„Sauber, kostenlos und unerschöpflich“

Michael Tausch, Innovationsforscher an der Universität Wuppertal, über das gewaltige Potenzial der Sonnenenergie, veraltete Lehrpläne und sein Werben für die Chemie des Lichts

Herr Professor Tausch, woran arbeiten Sie gerade?
Ich erstelle derzeit Materialienpakete für den Chemieunterricht. Damit will ich Lehrern helfen, auch im Homeschooling lebendigen, gehaltvollen und zeitgemäßen Unterricht zu gestalten.

Wie können wir uns so ein Materialienpaket vorstellen?
Aktuell geht es um das Thema Licht – Farbe – Energie. Dazu stelle ich digitale Lernpfade aus Texten und Videos von Experimenten zusammen, wobei ich aus einem großen Fundus schöpfen kann. Vieles entnehme ich der allgemein zugänglichen Website „Chemie mit Licht“ meiner Arbeitsgruppe an der Universität Wuppertal, anderes aus meinen eigenen Veröffentlichungen zur Chemiedidaktik. Sobald wieder reale Experimente im Präsenzunterricht möglich sind, sollten die aufgezeichneten Versuche real durchgeführt werden – das ist die Idee.

Wie kommt Ihr Paket zu den Lehrern?
Sobald es fertig ist, schicke ich es an die verschiedenen Landesbildungsserver. Dort werden die Materialien integriert und den Schulen kostenlos zur Verfügung gestellt. Das kann recht problemlos laufen, wie die Erfahrungen mit früheren Lieferungen zeigen.

Warten die Lehrkräfte schon ungeduldig auf Ihr Materialienpaket?
Einige vielleicht schon (lacht). Das sind dann diejenigen, die uns kennen und unsere Materialien mit Gewinn im Unterricht einsetzen. Andere reagieren womöglich noch zurückhaltend auf das Angebot.

Woran liegt das?
Die Chemie mit Licht, fachsprachlich: Photochemie, ist noch nicht in den Lehrplänen angekommen – sie ist also kein Pflichtstoff. Auch im Studium hatten die meisten heutigen Lehrkräfte keine Berührung mit der Thematik. Manche schrecken davor zurück, weil sie die Materie für schwierig halten und glauben, man brauche teure Apparate und giftige Reagenzien für den Unterricht.

Ein Irrglaube?
Ja. Die Chemie mit Licht lässt sich mit ganz einfachen, harmlosen und kostengünstigen Chemikalien und Geräten vermitteln – nicht nur in den Sekundarstufen I und II, sondern teilweise auch schon im Kindergarten. Da gibt es wunderschöne, aussagekräftige Versuche mit Sonnenlicht, Flaschen und LED-Taschenlampen. Details finden sich auf der erwähnten Website „Chemie mit Licht“ und im gleichnamigen Lehrbuch, das sich an Studierende des Lehramts, Lehrkräfte und interessierte Laien richtet. In unseren Fortbildungsveranstaltungen kommt es übrigens regelmäßig zu Aha-Erlebnissen: Viele Lehrer erkennen dann, wie leicht die Photochemie sich in die bestehenden Curricula integrieren lässt – nicht nur im Chemie-Unterricht, sondern auch in anderen naturwissenschaftlichen Fächern.

In einem Lehrgang zeigt Michael Tausch, wie man aus simplen Materialien eine photogalvanische Konzentrationszelle im Miniaturformat baut und damit Strom erzeugen kann.

Wie kommt es zu Ihrer Begeisterung für die Photochemie?
Ich habe mich schon als junger Forscher, damals noch am Forschungsinstitut für Organische Chemie in Bukarest, mit der faszinierenden Materie beschäftigt. Nach meiner Übersiedlung nach Deutschland arbeitete ich zwanzig Jahre als Lehrer für Chemie und Mathematik und entwickelte in dieser Zeit zahlreiche photochemische Versuche, um beispielsweise Prozesse der Photosynthese oder des Auf- und Abbaus von Ozon zu veranschaulichen. Schon damals zeichnete sich ab, dass Sonnenlicht die wichtigste und nachhaltigste Energieform des 21. Jahrhunderts sein wird. Seither hat sich in Forschung und Technik sehr viel getan – und als Professor versuche ich, dieses Wissen in die Lehramtsausbildung an der Universität und in die Schule zu bringen.

Derzeit trägt die Solarstrahlung nur begrenzt zur Energieversorgung bei. Was stimmt sie so optimistisch?  
Unter anderem das gewaltige Potenzial: Sonnenlicht ist sauber, kostenlos und praktisch unerschöpflich. Die Lichteinstrahlung nur eines Tages könnte ausreichen, um die gesamte Menschheit ein Jahr lang mit Energie zu versorgen. Durch Photovoltaik, Solarthermie und andere Verfahren nutzen wir diese Ressource nur zu einem kleinen Teil. Was wir brauchen, sind neue Technologien zur Umwandlung, Speicherung und effizienten Nutzung von Solarlicht. Mithilfe künstlicher Photosynthese lassen sich zum Beispiel klimaneutrale Treibstoffe und Grundchemikalien herstellen. Neuartige Materialien, opto-elektronische Bauteile und neue Verfahren der Mikro- und Nanoskopie – auch dazu kann die Photochemie beitragen.

Eine große Vision. Wie lässt sie sich realisieren?
Wir müssten so viel Sonnenlicht wie möglich einfangen. Ein paar Solarpaneele auf dem Dach reichen da nicht aus. In Zukunft könnten auch Fenster und Autodächer als Solarzellen dienen – entsprechende Ansätze gibt es bereits. Auch flexible Plattformen im Ozean, so groß wie mehrere Fußballfelder, könnten Sonnenlicht einfangen und sowohl photovoltaisch als auch photokatalytisch verfügbar machen. Der menschlichen Kreativität sind kaum Grenzen gesetzt – und sie will ich mit meiner Arbeit anregen.

Was haben Sie als Nächstes vor?
Hoffentlich ist die Pandemie bald vorbei. Ich kann es kaum erwarten, wieder auszuschwärmen und landauf, landab Workshops für Lehramtsstudenten und Lehrkräfte zu geben.

Saarbrücken 2018 © Robertus Koppies
Professor Tausch in seinem Büro in der Bergischen Universität Wuppertal.

Zur Person

Professor Michael W. Tausch (71) ist Seniorprofessor für das Fachgebiet Curriculare Innovationsforschung an der Bergischen Universität Wuppertal. Dort hatte er von 2005 bis 2018 den Lehrstuhl für Chemie und ihre Didaktik inne. Dieses Fach vertrat er zuvor (1996 bis 2005) als C3-Professor an der Mercator-Universität Duisburg. Von 1976 bis 1996 wirkte Tausch als Fachlehrer für Chemie und Mathematik an der Kooperativen Gesamtschule Weyhe. In diesem Zeitraum absolvierte er seine Promotion an der Universität Bremen und leitete Lehrerfortbildungskurse der Gesellschaft Deutscher Chemiker. Michael Tausch stammt aus Siebenbürgen, Rumänien, und siedelte nach Chemiestudium und wissenschaftlicher Tätigkeit am Institut für Organische Chemie Bukarest im Jahr 1975 nach Deutschland um. Mitglied der GDNÄ wurde Michael Tausch im Jahr 2006 bei der Versammlung in Bremen. Im Jahr 2015 erhielt er als erster Chemiedidaktiker den neu eingerichteten Heinz-Schmidkunz-Preis der Gesellschaft Deutscher Chemiker.

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Workshop „Lichtlabor Pflanze“: Michael Tausch vor Chemielehrkräften im November 2019 in Berlin.

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