualisierte Infektionsmedizin CiiM. Beide betreiben wir zusammen mit dem Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig.

Die Corona-Forschung läuft, Sie erwähnten es, vielerorts auf Hochtouren. Tauscht man sich da aus?
Auf jeden Fall. Wir pflegen zum Beispiel innerhalb des Landes Niedersachsen enge Kooperationen mit anderen Forschungseinrichtungen, etwa mit der Tierärztlichen Hochschule Hannover, der Leibniz Universität Hannover und der Universitätsmedizin Göttingen. Wir sind auch eingebunden in das vom Bundesforschungsministerium geförderte und von der Berliner Charité koordinierte Nationale Covid-19-Forschungsnetzwerk und engagieren uns in einschlägigen Projekten des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung und des Deutschen Zentrums für Lungenforschung. Schließlich nehmen wir an maßgeblichen internationalen Studien zur Impfung und Therapie gegen die Krankheit teil.

Welche Forschungsansätze verfolgt die MHH im Einzelnen?
Wir arbeiten an schnellen, zuverlässigen Testverfahren, aber auch an Impfstoffen, etwa in Kooperation mit der Vakzine-Firma VPM in Hannover oder mit dem Tübinger Biotech-Unternehmen CureVac. Um die Ergebnisse zu erproben, beteiligen wir uns an praktisch allen großen klinischen Corona-Studien, die derzeit in Deutschland laufen. Zusätzlich arbeiten wir an eigenen Therapiekonzepten.

Worum geht es dabei?
Wir wollen herausfinden, ob und welche schützenden Antikörper im Blutplasma von Genesenen vorhanden sind und ob sich diese für die Therapie von Corona-Patienten eignen. Es haben sich bereits Hunderte Menschen gemeldet, um nach überstandener Infektion ihr Blutplasma zu spenden und damit schwer Erkrankten zu helfen. Die Hilfsbereitschaft ist groß – unter den Genesenen, aber auch in der gesamten Bevölkerung.

Wann rechnen Sie mit dem ersten Impfstoff gegen eine Corona-Infektion?
Der erste aktive Impfstoff für den routinemäßigen klinischen Einsatz wird in circa einem Jahr verfügbar sein, denke ich. Die Studien an Patienten beginnen voraussichtlich im Juni, eventuell auch schon früher.

Wie sieht es bei Arzneimitteln zur Therapie aus?
Derzeit werden viele Medikamente getestet, die schon für andere Krankheiten im Einsatz und somit zugelassen sind. Lässt sich eine Wirksamkeit gegen Covid-19 nachweisen, kann es ganz schnell mit der behördlichen Genehmigung gehen. Heißester Kandidat ist aktuell der für Ebola entwickelte antivirale Wirkstoff Remdesivir.

Dieser Tage wird viel über die Lockerung von Corona-Maßnahmen diskutiert. Welche Strategie empfehlen Sie?
Lockerungen sollten schrittweise und sehr vorsichtig erfolgen. Das Klügste ist nach wie vor, Zeit zu gewinnen und das Gesundheitssystem nicht zu überlasten. Wir können nur hoffen, dass das Virus thermosensibel ist und sich die Pandemie im Sommer abschwächt. Falls es diese Atempause gibt, sollten wir sie nutzen, um mehr über den Erreger herauszufinden, vorhandene Wirkstoffe als mögliche Gegenmittel zu testen, neue Ansätze zu entwickeln und sie in der Klinik bei Patienten einzusetzen.

Welche Rolle spielt dabei der interdisziplinäre Austausch?
Darin sehe ich ein großes Potential, auch im Kampf gegen diese und spätere Pandemien. Ich bin verwurzelt in der Gemeinde der Leber- und Infektionsforscher, aber das Gespräch mit Virologen und Epidemiologen, aber auch mit Mathematikern, um beispielhaft ein fremderes Fachgebiet herauszugreifen, ist sehr wertvoll. Hier sehe ich auch eine wichtige Rolle für die GDNÄ.

Inwiefern?
Ihre Mitglieder kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen in Wissenschaft, Gesellschaft und Wirtschaft. Sie bilden eine Gemeinschaft von Forschern und an Forschung Interessierten, die am persönlichen Austausch interessiert sind und zur Lösung gesellschaftlicher Fragen beitragen können. Darin hat die GDNÄ eine große Tradition, das kann sie – und deshalb bin ich vor vielen Jahren Mitglied geworden.

Michael Manns © Tom Figiel, MHH, Hannover 
Prof. Dr. Michael Manns

Zur Person
Professor Michael P. Manns ist seit Anfang 2019 Präsident der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH). Er ist ein renommierter Experte auf dem Gebiet der Leber- und Darmerkrankungen und der Infektiologie. Weltweit zählt der Mediziner zu den führenden Hepatitis-C-Forschern. Er entwickelte neue Standardtherapien für Patienten mit chronischer Hepatitis und arbeitete an Alternativen zu Leber-Transplantationen. Von 1991 bis zum 1. April 2020 leitete Michael Manns die Klinik für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie an der MHH. Er war von 2015 bis 2019 Klinischer Direktor des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung in Braunschweig und ist Gründungsdirektor des Center for Individualised Infection Medicine (CiiM), das Forscher in Hannover und Braunschweig zusammenführt. Bevor er an die MHH kam, forschte und lehrte der 1951 geborene Mediziner in Berlin, San Diego und Mainz.

Expertengruppe: Stufenplan für die Zeit nach dem Shutdown

Expertengruppe: Stufenplan für die Zeit nach dem Shutdown

Die geltenden Beschränkungen in Gesellschaft und Wirtschaft allmählich zu lockern und dabei die medizinische Versorgung der gesamten Bevölkerung zu sichern – dafür plädiert jetzt eine interdisziplinäre Gruppe renommierter Wissenschaftler. In ihrem Positionspapier zeigen die Forscher um ifo-Präsident Clemens Fuest und Martin Lohse, Präsident der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte, Wege zu diesem Ziel auf.

München, 2. April 2020 – Die Strategie sieht vor, derzeitige Einschränkungen differenziert und unter kontinuierlicher Abwägung der Risiken nach und nach zu lockern. Priorität haben dabei Beschränkungen, die hohe wirtschaftliche Kosten verursachen oder zu starken sozialen und gesundheitlichen Belastungen führen. Regionen mit niedrigen Infektionsraten und freien Kapazitäten im Gesundheitssystem könnten, so der Vorschlag der 14 Experten aus deutschen Universitäten und Forschungsinstituten, beim allmählichen Neubeginn vorangehen. Beginnen sollten zudem Sektoren mit niedriger Ansteckungsgefahr wie zum Beispiel hochautomatisierte Fabriken sowie Bereiche mit weniger gefährdeten Personen, etwa in Schulen und Hochschulen.

 „Die aktuellen Beschränkungen sind sinnvoll und zeigen erste Wirkung“, sagt Martin Lohse, Mediziner und Präsident der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (GDNÄ). Allerdings hätten die Maßnahmen neben hohen wirtschaftlichen und sozialen Kosten auch gravierende medizinische Folgen, etwa für Patienten mit anderen schweren Erkrankungen. „Weil wir damit rechnen müssen, dass die Pandemie uns noch viele Monate beschäftigt und letztlich nur unser Immunsystem uns schützen kann, brauchen wir eine flexible, nach Risiken gestaffelte Strategie – ein genereller Shutdown ist keine langfristige Lösung“, sagt Martin Lohse.

„Gesundheit und eine stabile Wirtschaft schließen sich keineswegs aus“, sagt Clemens Fuest, Ökonom und Präsident des Münchener ifo-Instituts. Beides bedinge sich vielmehr gegenseitig: „So wie eine positive wirtschaftliche Entwicklung bei unkontrollierter Ausbreitung des Virus nicht möglich ist, lässt sich auch die Leistungsfähigkeit unseres Gesundheitswesens ohne eine funktionierende Wirtschaft nicht aufrechterhalten“, sagt Clemens Fuest.

„Bei der Planung, in welchen Schritten die massiven Einschränkungen des privaten und öffentlichen Lebens aufgehoben werden, müssen die Menschen im Mittelpunkt stehen“, sagt Christiane Woopen, Professorin für Ethik und Theorie der Medizin an der Universität zu Köln. Dabei seien gesundheitliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Risiken zu berücksichtigen. Allen werde derzeit viel zugemutet. Woopen: „Nun müssen die Starken für die Schwachen da sein.“

Wichtig seien jetzt großflächige Tests, um zuverlässigere Erkenntnisse über die Ausbreitung des Erregers zu erhalten, schreiben die Wissenschaftler aus den Bereichen Innere Medizin, Infektionsforschung, Pharmakologie, Epidemiologie, Ökonomie, Verfassungsrecht, Psychologie und Ethik. Auch die Sicherung der Produktion von Schutzkleidung, Schutzmasken, Medikamenten und künftiger Impfstoffe zähle zu den vordringlichen Maßnahmen. Weiterhin empfehlen die Wissenschaftler, neue Kapazitäten zur Bewältigung der sozialen und psychischen Folgeschäden der aktuellen Maßnahmen zu schaffen.

Der Heidelberger Virologe über seinen Kurs in der Corona-Krise

Prof. Dr. Hans-Georg Kräusslich

Der Tag müsste gerade 48 Stunden haben für Hans-Georg Kräusslich. Eine Telefonkonferenz nach der anderen, Visiten am Krankenbett, Besprechungen im Labor – der Heidelberger Professor für Virologie hat immer viel zu tun, in der Corona-Krise ist er jedoch im Dauereinsatz. Am Uniklinikum Heidelberg steht GDNÄ-Mitglied Kräusslich nicht nur als Leiter des Zentrums für Infektionsmedizin im Mittelpunkt des Geschehens, als Dekan der Medizinischen Fakultät ist er auch dafür verantwortlich, dass die ganze Klinik funktioniert. Daneben treibt er als Vorstandsvorsitzender des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) Studien zu „SARS-CoV-2“ voran, dem Auslöser der weltweiten Pandemie.

Neue Testmethoden zur Diagnose, antivirale Medikamente und ein Impfstoff gegen das neue Coronavirus stehen am DZIF ganz oben auf der Agenda. Zusammen mit dem Deutschen Zentrum für Infektiologie wird derzeit ein europaweites Fallregister aufgebaut, um klinische Daten von Infizierten zu sammeln. Das Register soll zum Beispiel zeigen, unter welchen Umständen Patienten nach einer Infektion schwer erkranken, wann sie mit leichten Symptomen davonkommen und welche Maßnahmen sich am besten bewähren. „Wir sind sehr zuversichtlich, einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen das Virus leisten zu können“, sagt Hans-Georg Kräusslich, der auch in diesen Zeiten größter Anspannung ruhig und besonnen wirkt.

Aktuell engagiert er sich zusätzlich als Mitglied einer Expertengruppe, die einen Stufenplan für die Zeit nach dem Corona-Stillstand vorgelegt hat. „Als Gesellschaft müssen wir jetzt Szenarien für einen schrittweisen Weg zurück in die Normalität entwickeln“, begründet der Heidelberger Mediziner seinen Einsatz.

Mitglied der GDNÄ ist Hans-Georg Kräusslich seit fast vierzig Jahren. Im September 1982 besuchte er als Medizinstudent die Versammlung in Mannheim, die unter dem Motto „Fortschrittsberichte aus Naturwissenschaft und Medizin“ tagte. Dort hörte der damals 24-Jährige eine Reihe von Vorträgen, wobei ihn der Beitrag des deutschstämmigen US-Virologen Peter K. Vogt besonders faszinierte. Vogt sprach in Mannheim über krebsauslösende Gene, sogenannte Onkogene. Diese Forschungsrichtung stand damals noch ganz am Anfang und Vogt zählte mit seinem Labor an der University of Southern California in Los Angeles zu den Pionieren. „Ich war sehr beeindruckt von den Neuigkeiten, die ich auf der GDNÄ-Versammlung erfuhr“, sagt Hans-Georg Kräusslich rückblickend. Sein Faible für die die Virologie sei damals geweckt worden – und habe sich in seiner Zeit als Postdoc in den USA weiter verstärkt.

Nach Deutschland zurückgekehrt baute der junge Mediziner am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg eine Gruppe auf, die Aidsviren erforschte. Mitte der 1990er-Jahre ging er ans Heinrich-Pette-Institut in Hamburg, dessen Direktor er bis 1999 war. Im Jahr 2000 wurde Kräusslich Leiter der Virologie am Universitätsklinikum Heidelberg und seit 2003 ist er Direktor des Zentrums für Infektiologie. Im Herbst 2019 wählten seine Kollegen ihn zum Dekan der Medizinischen Fakultät Heidelberg.

„Gerade für Schüler und Studierende bietet die GDNÄ hervorragende Gelegenheiten, mit Wissenschaftlern in Kontakt zu kommen und aktuelle Forschungsrichtungen kennenzulernen“, sagt Hans-Georg Kräusslich. Ihm hat die Tagung vor fast vierzig Jahren den entscheidenden Impuls gegeben – auch deshalb ist er „seiner“ GDNÄ treu geblieben.