Wie Algen den Klimawandel anheizen

Liane G. Benning, Biogeochemikerin, über weltbewegende Grenzflächen, Mikroben im arktischen Eis und ihr El Dorado der Forschung.

Frau Professorin Benning, bei der nächsten Versammlung der GDNÄ halten Sie einen öffentlichen Abendvortrag mit dem Titel „Das große Schmelzen: kleine Zellen, große Folgen“. Warum sollte man sich diesen Termin vormerken?
Ich werde neue, bisher wenig bekannte Erkenntnisse vorstellen, die für Klimaprognosen der Zukunft wichtig sind. Es geht zum Beispiel um Schnee und Eisalgen und ihren großen Einfluss auf das  Abschmelzen des grönländischen Eisschilds, der erheblich zum globalen Meeresspiegelanstieg beiträgt. Wer sich also für aktuelle Klimaforschung interessiert und wissen will, was wir als Wissenschaftler in Potsdam und Berlin dazu beitragen, ist zu meinem Vortrag herzlich eingeladen.

Sie leiten die Forschungsgruppe Grenzflächengeochemie am Deutschen Geoforschungszentrum. Was haben Grenzflächen mit dem Klima zu tun?
Da muss ich ein wenig ausholen. In meiner Forschungsgruppe geht es um Grenzflächenreaktionen. Damit gemeint sind chemische, physikalische und biologische Reaktionen auf und in den Oberflächen unterschiedlichster Materialien, die deren Form, Struktur und Funktion prägen. Unser Planet verdankt solchen Prozessen sein Aussehen im Kleinen wie im Großen, sie steuern den Kreislauf von Kohlenstoff, Nährstoffen und Spurenelementen. Auch der Klimawandel ist eine Folge von Grenzflächenreaktionen. Ein Beispiel sind die Reaktionen zwischen Kohlendioxid und Atmosphäre. Ein weiteres, indirekteres Beispiel sind die Kettenreaktionen im arktischen Eis.

Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI). © IQOQI/M.R.Knabl

© Katie Sipes

Feldforschung, die Freude macht: GFZ-Doktorand Rey Mourot sammelt Schnee- und Eisproben im Süden Grönlands. Der Hubschrauber im Hintergrund steht aus Sicherheitsgründen bereit. Das Wetter kann schnell umschlagen, dann muss die Arbeit sofort abgebrochen werden. Die Grönland-Fotos auf dieser Seite wurden im Mai 2022 aufgenommen.

Wie erfassen Sie die Vorgänge in Grenzflächen?
Wir kombinieren experimentelle Ansätze und Messungen in der Natur, beispielsweise in Grönland, mit Satellitenbildern, mikrobieller Sequenzierung und hochauflösenden, von uns ständig weiterentwickelten Bildgebungstechniken der Elektronenmikroskopie und Spektroskopie. Auf diese Weise können wir Wechselwirkungen in Grenzflächen bis hinunter auf die atomare Ebene beobachten. Die Erkenntnis, dass Algen, Viren und Bakterien eine Schlüsselrolle im Klimageschehen spielen, ist diesem großen Repertoire an Methoden zu verdanken. 

Bitte erläutern Sie genauer, wie all das zusammenhängt.
Nehmen wir Grönland als Beispiel. Ich bin dort immer wieder mit meinem Team, um Messungen vor Ort zu machen und Eisproben zu entnehmen, die wir nach der Rückkehr in Potsdam untersuchen. Noch ist das Grönlandeis kilometerdick, doch im Jahr schmilzt im Schnitt ein Meter weg und geht in die Ozeane. Seit Jahren verläuft diese Entwicklung immer schneller. Das hat nicht nur mit der zunehmenden Erderwärmung zu tun, sondern auch mit dunklen Flächen auf dem Eis. Sie reduzieren den sogenannten Albedo, also das Rückstrahlvermögen der Oberfläche, und erwärmen diese. Lange dachte man, dass herangewehte Ruß- oder Staubpartikel das Eis schwärzen. Doch inzwischen wissen wir, dass natürlich vorkommende Schnee- und Eisalgen im Verbund mit anderen Mikroorganismen wesentlichen Anteil an der Verdunklung haben – und sich in Grönland kräftig vermehren. Im südwestlichen Teil der Insel gehen bis zu 26 Prozent der Albedo-Reduktion auf Eisalgen zurück. Und im Rahmen des großen EU-Projekts „Deep Purple“ erforschen wir zudem, ob spezielle Viren die Algenblüte womöglich kontrollieren und wie die Blüte durch winzige Pilze verlangsamt wird. 

Lassen sich solche Erkenntnisse nutzen, um den Klimawandel abzubremsen?
Was wir machen, ist reine Grundlagenforschung. An Maßnahmen zur Milderung von Klimawandelfolgen beteiligen wir uns nicht. Ein Bio- oder Geoengineering auf der Basis bisheriger Forschungsergebnisse halte ich auch für verfrüht, weil wir noch viel zu wenig über das Gesamtsystem wissen. Einzelne Eingriffe können großen Schaden anrichten, wir müssen da sehr vorsichtig sein. 

Findet das neue Wissen über Algen und Co. schon Eingang in Klimaprognosen?
Im letzten Bericht des Weltklimarats von 2023 wurde der Beitrag der Algen zwar schon erwähnt, aber in den Vorhersagen ist das Bio-Albedo noch nicht berücksichtigt. Ich bin zuversichtlich, dass der nächste Sachstandsbericht näher auf den Effekt eingehen wird.

Instituts für Fertigungstechnologie an der Universität Erlangen-Nürnberg. © FAU

© Katie Sipes

Liane G Benning und ihr Doktorand Rey Mourot vor einem Schneefeld im südlichen Grönland. Es ist deutlich zu erkennen, wie hier grüne, gelbliche und rote Schneealgen wuchern.

Sie arbeiten schon lange auf diesem speziellen Gebiet. Wie kam es dazu?
Eigentlich war ich schon immer fasziniert von Prozessen in der Umwelt. Ich studierte dann zunächst Mineralogie in Kiel und setzte mein Studium fort an der ETH in Zürich, wo ich geochemische Reaktionen zu meinem Promotionsthema machte. Es folgten akademische Stationen in den USA und in Großbritannien und mit der Zeit wurde mir klar, dass ich ohne Biologie wissenschaftlich nicht vorankomme. Also habe ich mich eingearbeitet, vor allem in die Genetik, und so wurde aus mir schließlich eine Biogeochemikerin. 

Sie waren 17 Jahre an der Universität Leeds, bevor Sie nach Potsdam und Berlin wechselten. Wie haben Sie den Wechsel erlebt?Nach Deutschland zurückzukommen war ein kleiner Kulturschock. Im Alltag musste ich mich erst einmal an die rustikalen Umgangsformen in Berlin und Brandenburg gewöhnen – da geht es in England doch etwas höflicher zu. Und dann die ausufernde Bürokratie, mit der die Deutschen sich und andere quälen. Die Briten – vor allem an den Universitäten – arbeiten oft viel effizienter, da können wir uns einiges abschauen. 

Inzwischen sind Sie zehn Jahre in der Region und konnten hoffentlich auch Positives entdecken.
Sogar sehr viel Positives. Wissenschaftlich habe ich hier fantastische Möglichkeiten. Wenn ich ein modernes, teures Messgerät für meine Forschung brauche, finde ich es so gut wie immer in der Region – sei es an einem anderen Helmholtz-Institut, bei Einrichtungen der Max-Planck-Gesellschaft oder an der Bundesanstalt für Materialprüfung. Und, was genau so wichtig ist: Die Kollegen sind hochkompetent, hilfsbereit und offen für Kooperationen. Genial ist zum Beispiel die Zusammenarbeit mit Thomas Leya vom Potsdamer Fraunhofer-Institut für Zelltherapie und Immunologie. In seiner Biobank befindet sich eine wunderbare Schneealgen-Kultur, die sich hervorragend für Vergleiche mit unseren Eisalgen eignet. Beim Aufbau unserer Kultur konnten wir sehr vom Know-how der Fraunhofer-Kollegen profitieren. Unterm Strich kann ich mir für meine Forschung kein besseres Umfeld wünschen. 

Berlin-Brandenburg, ein El Dorado für Geowissenschaftler?
Dem kann ich zustimmen. 

Dann haben Sie vermutlich wenig Probleme, gute junge Leute für Ihr Team zu gewinnen?
Wenn wir eine Stelle ausschreiben, kommen Bewerbungen aus aller Welt. Das war gerade wieder der Fall, es ging um eine Nachwuchswissenschaftler-Position. Aber wir wurden nicht fündig, die Bewerbungen waren einfach nicht gut genug. Bei den einen waren es die lückenhaften Unterlagen, bei anderen die Schmalspur-Qualifikation, die für unsere fachübergreifenden Aufgaben nicht ausreicht. Manche Bewerber wollen nur ihre Chancen austesten und meinen es nicht ernst. Ganz so leicht haben wir es also nicht. 

Wie lösen Sie das Problem?
Im konkreten Fall schreiben wir die Stelle jetzt neu aus, mit genaueren Kriterien. Ich schicke die Anzeige auch an mir bekannte Kolleginnen und Kollegen weltweit. Persönliche Empfehlungen sind da sehr viel wert. Außerdem versuche ich, gute junge Leute aus meinem Studiengang an der FU Berlin ans GFZ zu ziehen: für ein Praktikum oder für die Abschlussarbeit. Wenn es gut läuft, kann ein Job daraus werden. Das sage ich auch den Schüler-Praktikanten aus Potsdam, die in den letzten Jahren bei uns waren. Mein Team hat sich ganz toll um deren Fragen und Wünsche gekümmert und wir sind gern bereit, neue Praktikanten aus der Region aufzunehmen.

Marion Merklein © FAU

© Phil Dera

Prof. Dr. Liane G. Benning.

Zur Person

Seit 2014 leitet Liane G. Benning die Abteilung Grenzflächengeochemie am Geoforschungszentrum GFZ, Helmholtz-Zentrum Potsdam. Sie ist zudem verantwortlich für die Potsdam Imaging and Spectral Analysis Facility (PISA). Seit  2016 ist sie Professorin an der Freien Universität Berlin.

An der Universität Kiel machte Liane G. Benning ihr Vordiplom in Mineralogie; an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) schloss sie ihr Studium in den Fächern Petrologie und Geochemie ab. An der ETH wurde sie im Jahr 1995 promoviert. Nach einem Postdoc-Aufenthalt an der Pennsylvania State University wechselte Liane G. Benning an die University of Leeds, wo sie 2007 zur Professorin berufen wurde und bis 2017 forschte und lehrte.

Die Biogeochemikerin hat viele nationale und internationale Auszeichnungen erhalten. Seit 2018 ist sie Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, seit 2020 Geochemistry Fellow der Geochemical Society und der European Association of Geochemistry.  Anfang 2024 wurde Liane G. Benning von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in den Wissenschaftsrat berufen.

Bohrkern aus dem grönländischen Eisschild mit schwarzen Partikeln, die Algen, Mineralien und Ruß enthalten. Sie verdunkeln die Gletscheroberfläche und beschleunigen im Sommer die Eisschmelze. © Rey Mourot

© Rey Mourot

Bohrkern aus dem grönländischen Eisschild mit schwarzen Partikeln, die Algen, Mineralien und Ruß enthalten. Sie verdunkeln die Gletscheroberfläche und beschleunigen im Sommer die Eisschmelze.

Weitere Informationen

>> Praktikumsplatz-Anfrage für Oberstufen-Schülerinnen und Schüler: benning@gfz-potsdam.de