WICHTIGE QUELLEN IN DER CORONA-DEBATTE:
EIN KOMMENTIERTER ÜBERBLICK

Pläne für den „Ausstieg“ aus den Corona-Maßnahmen und den mittelfristigen Umgang mit der Pandemie

Ein Thesenpapier von Wissenschaftlern und Gesundheitsexperten um Matthias Schrappe, ehemaliger stellvertretender Vorsitzender des Sachverständigenrates Gesundheit, kommt am 5. April 2020 zu ähnlichen Schlüssen wie die Experten von GDNÄ, ifo und anderen Institutionen. Es gelte, den Umgang mit SARS-CoV-2 so zu gestalten, dass nur medizinisch Sinnvolles getan wird und die Bürgerrechte gewahrt bleiben. (PDF zum Download)

Einen Ausstieg in vier Phasen hat unter dem Gesichtspunkt der Hygiene die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene vorgelegt. Sie plädiert vor allem für den Schutz von Risikogruppen und medizinischem Personal während des Ausstiegs. (PDF zum Download)

Einen Plan für den schrittweisen Ausstieg aus dem Stillstand hat am 13. April 2020 auch die Nationale Wissenschaftsakademie Leopoldina vorgelegt: PDF zum Download.

Beschlüsse der Politik

Der Beschluss von Bund und Ländern vom 15. April 2020 umfasst zahlreiche Maßnahmen der vorsichtigen Öffnung. Grundlage seiner Überlegungen ist: „Eine zeitnahe Immunität in der Bevölkerung gegen SARS-CoV-2 ohne Impfstoff zu erreichen, ist ohne eine Überforderung des Gesundheitswesens und des Risikos vieler Todesfälle nicht möglich“ (Punkt 17). (PDF zum Download)

Aus der Wissenschaft

a) Zur Ausbreitung des Virus

Das europäische Monitoring-Netzwerk EuroMOMO (European Mortality Monitoring Activity) wurde gegründet, um eine eventuelle Übersterblichkeit infolge saisonaler Grippe, Pandemien und anderen Gefahren für die öffentliche Gesundheit aufzuspüren und zu dokumentieren: www.euromomo.eu

Die Publikation von Li und Kollegen im New England Journal of Medicine vom 26. März 2020 beschreibt die Ausbreitung von Covid-19-Lungenentzündungen in Wuhan. Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass das SARS-CoV-2 Virus in Wuhan seit Dezember 2019 von Mensch zu Mensch übertragen wurde, die mittlere Inkubationszeit etwa 5 Tage betrug und im Schnitt eine infizierte Person 2,2 andere Personen ansteckte (= basale Reproduktionszahl) [N Engl J Med 2020; 382:1199-1207]

Der Bonner Virologe Hendrik Streeck und weitere Autoren des Universitätsklinikums Bonn haben erste Zwischenergebnisse ihrer Untersuchungen in der nordrhein-westfälischen Gemeinde Gangelt publik gemacht. Sie kommen zu dem Schluss, dass bereits etwa 15 Prozent der Bewohner dieser Gemeinde, in der ein früher SARS-CoV-2 Ausbruch auftrat, die Infektion durchgemacht haben und immun sind. Kritisiert wurde an diesen Zwischenergebnissen das Fehlen von Detailangaben und insbesondere, dass der verwendete Test auf Antikörper nicht spezifisch genug sei. (PDF zum Download)

b) Zur Sterblichkeit

Da die Zahl der Infizierten derzeit ungewiss ist, ist es kaum möglich, zuverlässige Zahlen zur Sterblichkeit zu bekommen. Hinweise geben am ehesten die Infektionen auf Kreuzfahrtschiffen und in jüngerer Zeit den Flugzeugträgern, auf denen sich viele infiziert hatten.

Bei einer anderen Betrachtungsweise – sie wird auch bei Influenza herangezogen – schaut man, ob insgesamt mehr Personen versterben als zur gleichen Jahreszeit in anderen Jahren. Man bezeichnet solche vermehrten Todesfälle als Übersterblichkeit oder Excess mortality. Dafür gibt es das europäische Register EuroMOMO, das diese Zahlen wöchentlich für 24 Länder Europas ermittelt. Danach gibt es derzeit eine Übersterblichkeit in mehreren Ländern Europas, die aber bisher nicht über das hinausgeht, was regelmäßig im Winter/Frühjahr beobachtet und auf Influenza und andere Infektionen der Atemwege zurückgeführt wird: www.euromomo.eu

c) Medikamente und Impfungen

Es gibt inzwischen zahlreiche Hypothesen, welche Medikamente gegen SARS-CoV-2 helfen könnten. Keines dieser Medikamente wurde spezifisch gegen dieses Virus entwickelt. In Patientenstudien sollen nun einige dieser Medikamente bei der neuen Infektion getestet werden. Zu den Erwartungen an solche Studien muss bedacht werden, dass sich – anders als bei bakteriellen Infektionen – akute Virus-Infektionen insgesamt nur sehr schlecht behandeln lassen. Das gilt unabhängig davon, um welche Viren und Erkrankungen es geht.

Der Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) hat die bisher laufenden Studien und die ihnen zu Grunde liegenden Hypothesen zusammengestellt: Therapeutische Medikamente gegen die Coronavirusinfektion Covid-19

Der vfa aktualisiert auch kontinuierlich sein Verzeichnis von Konzepten und Studien zu Impfungen: www.vfa.de

Eine Übersicht der Zeitschrift Nature Reviews Drug Discovery listet insgesamt 115 Impfstoff-Kandidaten auf, von denen die ersten bereits innerhalb einer Phase-1-Studie auf ihre Verträglichkeit am Menschen getestet werden. Die Tests auf Wirksamkeit (Phasen 2 und 3), können erst danach erfolgen: www.nature.com

Der Deutschlandfunk hat die Schritte beschrieben, die bei der Entwicklung eines Impfstoffs gemacht werden müssen, und erklärt, warum das so lange dauert: www.deutschlandfunk.de

Dass es schwierig ist, Impfungen gegen Coronaviren zu entwickeln, zeigt die erste klinische Prüfung eines Impfstoffs gegen das MERS-Virus, das schwere Infektionen vor allem in Saudi-Arabien verursachte. Die Forscher unter der Leitung von Marylyn Addo vom Universitätsklinikum Eppendorf berichten, dass der Impfstoff bei freiwilligen Probanden zwar eine Immunität auslösen konnte. Dies war jedoch nicht bei allen Probanden der Fall und die Immunantwort erfolgte auch nur unvollständig und war von begrenzter Dauer.

Zu MERS-Impfungen: zwei Phase-I-Studien und ein Kommentar in Lancet Infect. Dis. (online 20.4.2020)

Kommentar: reader.elsevier.com

Folegatti et al.: reader.elsevier.com

Koch et al.: reader.elsevier.com

d) Öffentliche Maßnahmen in der Diskussion:

Der Epidemiologe und Biostatistiker John Ioannidis von der Stanford University kritisiert, dass wenige Maßnahmen evidenzbasiert seien. Er hält die kursierenden Worst-Case-Szenarien für weit übertrieben und meint, dass eine natürliche Immunisierung der Bevölkerung („Herdenimmunität“) erreicht werden kann: www.statnews.com

Eine Zusammenstellung dessen, was wir über die Covid-19-Pandemie wirklich wissen (im Gegensatz zu Rohdaten und Vermutungen) findet sich auf der Internetseite des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin: www.ebm-netzwerk.de

Eine Publikation aus Mainz und Hamburg modelliert die Auswirkungen von verschiedenen Restriktionen auf die Prävalenz von Covid-19. Sie kommt zu dem Schluss, dass eine Balance zwischen Ausbreitung der Infektion einerseits und gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Belastungen andererseits am ehesten gefunden werden kann, wenn regional unterschiedliche Maßnahmen erfolgen und man anschließend deren Auswirkungen beobachten kann: (PDF zum Download)