Für welche Zwecke nutzen die Jugendlichen an Ihrer Schule den Chatbot?
Soweit ich es beobachten kann, vor allem zum Ausprobieren und Spielen. Allerdings kam dieses Jahr auch schon in Einzelfällen der Verdacht missbräuchlicher Nutzung auf. Es ging zum Beispiel um Facharbeiten, also um Arbeiten, die ohne schulische Aufsicht zu Hause angefertigt werden und deren Note so gewichtet wird wie eine Klausurnote. Wenn sich deutliche Abweichungen zwischen den Arbeiten und den bisherigen Leistungen zeigen, werden wir natürlich stutzig.
Wie hat Ihre Schule in dieser Situation reagiert?
Da wir in der Beweispflicht stehen, haben die Kollegen die Arbeiten sehr genau unter die Lupe genommen. Wissend, dass ChatGPT auch Quellenangaben generieren kann, prüften sie bei einer Facharbeit zum Beispiel, ob Bielefelder Bibliotheken über die in der Arbeit angegebenen Bücher verfügen. Den Verdacht, dass Facharbeiten mit Hilfe anderer Personen, etwa den Eltern, angefertigt wurden, gab es auch schon früher. Aber ChatGPT eröffnet da ganz neue Dimensionen. Daher wird in unserem Kollegium bereits darüber diskutiert, ob Facharbeiten bisheriger Machart in Zukunft überhaupt noch akzeptabel sind. Müssen sie durch mündliche Prüfungen ergänzt werden oder gilt es, ganz neue Wege zu finden?
In anderen Schulen wird das vermutlich genauso sein. Wie reagieren die Schulbehörden auf die Herausforderung?
Das Ministerium für Schule und Bildung in Nordrhein-Westfalen hat schnell reagiert und einen gut gemachten Handlungsleitfaden für den Umgang mit textgenerierenden KI-Systemen herausgebracht. Auch andere Bundesländer haben entsprechende Empfehlungen veröffentlicht.
Wie steht es um die Lehrerfortbildung zu KI allgemein und Chatbots im Speziellen.
Es gibt solche Angebote. Für mich wären sie aber erst interessant, wenn sie konkret auf meine Fächer Deutsch und Biologie zugeschnitten sind. Noch ist das nicht der Fall.
Sie haben ChatGPT schon früh getestet. Hatte das Folgen für Ihren Unterricht?
Ja, ich habe die neue Technik im Unterricht in der Oberstufe zeitnah zum Thema gemacht. Wir haben darüber gesprochen, wie Chatbots funktionieren, was sie können und was nicht. Es ging auch um die unsichere Quellenlage und datenschutzrechtliche Bedenken: Immerhin muss man seine Mobilnummer bekanntgeben, um ChatGPT umfassend nutzen zu können. Es ging mir in dem Gespräch mit den Schülerinnen und Schülern aber vor allem darum, sie frühzeitig vor der Verlockung zu warnen, das KI-Modell als „Hausaufgabenhelfer“ zu nutzen. Kurzzeitig wäre die Nutzung von Vorteil, aber wer nicht selbst denkt, lernt auch nicht richtig. Und das ist ja die Gefahr, die dahinter steckt. Wir haben ChatGPT dann aber nicht weiter im Unterricht verwendet.
Können Sie und Ihre Kollegen erkennen, ob eine Hausaufgabe von Schülern oder von einem Chatbot gemacht wurde?
Bisher hatte ich noch keinen Verdachtsfall. Ich würde aber behaupten, dass wir Lehrer ziemlich schnell erkennen, ob es sich um eine eigene Leistung handelt oder nicht. Wir können das Leistungsvermögen unserer Schüler durch die Mitarbeit im Unterricht und die Klausuren sehr gut einschätzen – Diskrepanzen fallen da schnell auf. In meinen Fächern sehe ich ohnehin kaum Spielraum für den Einsatz von ChatGPT für Hausaufgaben. Die beziehen sich in der Regel auf Materialien mit Texten und Grafiken und damit kann man die KI noch nicht so einfach füttern. Bei simplen Definitionsaufgaben ist das vielleicht etwas anderes. Aber die fallen bei uns nicht groß ins Gewicht.
In welcher Weise könnte ChatGPT in Ihren Fächern nützlich sein?
Das ist eine schwierige Frage, da die Anwendungsbereiche unglaublich umfassend und viele Fragen für uns Lehrer noch ungeklärt sind. Einen möglichen Nutzen sehe ich vor allem dort, wo die Schüler im Dialog mit der KI stehen und ihre Prompts, also ihre Anfragen, immer präziser formulieren müssen, um zum Ziel zu kommen. In diesem Prozess findet dann das Lernen statt. Im Fach Biologie wäre etwa denkbar, Experimente zunächst hypothetisch zu entwickeln oder gar einen Versuchsablauf zu modellieren. Im Fach Deutsch fände ich es zum Beispiel spannend, gezielt Dialoge eines Roman- oder Dramenausschnitts von der KI interpretieren zu lassen und die Plausibilität der Begründungen mit den Schülern zu diskutieren. Kann eine KI Ironie erfassen? Wieviel Kontext braucht sie dafür? Diese Fragen zu beantworten, wäre auch für das eigene Verständnis literarischer Texte durchaus nützlich.
Wird ChatGPT die Schule grundlegend verändern, wie manche vorhersagen?
Nein, das glaube ich nicht, jedenfalls nicht in den klassischen Schulfächern. Im Informatik-Unterricht dürfte das anders sein. Was sicher unberührt durch die neue Technik bleibt, ist unser Auftrag als Lehrer: Wir sollen junge Menschen zum selbstständigen Lernen erziehen und Wissen vermitteln. ChatGPT kann dabei möglicherweise helfen und den Unterricht bereichern, vor allem in der Oberstufe.