Ursula Müller-Werdan: „Gesundes Altern ist für viele von uns erreichbar“
„Gesundes Altern ist für viele von uns erreichbar“
Frau Professorin Müller-Werdan, wir führen dieses Gespräch im Sommer vor den Präsidentschaftswahlen in den USA. Ein Kandidat ist 81 Jahre alt, der andere 78. Ist das zu alt für ein derart verantwortungsvolles Amt?
Nicht unbedingt. Vor der letzten Präsidentschaftswahl vor vier Jahren stellte eine US-Studie die gleiche Frage und bescheinigte Joe Biden nach der Amtseinführung im Jahr 2021 eine weitere statistische Lebenserwartung von gut neun Jahren und Donald Trump eine von gut elf Jahren. Nach Auswertung repräsentativer Datensätze entsprach das der Überlebenswahrscheinlichkeit weißer, akademisch gebildeter Personen ihres Alters. Bidens gesunde Lebensspanne wurde damals auf 87 Jahre geschätzt, die von Trump auf gut 85 Jahre. Das sind keine individuellen Vorhersagen, sondern Durchschnittswerte und die Lebenserwartung würde heute auch aufgrund des höheren erreichten Alters vermutlich noch besser ausfallen.
Lebenserwartung ist das eine, körperlich-geistige Fitness das andere. Wie beurteilen Sie die Kandidaten in dieser Hinsicht?
Da muss ich passen. Selbst wenn ich mehr über den Gesundheitszustand der beiden wüsste, würde ich mir keine Ferndiagnose erlauben. Aber auch im hohen Alter sind berufliche Hochleistungen möglich, dafür gibt es eine Reihe von Beispielen. Denken wir nur an Konrad Adenauer, der sein Amt als erster Kanzler der Bundesrepublik mit 73 Jahren antrat und sich erst mit 87 Jahren zur Ruhe setzte.
Wenn jemand im hohen Alter derart leistungsfähig ist, wird das oft einer besonders guten Genausstattung zugeschrieben. Ist das zutreffend?
Nur zum Teil. Rund ein Drittel des Alterungsprozesses ist genetisch bedingt, zwei Drittel haben mit dem persönlichen Lebensstil zu tun – so lässt sich die wissenschaftliche Studienlage grob zusammenfassen. Wir sind unseren ererbten Anlagen also keineswegs schicksalhaft ausgeliefert, sondern haben einen großen Gestaltungsspielraum.
Wer möglich gesund alt werden will, bekommt viele Ratschläge. Welche sind am wichtigsten?
Die acht Empfehlungen der amerikanischen Herz-Gesellschaft sind eine gute Richtschnur. Wer sie beherzigt, ist im Schnitt biologisch etwa sechs Jahre jünger als es dem chronologischen Alter entspräche. Die Empfehlungen werden vielen bekannt vorkommen: gesunde Ernährung, ausreichend Bewegung und Schlaf, kein Tabakkonsum, kein starkes Übergewicht und Normalwerte bei Blutdruck, Blutzucker und Cholesterin.
Das alles hat man schon oft gehört, aber was bedeutet es genau?
Drei Beispiele: Unter ausreichender Bewegung versteht die US-Herzgesellschaft 150 Minuten moderate körperliche Aktivität pro Woche, etwa Wandern, oder aber 75 Minuten erhöhte Aktivität wie beim Joggen. Die tägliche Schlafenszeit sollte zwischen sieben und neun Stunden liegen und das Körpergewicht unter dem Body-Mass-Index-Wert von 30.
Bei der GDNÄ-Versammlung in Potsdam sprechen Sie über Fakten und Mythen zum Thema gesundes Altern. Welcher Mythos hält sich besonders hartnäckig?
Der vom gesunden Glas Rotwein. Alkohol ist ein Nervengift, auch in kleinen Mengen – da führt kein Weg dran vorbei. Allerdings gibt es Hinweise, dass Alkohol uns in der ersten Lebenshälfte, also bis etwa Vierzig, mehr schadet als später. Ein weiterer Mythos hat mit der Altersgebrechlichkeit zu tun, die viele für unausweichlich halten. In meinem Vortrag werde ich darstellen, wie man ihr vorbeugen und sie zum Teil wieder rückgängig machen kann.
Rückgängig machen lässt sich ein anderes Altersleiden, die Demenz, leider noch nicht.
Aber man kann vorbeugend sehr viel tun. Mehr als ein Drittel der Fälle können verhindert oder verzögert werden, wie groß angelegte, internationale Studien in den letzten Jahren gezeigt haben. Besonders wichtig ist es, Depressionen und Schwerhörigkeit zu vermeiden und möglichst frühzeitig Bildung zu erwerben. Alkohol, Gehirnerschütterungen und Luftverschmutzung erhöhen nachweislich das Demenzrisiko.
© Charité – Universitätsmedizin Berlin
In der Klinik für Geriatrie und Altersmedizin auf dem Campus Benjamin Franklin der Charité werden Patienten mit akut-internistischen, neurologischen und orthopädischen Krankheiten im Sinne einer geriatrischen Frührehabilitation behandelt.
Weltweit wird viel zum Thema Altern geforscht. Welche Ansätze sind besonders vielversprechend?
Sehr spannend finde ich eine Forschungsrichtung namens Geroscience. Sie versteht das Altern als Hauptrisikofaktor für nicht rein genetisch determinierte Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Leiden und die meisten Krebsarten. Die Idee ist, diese Krankheiten zu vermeiden, indem man den Alterungsprozess frühzeitig verlangsamt. Einen Ansatzpunkt bieten sogenannte seneszente Zellen. Das sind Körperzellen, die irgendwann aufgehört haben sich zu teilen. Sie funktionieren nicht mehr richtig, sind aber auch nicht ganz tot und können umliegende Zellen schädigen. Die Folgen sind Erkrankungen und Gebrechlichkeit. Je älter der Mensch, desto mehr solcher Zombie-Zellen gibt es im Gewebe.
Haben wir eine Chance gegen die Zombies?
Wir können sie in den Selbstmord treiben und so den altersbedingten Niedergang aufhalten. Das gelingt mit bestimmten Wirkstoffen, sogenannten Senolytika, wie Tierversuche gezeigt haben. Inzwischen gibt es erste klinische Versuche an Patienten mit Krankheiten wie Lungenfibrose, Nierenfunktionsstörungen oder Diabetes. Die bisherigen Ergebnisse sind durchaus ermutigend.
Wann werden die ersten Präparate erhältlich sein?
Das hängt ganz vom weiteren Verlauf der klinischen Studien ab. Wenn nichts dazwischen kommt, haben wir die ersten Medikamente vielleicht in fünfzehn, zwanzig Jahren.
Beteiligt sich Ihr Institut an der Charité an dieser Forschung?
Ja, eine unserer Arbeitsgruppen beschäftigt sich im Rahmen der translationalen Bio-Gerontologie mit dem Thema.
Worum geht es in anderen Arbeitsgruppen des Instituts?
Wir haben eine Menge interessanter Themen, aber lassen Sie mich zwei Beispiele herausgreifen. Da geht es etwa um die Frage, inwiefern die Ernährung Entzündungen im Körper fördert oder hemmt. Das ist wichtig zu wissen, weil viele Krankheiten und auch der Alterungsprozess selbst mit Entzündungen einhergehen. In Zusammenarbeit mit dem Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke entwickeln Mitarbeitende gerade einen inflammatorischen Index, mit dem sich das Entzündungspotenzial von Lebensmitteln bestimmen lässt. Eine andere Arbeitsgruppe kümmert sich um Smart-Home-Lösungen für ältere Menschen, die ihnen ein langes Leben zu Hause erleichtern sollen.
Zum Schluss noch ein Mythos-oder-Fakt-Frage: Können wir alle 150 Jahre alt und älter werden, wie in letzter Zeit immer wieder behauptet wird?
Nein, das glaube ich nicht. Die maximale Lebensspanne ist bei jeder Spezies genetisch determiniert. Beim Menschen liegt sie um das Alter, das die 1997 verstorbene Französin Jeanne Calment mit ihren gut 122 Jahren erreicht hat. 122 Jahre bei Frauen, 118 Jahre bei Männern – diese Latte werden wir auch in Zukunft nicht groß reißen können. Doch was bringen einem solche Rekorde, wenn man krank ist? Altern bei zufriedenstellender Gesundheit, das finde ich erstrebenswert.
© Charité – Universitätsmedizin Berlin
Prof. Dr. Ursula Müller-Werdan
Zur Person
Prof. Dr. Ursula Müller-Werdan ist seit 2016 Direktorin der Medizinischen Klinik für Geriatrie und Altersmedizin der Charité Berlin sowie Ärztliche Leiterin und Medizinische Geschäftsführerin des Evangelischen Geriatriezentrums Berlin. Davor war die Kardiologin und Geriaterin an der Universitätsklinik der RWTH Aachen und von 1996 bis 2014 an der Universitätsklinik Halle-Wittenberg tätig. Ihr Medizinstudium und ihre Facharztausbildung absolvierte die 1961 geborene Allgäuerin an der Ludwig-Maximilians-Universität München – mit Stipendien der Studienstiftung, der Stiftung Maximilianeum und der Bayerischen Begabtenförderung. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen Herzerkrankungen im Alter, Sepsis und Multiorganversagen sowie Multimorbidität im Alter. Ursula Müller-Werdan ist eine der stellvertretenden Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin und war Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie.
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