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  • Carsten Bolm: „Ohne Industriekontakte geht es in meinem Fach nicht“

    „Ohne Industriekontakte geht es in meinem Fach nicht“

    Chemieprofessor Carsten Bolm, Mitglied im GDNÄ-Vorstandsrat, über kreative Forschung, seine nur scheinbar geradlinige Laufbahn und lohnende Perspektiven für den Nachwuchs.

    Herr Professor Bolm, Sie haben sich früh für die Chemie entschieden, sind Hochschullehrer geworden und dabei geblieben – inzwischen seit gut dreißig Jahren. Würden Sie diesen Weg noch einmal gehen?
    Ja, für mich ist er immer genau richtig gewesen. Ich kann meine Forschung nach eigenem Ermessen gestalten und talentierte junge Leute in ihrer Entwicklung begleiten: Diese Vorzüge genieße ich Tag für Tag. Es ist kein Nine-to-five-Job, man ist immer gefordert und gelegentlich findet mein Team, dass ich zu hart arbeite. Es gibt diesen Trend beim Nachwuchs, der Universität den Rücken zu kehren und sich einen ruhigeren Job zu suchen. Da versuche ich gegenzusteuern, unter anderem mit meinem Vortrag „Warum Sie an der Hochschule bleiben sollten“. Ich werde ihn demnächst wieder halten.

    Was sind Ihre Hauptargumente für die Hochschullaufbahn?
    Die gedankliche Freiheit und die Möglichkeit dem nachzugehen, was man beruflich am liebsten tut.

    Wodurch wurde Ihre Begeisterung für die Forschung und speziell für die Chemie geweckt?
    Rollenmodelle in der Familie gab es nicht. Aber meine Eltern haben mir Chemiebaukästen geschenkt und ich durfte in einer nahegelegenen Apotheke alle Chemikalien kaufen, die ich für meine Experimente brauchte. Heute ginge das nicht mehr, es wäre den Erwachsenen zu riskant, aber in den Sechziger- und Siebzigerjahren war das kein Problem. Viel zu verdanken habe ich meiner Biologielehrerin. Sie promovierte nebenher im Fach Mikrobiologie und unterrichtete Biologie mit einer starken Chemieorientierung. Ihre Begeisterung war ansteckend und irgendwann war mir klar: Ich werde Chemiker.

     © Carsten Bolm

    Die große, international gemischte Arbeitsgruppe von Carsten Bolm vor dem Institutsgebäude.

    Diesen Plan haben Sie, so scheint es, zielstrebig umgesetzt.
    Von außen wirkt das vielleicht so. Ich selbst empfand mich in der Zeit als ziemlich sprunghaft. Acht Umzüge, in Deutschland, der Schweiz, in den USA, und nirgendwo war ich länger als zwei Jahre. Dass daraus eine akademische Laufbahn wurde, hat viel mit dem Glück zu tun, zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Leute zu treffen.

    Sie sprachen von der Faszination der Chemie. Was genau fasziniert Sie?
    Die Chemie erfordert sowohl Kopf- als auch Handarbeit, eine wunderbare Kombination. Sie ist auch die einzige Disziplin, in der ständig neue Stoffe herstellt werden – Substanzen, die es vorher nicht gab. Das begeistert mich immer wieder aufs Neue.

    Sie sind Organischer Chemiker, betreiben aber auch Mechanochemie. Wie passt das zusammen?
    Zu Beginn einer akademischen Karriere muss man sich auf wenige Forschungsfragen spezialisieren, um Profil und Sichtbarkeit in der Fachwelt zu gewinnen. Später habe ich mein Spektrum Zug um Zug erweitert, unter anderem in Richtung Mechanochemie. Anwendung findet sie häufig in den Geowissenschaften, wenn es etwa darum geht, Stoffe mithilfe einer Kugelmühle energieeffizient und lösungsmittelfrei zu zerkleinern. Vor zwanzig Jahren war das in der organischen Synthesechemie noch Neuland, heute wird die Mechanochemie als maßgebliche methodische Weiterentwicklung angesehen. In meiner Arbeitsgruppe nutzen wir das Verfahren, um einerseits bestehende Syntheseverfahren zu verbessern und andererseits chemisches Neuland zu entdecken – die ungewöhnlichen Reaktionsbedingungen in den Kugelmühlen sind für manche Überraschung gut.

      © Carsten Bolm

    Arbeitsplatz Labor: Doktorandin Lena Hanek vor einer Kugelmühle, mit der sich Stoffe energieeffizient und lösungsmittelfrei zerkleinern lassen.

    Wie entstehen solche neuen Ansätze an Ihrem Institut?
    Oft durch fachübergreifenden Austausch. Bei der Suche nach neuen Wirkstoffen gegen Krankheiten arbeite ich zum Beispiel viel mit Medizinern zusammen. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Schwefelchemie, etwa zur Entwicklung neuer Tuberkulose-Hemmstoffe. Dank interdisziplinärer Kooperation konnten wir die Substratpalette der Sulfoximine, die sich insbesondere für die Nutzung in der Medizinalchemie und im Pflanzenschutz eignen, maßgeblich erweitern. Kooperationen gibt es auch mit Ingenieuren, etwa im kürzlich wieder bestätigten RWTH-Exzellenzcluster Integrated Fuel & Chemical Science Center, kurz: FSC2. Hier unterstützen wir die Entwicklung umweltfreundlicher flüssiger Energieträger. Ob an der eigenen Universität oder im Rahmen großer EU-Projekte: Wir setzen stets auf hochkarätige, verlässliche Partner. Und das bekommt uns sehr gut.

    Welche Rolle spielt bei Ihnen der Kontakt zur Industrie?
    Eine ganz wichtige. Ich würde sogar sagen: Ohne Industriekontakte geht es in meinem Fach nicht. Meine Arbeitsgruppe hat zum Beispiel enge Kontakte zur Pharmaindustrie, um gemeinsam neue Wirkstoffe zu entwickeln. Eine Pflanzenschutzfirma testet derzeit eine in unseren Laboratorien entdeckte neue Verbindungsklasse. Und ebenso wie viele andere Chemieinstitute an deutschen Hochschulen profitieren wir wesentlich vom Fonds der Chemischen Industrie bei der Förderung des akademischen Nachwuchses. Er vergibt Preise und Fördermittel – für unsere jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist das sehr wichtig.

      © Stefanie Zimmer

    Lernort Labor: Postdoktorand Dr. Renè Hommelsheim (rechts) beantwortet die Fragen des Master-Studenten Christian Keisers zur Schwefelchemie.

    Wie geht es dem Chemiestandort Deutschland aus Ihrer Perspektive?
    Wir sehen mit Sorge, dass die großen Chemieunternehmen immer weniger Stellen für unsere Absolventinnen und Absolventen anbieten. Aber wer lange genug sucht, findet etwas – das gilt vor allem für promovierte Chemikerinnen und Chemiker. Oft handelt es sich um Positionen in kleineren Firmen. Insgesamt leidet die Branche unter den gewaltigen Energiekosten und viele Unternehmen erwägen derzeit eine Verlagerung ins Ausland. Hilfreich wäre eine schnelle politische Intervention zur Kostensenkung.

    Vor fast 30 Jahren haben Sie den Ruf auf einen Lehrstuhl an der RWTH angenommen und sind trotz anderer Angebote geblieben. Was hat Sie in Aachen gehalten?
    Der starke Standort, gute Forschungsbedingungen und die hohe Lebensqualität. Ich komme aus Braunschweig, habe mich in Basel habilitiert und träumte von einem Leben im deutschen Südwesten. Aber es verschlug mich nach Aachen. Sollte ein Angebot aus Freiburg kommen, dachte ich damals, dann unterschreibe ich blind. Etwas später kam er wirklich, der Ruf aus Freiburg. Die RWTH machte ein so großzügiges Gegenangebot, dass ich nicht Nein sagen konnte. Es folgte ein weiterer Ruf – aber erneut war die RWTH besser. Und mit der Zeit habe ich die Stadt, die Nähe zu Belgien und das Rheinland sehr schätzen gelernt.

    Wie sind Sie zur GDNÄ gekommen?
    Durch einen Telefonanruf vor anderthalb Jahren. Michael Dröscher, Chemiker wie ich und langjähriger Generalsekretär der GDNÄ, fragte mich, ob ich Lust auf eine Mitarbeit hätte. Die GDNÄ war mir damals zwar bekannt, doch mir fehlte ein klares Bild von ihren Zielen. Ich glaube, es geht vielen an den Hochschulen so.  Ich bin dann zur Versammlung in Potsdam gereist und fand sie extrem gelungen. Beeindruckt hat mich das Zusammenwirken der Disziplinen und das wertschätzende Miteinander von Jung und Alt – in dieser Art und Ausprägung hatte ich das noch nie erlebt. In Potsdam wurde das Junge Netzwerk der GDNÄ gegründet, das sich seither prächtig entwickelt. Da kommen einem gleich ganz neue Ideen.

    Welche zum Beispiel?
    Vielleicht gelingt es uns, in Aachen eine Vortragsserie zu Themen der modernen Chemie auf die Beine zu stellen, zusammen mit Vertretern der jGDNÄ. Wenn das klappt, könnte das auch ein Format für andere Universitätsstädte sein. Eine weitere Idee wäre es, GNDÄ-Mitglieder auf Vortragsreise an deutsche Hochschulen zu senden, um so die Gesellschaft mitsamt der jGDNÄ ins universitäre Rampenlicht zu rücken.

    Sie wurden zum Fachvertreter für Chemie in den Vorstandsrat der GDNÄ gewählt. Was wollen Sie aus dem Amt machen?
    Zu meinen zentralen Aufgaben gehört es derzeit, hochkarätige Chemiker für möglichst allgemeinverständliche Vorträge über ihre Forschung für die Versammlung 2026 in Bremen zu gewinnen. Die Themen sollen aktuell und von fachübergreifendem Interesse sein. Es ist ein wunderbares Amt und es passt perfekt zu meinem Anliegen: Ich will die Chemie sichtbarer machen – in Wissenschaft und Öffentlichkeit – und die GDNÄ gleich mit.

    Saarbrücken 2018 © Robertus Koppies

    © Martin Braun Fotografie

    Prof. Dr. Carsten Bolm, Lehrstuhl für Organische Chemie II an der RWTH Aachen University.

    Zur Person

    Professor Carsten Bolm (65) ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Organische Chemie der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen University. Seine Forschungsbeiträge reichen von der Grundlagenforschung im Bereich der organischen Synthesechemie über die Mechanochemie bis zur Entwicklung neuer biobasierter Kraftstoffe.

    Carsten Bolm wuchs in Braunschweig auf und studierte dort und an der University of Madison, Wisconsin, Chemie. 1987 wurde er in Marburg promoviert und absolvierte anschließend einen Postdoc-Aufenthalt beim zweimaligen Nobelpreisträger Barry Sharpless am Massachusetts Institute of Technology in Boston. 1993 habilitierte er sich an der Universität in Basel. 1996 nahm er einen Ruf auf einen Lehrstuhl für Organische Chemie der RWTH an. Der Chemiker gehörte mehrfach zu den „Thomson Reuters Highly Cited Researchers“ und wurde 2015 zum Fellow der britischen Royal Society of Chemistry ernannt. Im Jahr 2022 wurde er in die Academia Europaea berufen. Die Gesellschaft Deutscher Chemiker verlieh ihm für seine Arbeit auf dem Gebiet der Katalyseforschung die Adolf-von-Baeyer-Denkmünze. Als Fachvertreter Chemie engagiert sich Professor Bolm seit 2024 im GDNÄ-Vorstandsrat.

    © Carsten Bolm

    Das RWTH-Institut für Organische Chemie. Das Relief über dem Eingang zeigt die Entwicklung der Chemie im Verlauf der Jahrhunderte. Dargestellt ist auch der nicht metallische Feststoff Schwefel, den die Arbeitsgruppe Bolm neu beforscht. Schwefel war schon im Mittelalter ein Grundstoff war.

    Zum Weiterlesen

    Professor Wolfgang Wahlster mit Rudolf-Diesel-Medaille 2025 ausgezeichnet

    Professor Wolfgang Wahlster mit Rudolf-Diesel-Medaille 2025 ausgezeichnet

    Der ehemalige Präsident der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (GDNÄ), Professor Wolfgang Wahlster, ist mit der renommierten Rudolf-Diesel-Medaille 2025 in der Kategorie „Beste Innovationsförderung“ ausgezeichnet worden. Die Ehrung wurde am 10. Juli 2025 im Rahmen eines feierlichen Gala-Dinners in Augsburg verliehen. Als langjähriger wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz fungiert Wolfgang Wahlster heute als dessen Chefberater.

    Die Verleihung des ältesten Innovationspreises Europas erfolgte durch den Sprecher des Rudolf-Diesel-Kuratoriums, Professor Alexander Wurzer, in Anwesenheit von rund hundert geladenen Gästen aus Wissenschaft, Wirtschaft und Politik. Das Diesel-Kuratorium, das als Wahlgremium fungiert, besteht aus rund sechzig Technologievorständen von weltmarktführenden, mittelständischen Technologieunternehmen. 

    Mit der diesjährigen Auszeichnung würdigt das Deutsche Institut für Erfindungswesen das Lebenswerk von Professor Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Wahlster, der seit mehr als vier Jahrzehnten als Pionier und Brückenbauer zwischen KI-Forschung und industrieller Anwendung wirkt. Wahlster wurde 1982 mit nur 29 Jahren auf den ersten deutschen Lehrstuhl für Künstliche Intelligenz an der Universität des Saarlandes berufen. Seine Arbeiten zu Sprachverstehen, Übersetzungssystemen und Dialogtechnologien legten früh den Grundstein für heutige Sprachassistenten und Chatbots. Als Vordenker der Industrie 4.0 prägte er 2010 nicht nur den Begriff, sondern entwarf auch zentrale Konzepte für die vierte industrielle Revolution – mit weltweiter Ausstrahlung. 

    In ihrer Laudatio würdigte Dr. Diana Taubert, Geschäftsführerin ETL IP Patentanwaltsgesellschaft mbH, Wahlsters außergewöhnliche Rolle in der deutschen Innovationslandschaft: „Sie sind nicht nur ein Pionier der Künstlichen Intelligenz – Sie sind auch ein Architekt von Innovationsstrukturen, ein Brückenbauer zwischen Forschung und Anwendung, ein Möglichmacher im besten Sinn.“ Sie hob hervor, dass Prof. Wahlster nicht nur technologische Entwicklungen, sondern auch ethische und normative Standards maßgeblich mitgestaltet hat – in Ethikkommissionen, Normierungsgremien und öffentlichen Debatten. 

    Die Rudolf-Diesel-Medaille wurde seit ihrer Einführung im Jahr 1953 an herausragende Persönlichkeiten aus der IT-Welt wie Konrad Zuse, Wolfgang Giloi, Andreas Grünberg, Hasso Plattner, Renate Pilz und August-Wilhelm Scheer verliehen. Mit Wolfgang Wahlster reiht sich eine der prägenden Persönlichkeiten der europäischen KI-Forschung in diesen Kreis ein. 

    Als Präsident der GDNÄ (2017-2018) richtete Professor Wahlster die 130. Versammlung der Naturforschergesellschaft mit dem Titel „Digitalisierung der Wissenschaften“ in Saarbrücken aus. Später war er der GDNÄ über mehrere Jahre als Mitglied im Vorstandsrat verbunden.

    Saarbrücken 2018 © Robertus Koppies

    © Dominik Wagner, Eichmeister Kreativagentur GmbH

    Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Wolfgang Wahlster, Präsident der GDNÄ in den Jahren 2017 und 2018.

    Junge GDNÄ: „Heidelberg hat uns viel Schwung gegeben“

    „Heidelberg hat uns viel Schwung gegeben“

    Praxisnahes Programm, informelle Atmosphäre: eine erste Bilanz aus dem Organisationsteam des jGDNÄ-Kongresses vom 27. bis 29. Juni 2025.

    Frau Anders, Herr Kleemann, Herr Paschen, die erste, in Eigenregie durchgeführte Konferenz der jGDNÄ liegt hinter Ihnen. Wie lautet Ihr Resümee in einem Satz?‘
    Sebastian Paschen:
    Ich fand die Tage rundum gelungen, wir hatten viel Spaß und Austausch – auf dieser Basis können wir uns gut weiterentwickeln.
    Marlene Anders: Es war ein fantastischer erster Kongress, dem hoffentlich noch viele weitere folgen werden.
    Lennard Kleemann: Trotz der kurzen Vorbereitungszeit von vier Monaten haben wir es mit Hilfe renommierter Institutionen in Heidelberg geschafft, einen wissenschaftlich hochwertigen und thematisch vielseitigen Kongress auf die Beine zu stellen. 

    Wie viele junge Leute sind Ihrer Einladung gefolgt?
    Sebastian Paschen:
    Insgesamt waren es 35 Teilnehmende. Die Zahl fluktuierte gelegentlich, weil nicht alle bei allen Programmpunkten dabei waren. Es gab Parallelveranstaltungen und einige mussten etwas früher abreisen. 

    Wie können wir uns die Teilnehmenden vorstellen?
    Marlene Anders:
    Es waren Mitglieder der jGDNÄ im Alter von 16 bis 32 Jahren: Schülerinnen und Schüler der Oberstufe, Studierende, Promovierende, Jungforschende aus der Wirtschaft. Einige kamen aus der Region um Heidelberg, andere von weiter her aus ganz Deutschland. Das Fächerspektrum reichte von den Ingenieurwissenschaften über Physik und Informatik bis zu Lebenswissenschaften wie Biologie und Medizin. Die meisten Teilnehmenden gehören schon länger zu unserem Netzwerk, einige waren zum ersten Mal dabei.

     © Robert Hammann

    Bei einer Führung durch die Heidelberger Altstadt am ersten Kongresstag.

    Wie kam es, dass sie sich für Heidelberg als ersten Kongress-Ort entschieden haben?
    Marlene Anders:
    Wir haben einfach geschaut, wo die meisten von uns leben und das ist in dieser Gegend. Heidelberg ist reich an tollen Wissenschaftseinrichtungen – das passte also gut.
    Sebastian Paschen: Und als Lennard Kleemann dann zusagte, die Organisation vor Ort zu übernehmen, war die Sache klar. 

    Herr Kleemann, Sie machen gerade Ihren Master im Fach Molekulare Biotechnologie an der Universität Heidelberg, müssen dafür etliche Praktika absolvieren und hatten dazu noch die Konferenzvorbereitung. Ganz schön viel auf einmal.
    Lennard Kleemann: Ja, stimmt. Aber ich habe mir die Organisation zugetraut, weil ich mich in der Heidelberger Forschungsszene recht gut auskenne. Das hat mit meinem vielseitigen Studienfach zu tun und mit Praktika, zum Beispiel in der Uniklinik oder im Max-Planck-Institut für Medizinische Forschung. Andere Institute kenne ich noch aus meiner Schulzeit – die Heidelberger Forschungseinrichtungen öffnen sich erfreulicherweise auch für Schülerinnen und Schüler. 

    Haben Sie vorher schon einmal eine Konferenz organisiert?
    Lennard Kleemann: Nein, das war das erste Mal. Und manches lief auch nicht so glatt, wie ich mir das am Anfang vorgestellt hatte. Aber zum Glück war ich nicht allein, wir waren zu siebt im Orga-Team und die Mitarbeiterinnen der GDNÄ-Geschäftsstelle haben uns jederzeit und bei allen Fragen unterstützt. Ohne diese Hilfe wäre der Kongress so nicht möglich gewesen. Wir als jGDNÄ wollten es gut machen, auch um den großen Vertrauensvorschuss von Seiten der GDNÄ zu rechtfertigen. Und am Schluss ist es, wie ich finde, auch gut geworden.

     © Marlene Anders

    Ein Besuch der Sternwarte war Teil der Führung durch das Heidelberger Haus der Astronomie.

    Bei einer Wissenschaftskonferenz denkt man an Vorträge, Postersessions, Podiumsdiskussionen. Haben Sie sich an das klassische Muster gehalten?
    Marlene Anders:
    Nein, wir hatten von Anfang an einen anderen Ansatz. Uns ging es um das gegenseitige Kennenlernen in informeller Atmosphäre und dafür sind lange Sitzungen im Konferenzsaal weniger geeignet. Stattdessen haben wir auf praxisnahe Programmpunkte gesetzt. Ein Beispiel ist die Führung im Ionenstrahl-Therapiezentrum, wo unser Mitglied Celine Karle ihre Doktorarbeit macht und uns spannende Einblicke in ihre Forschung geben konnte. 
    Lennard Kleemann: Sehr gut waren auch die Führungen am EMBL, dem europäischen Molekularbiologie-Labor, im Haus der Astronomie und am INSEAM, dem Institute for Molecular Systems Engineering and Advanced Materials. Dort konnten wir spontan zu einem Vortrag von Professor Inkyu Park über innovative Biosensoren dazustoßen. Professor Park lehrt Mechanical Engineering an der südkoreanischen Universität KAIST. Im Publikum waren viele Fachleute, die Präsentation war auf Englisch – unsere Gruppe war begeistert. 
    Sebastian Paschen: Es war eine sehr lebendige Atmosphäre, auch bei informellen Programmpunkten wie Altstadtführung, Bergbahnfahrt und beim Neckarwiesen-Treffen am letzten Abend. Dabei wurde viel diskutiert und die Jüngeren haben die etwas Älteren mit ihren Fragen gelöchert. Da ging es oft um ganz grundlegende Dinge, um den Alltag an der Uni zum Beispiel, und um Themen, die man eher mit fast Gleichaltrigen bespricht. 

    Lässt sich schon sagen, welche Wirkung der Kongress hatte?
    Marlene Anders:
    Heidelberg hat uns viel Schwung gegeben und den werden wir jetzt für künftige Aktivitäten nutzen. Sehr positiv war das mündliche Feedback der Teilnehmenden. Jetzt warten wir auf das Ergebnis unserer Online-Befragung und sind total gespannt darauf.
    Lennard Kleemann: Beim Kongress hat sich die Regionalgruppe Heidelberg zusammengefunden – eine hocherfreuliche Folge wie ich finde.
    Sebastian Paschen: Ein schöne Wirkung ergab sich ganz spontan: Bei unserem Besuch im Haus der Astronomie führte uns eine Bachelor-Studentin durch die Sternwarte. Sie brennt für ihr Fach und kann astronomische Zusammenhänge hervorragend erklären. Sie passt sehr gut zu uns, also haben wir sie angesprochen – und jetzt ist sie Mitglied der jGDNÄ.

    So eine Konferenz kostet eine Stange Geld. Woher kommt es?
    Sebastian Paschen:
    Die GDNÄ unterstützt uns großzügig und auch der Verband der Chemischen Industrie beteiligt sich mit einer substanziellen Spende. Davon können wir die Reisekosten, die Unterbringung der Teilnehmenden in einem einfachen Hotel, die Mensa-Essen und das Rahmenprogramm zahlen. Institutsführungen und Organisation sind kostenfrei. Das Budget ist knapp, aber es reicht. Für die nächste Konferenz werden wir früher mit der Spendenakquise beginnen und dann auch bei weiteren Institutionen anklopfen.

     © Robert Hammann

    Mit Weitblick: Kongressteilnehmerinnen und -teilnehmer auf dem Königstuhl.

    Was ist sonst noch in Planung bei der jGDNÄ?
    Marlene Anders:
    Es gibt schon eine Menge Ideen, über die wir Ende August bei unserem nächsten großen Online-Treffen diskutieren werden.
    Sebastian Paschen: Ein Ziel ist der Aufbau eines Buddy-Programms, das einerseits Schülerinnen und Schüler mit Studierenden zusammenbringt und andererseits jGDNÄ-Mitglieder mit etablierten GDNÄ-Mitgliedern. Wir wollen dabei eng mit der GDNÄ zusammenarbeiten und hoffen, um den Jahreswechsel herum erste Ergebnisse präsentieren zu können. Auch suchen wir derzeit den Austausch mit anderen Nachwuchsorganisationen wissenschaftlicher Fachgesellschaften und sind dabei bisher sehr erfolgreich. 

    Sie alle haben bereits an Strategiesitzungen der GDNÄ teilgenommen. Welchen Eindruck hatten Sie?
    Sebastian Paschen:
    Wir wurden unfassbar herzlich aufgenommen. Unsere Vorschläge für das Tagungsprogramm in Bremen stießen auf Resonanz, ebenso die Vorschläge für die nächste Lorenz-Oken-Auszeichnung. Außerdem konnten wir einiges für die Planung unserer Programmteile bei der Versammlung 2026 lernen.
    Lennard Kleemann: Mich beeindruckt die Vielseitigkeit der GDNÄ und ich bin sehr dankbar für die Unterstützung und das Vertrauen in die jGDNÄ. Von der Organisation der GDNÄ können wir einiges abschauen. Ich denke zum Beispiel an Einteilung und Vertretung der Fachbereiche und den Aufbau von Regionalgruppen.
    Marlene Anders: Ich habe viel mitgenommen, was die Planung von Tagungen angeht. Bei der GDNÄ kann man so etwas auf sanfte Art und zugleich einprägsam lernen. Bei unseren nächsten Konferenzen wird das sehr nützlich für uns sein.

    Saarbrücken 2018 © Robertus Koppies

    © Fotostudio Henrich, Landstuhl

    Marlene Anders

    Marlene Anders

    Nach einem Masterstudium an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau absolviert die 24-Jährige derzeit ihr Referendariat für das Lehramt an Gymnasien in den Fächern Biologie und Geografie. Marlene Anders lernte die GDNÄ als Schülerstipendiatin bei der Versammlung 2018 in Saarbrücken kennen. Sie besuchte auch die Versammlungen in Leipzig und Potsdam, wo sie als Tutorin das Schülerprogramm unterstützte.

    © Foto-May,-Wiesloch

    Lennard Kleemann

    Lennard Kleemann

    Der 25-Jährige macht derzeit seinen Master in Molekularer Biotechnologie an der Uni Heidelberg. Entfacht wurde seine Begeisterung für das Fach beim Besuch eines Biotechnischen Gymnasiums in Heidelberg und durch Schnupperkurse an Forschungsinstituten als Jugendlicher. Lennard Kleemann hat zweimal als Schülerstipendiat an Versammlungen der GDNÄ teilgenommen: 2018 in Saarbrücken und 2024 in Potsdam. Dort nahm er mit einem Thema aus der Malariaforschung am Wettbewerb „Wissenschaft in 5 Minuten“ teil.

    © Maria Herzog, Greifswald

    Sebastian Paschen

    Sebastian Paschen

    Der 24-Jährige studiert im zehnten Semester Medizin und Biomedical Science an der Universität Greifswald und ist Mitarbeiter der Abteilung für Versorgungsforschung am Institut füt Diversitätsmedizin der Ruhr-Universität Bochum. Sebastian Paschen ist zudem Gründer von acadim – Akademie für Diversitäts- und Individualmedizin und Mitglied mehrer wissenschaftlicher Gremien und Gesellschaften. Er lernte die GDNÄ bei der Jubiläumsversammlung 2022 in Leipzig kennen.

    Downloads zur jGDNÄ:

    © Marlene-Anders

    Am Abschiedsabend auf der Heidelberger Neckarwiese.
    Mehr Lesestoff zur jGDNÄ:

    Hohe Auszeichnung: Für Verdienste um die Chemie in China

    Für Verdienste um die Chemie in China

    Hohe Auszeichnung für zwei Mitglieder des GDNÄ-Leitungsteams
    Die Chinesische Chemische Gesellschaft (CCS) hat zwei führende Mitglieder der GDNÄ zu Ehrenmitgliedern ernannt. GDNÄ-Vizepräsident Professor Ferdi Schüth und Professorin Katharina Kohse-Höinghaus, Mitglied des GDNÄ-Vorstandsrats, erhielten die Auszeichnung für ihre Beiträge zur chinesischen Chemie und zum Austausch zwischen der Chinese Chemical Society und internationalen Gesellschaften, wie es in einer Mitteilung der CCS heißt.

    Die CCS ist das Pendant zur deutschen Gesellschaft Deutscher Chemiker. Die wissenschaftliche Gesellschaft wurde 1932 in Nanjing gegründet und hat rund 120.000 persönliche und mehr als 180 institutionelle Mitglieder. „Honorary Fellow of the Chinese Chemical Society“ ist der höchste Status, den die CCS an internationale Wissenschaftler im Bereich Chemie vergibt. Aktuell verzeichnet die Internetseite der Gesellschaft 103 Honorary Fellows weltweit, darunter elf Deutsche.

    Professorin Katharina Kohse-Höinghaus habe die Verbrennungsdiagnostik mithilfe von laserinduzierter Fluoreszenz, Cavity-Ring-Down-Spektroskopie und Emissionsspektroskopie vorangebracht, heißt es in einer Mitteilung der CCS, und weiter: „Sie leitete bahnbrechende Forschungen zur Verbrennung von Biokraftstoffen, deckte Mechanismen von Verbrennungsreaktionen und Schadstoffbildung auf und entwickelte neuartige Niedertemperatur-Verbrennungstechniken.“ Sie habe, schreibt die CCS, langfristige Partnerschaften mit chinesischen Institutionen aufgebaut, akademische Führungskräfte in der Verbrennungsforschung ausgebildet und China in Fragen der Wissenschafts- und Innovationspolitik beraten. Katharina Kohse-Höinghaus ist überdies ausländisches Mitglied der Chinesischen Akademie der Wissenschaften.

    Professor Dr. Ferdi Schüth habe maßgeblich zur Entwicklung neuer katalytischer Materialien, zur Umwandlung von Biomasse sowie zur Erzeugung und Speicherung von Wasserstoff beigetragen, schreibt die CCS. Er leiste Pionierarbeit bei mechanochemischen Ansätzen zur Katalysatorherstellung und setze sich für umweltfreundlichere, energieeffizientere chemische Technologien ein. Professor Schüth habe sich aktiv für den akademischen Austausch mit China eingesetzt. „Seine langjährige Zusammenarbeit und häufigen Besuche an chinesischen Universitäten und Forschungsinstituten ermöglichten zahlreiche gemeinsame Projekte und Initiativen zur Talentförderung“, schreibt die CCS.

    Saarbrücken 2018 © Robertus Koppies

    © Universität Bielefeld / Norma Langohr

    Prof. Dr. Katharina Kohse-Höinghaus.
    Saarbrücken 2018 © Robertus Koppies

    © Robert Eickelpoth

    Prof. Dr. Ferdi Schüth

    Zum Weiterlesen:

    Ferdi Schüth: „Wir sollten andere Disziplinen stärker einbeziehen“

    „Wir sollten andere Disziplinen stärker einbeziehen“

    GDNÄ-Vizepräsident Ferdi Schüth über die unverzichtbare Expertise von Ökonomen, versemmelte Prüfungen und Forschung mit der Kugelmühle.

    Herr Professor Schüth, im Hauptberuf sind Sie Max-Planck-Direktor, daneben üben Sie zahlreiche Ehrenämter aus. Wissen Sie aus dem Stand, wie viele es sind?
    Es sind tatsächlich viele, die genaue Zahl habe ich jetzt nicht parat. Die Ämter sind sehr unterschiedlich, auch was den Zeitaufwand angeht. Er reicht von 80 Prozent meiner Arbeitszeit in den Jahren als Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft bis zur zweistündigen Sitzung alle paar Jahre in kleineren Gremien. 

    Vor einigen Monaten ist ein weiteres Amt dazugekommen: das des Vizepräsidenten und kommenden Präsidenten der GDNÄ. Was motiviert Sie, sich für die GDNÄ zu engagieren?
    Mir gefällt ihre thematische Breite. In der GDNÄ zeigt sich, wie verschiedene Bereiche der Wissenschaft zusammenwirken – das ist in anderen Gesellschaften nicht so deutlich sichtbar. Als ich gefragt wurde, ob ich das Amt übernehme wolle, musste ich nur kurz überlegen und habe dann überzeugt ja gesagt. Die Präsidentschaft beginnt sanft mit zwei Jahren als Vizepräsident und klingt ebenso sanft wieder aus – das erleichtert vieles.

     © Isabel Schiffhorst für MPI für Kohleforschung

    Haupteingang des Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr.

    Wie wollen Sie als neues Präsidiumsmitglied vorgehen? 
    Zunächst werde ich mir alles genau anschauen und das, was gut läuft, unterstützen. Ein Beispiel ist die neue Nachwuchsorganisation der GDNÄ, die jGDNÄ. Dass es sie jetzt gibt, finde ich großartig und absolut zeitgemäß. Ähnliche Entwicklungen sind auch in anderen wissenschaftlichen Gesellschaften zu beobachten – ich denke etwa an die Jungchemikerforen der Gesellschaft Deutscher Chemiker, die heute praktisch jeder Ortsverband unterhält. Wichtig ist, dass die jungen Mitglieder Freiräume bekommen, in denen sie selbst etwas gestalten können. 

    Welche Akzente möchten Sie in Zukunft setzen?
    Zunehmend interessant und wichtig erscheint mir die Wirkung der Wissenschaft auf die Gesellschaft. Was halten die Bürgerinnen und Bürger von Wissenschaft und Forschung, was haben sie davon und was können wir Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihnen bieten? Die GDNÄ ist meiner Ansicht nach ein gutes Forum für solche Fragen und den Austausch mit der Öffentlichkeit. 

    Wie kann das gelingen?
    Vielleicht sollten wir in Zukunft die Sozial-, Human- und Geisteswissenschaften stärker einbeziehen, zumindest punktuell. Wie hilfreich das sein kann, erlebe ich gerade bei der Leopoldina, wo ich in einer Fokusgruppe zu Klima und Energie mitarbeite. Wir Natur- und Technikwissenschaftler in der Gruppe profitieren sehr vom Fachwissen der ebenfalls beteiligten Ökonomen. Sie helfen uns, Geschäftsmodelle für unsere schönen Ideen zu entwickeln. Denn was sich nicht rechnet, kann man vergessen – das ist eine wichtige Erkenntnis, die ich in vielen Berufsjahren gewonnen habe. Wirtschaftswissenschaftliche Expertise beispielsweise könnte auch die GDNÄ bereichern, etwa bei einzelnen Themen in den Versammlungen. Ihren Charakter als naturwissenschaftliche Gesellschaft würde sie dennoch behalten. 

    © Frank Vinken für MPI für Kohleforschung

    Die Professoren Alois Fürstner, Frank Neese, Tobias Ritter, Benjamin List und Ferdi Schüth (v.l.n.r.) bilden zusammen das Direktorium des Mülheimer Max-Planck-Instituts.

    Eine naturwissenschaftliche Gesellschaft, die im Dialog mit der Öffentlichkeit steht… 
    …ja, und das ist eine Stärke der GDNÄ, die wir noch weiter ausbauen können. Der Kommunikationsbedarf ist groß, denn einerseits ist Wissenschaft wichtiger denn je, andererseits vertraut die Gesellschaft ihr weniger als noch vor 20, 30 Jahren. Heute gibt es alternative Fakten und Querdenker, mit denen ein vernünftiges Gespräch kaum möglich ist. Wir als Wissenschaftler müssen unsere Arbeit stärker rechtfertigen als früher und genauer erklären, was Wissenschaft kann und was sie nicht kann. Dafür ist die GDNÄ eine sehr gute Plattform. 

    In der öffentlichen Diskussion dominieren aktuell die politischen Themen. Dabei geht es auch um das wissenschaftsfeindliche Verhalten der Trump-Regierung. Sollte Deutschland die Chance nutzen, wie es einige vorschlagen, und US-Wissenschaftler gezielt abwerben? 
    Wir sollten Aufnahmebereitschaft signalisieren und Optionen in Deutschland aufzeigen. Offensiv darauf hinzuarbeiten, dass amerikanische Wissenschaftler ihr Land verlassen, halte ich nicht für den richtigen Weg. 

    Wirkt sich die aktuelle US-Politik auf Ihr Institut aus? 
    Ja, die Folgen sind spürbar. Jahrzehntelang konnten wir unsere Postdocs problemlos für ein paar Forschungsjahre in die USA schicken. Das ist derzeit schwierig, weil viele US-Forschungseinrichtungen verunsichert sind und nicht wissen, was morgen kommt. Meldet Euch in ein paar Monaten nochmal, heißt es jetzt oft auf unsere Anfragen.

    © Frank Vinken / MPG

    Der Mahlprozess in einer Kugelmühle aktiviert einen Katalysator so, dass er die Synthese von Ammoniak bei viel niedrigerer Temperatur und geringerem Druck vermittelt, als sie im etablierten Haber-Bosch-Verfahren nötig sind.

    In Ihrer aktuellen Forschungsarbeit geht es um die Energie von morgen. In diesem Zusammenhang ist auch die Mechanokatalyse zu sehen, für deren Erforschung Sie im vergangenen Jahr einen mit 2,5 Millionen Euro dotierten Advanced Grant des Europäischen Forschungsrats ERC einwerben konnten. Was haben Sie nun vor?
    Wir möchten grundlegende Abläufe in der Mechanochemie auf molekularer Ebene verstehen. Unsere mechanochemischen Reaktionen führen wir in Kugelmühlen durch. Da laufen Reaktionen bei Raumtemperatur und normalem Druck ab, für die sonst mehrere hundert Grad und hundert bar Druck erforderlich sind. Das spart Ressourcen, Zeit und Kosten. Meine Arbeitsgruppe hat mit diesem Konzept bereits spannende Projekte realisiert, beispielsweise die Synthese von Ammoniak. Ein Detailverständnis des Prozesses könnte die Produktion völlig neuer Materialien ermöglichen. Das ist aber nicht Teil des ERC-Projekts, beim Aufklären der Prozesse handelt es zunächst um reine Grundlagenforschung. Dennoch wird in meiner Abteilung, basierend auf den gewonnenen Erkenntnissen, zur Zeit die Gründung mehrerer Start-up-Unternehmen vorbereitet.

    Lassen Sie uns noch einen Blick auf Ihren Werdegang werfen: Sie haben Chemie und Jura studiert, eine ungewöhnliche Fächerkombination. Wie kam es dazu?
    Die meisten Chemiker gehen nach dem Studium in die Industrie und so dachte ich mir, ein zusätzliches Jurastudium sei nicht verkehrt. Juristen denken anders, das hat mich  interessiert. Als ich dann drei Mal durch die erste Prüfung gefallen bin, hat mich der Ärger gepackt und ich wollte beweisen, dass ich es kann. Ärger ist ein guter Antrieb. Meine Laufbahn hat sich dann anders entwickelt, aber die Jurakenntnisse haben mir später bei der Gründung unserer Firma hte geholfen.

    Sie feiern in diesem Jahr Ihren 65. Geburtstag. Für viele Berufstätige ist das ein Wendepunkt im Leben. Wie ist es für Sie?
    Ich habe vor, in dem für Max-Planck-Direktoren ohne größere Hürden möglichen Renteneintrittsalter von 68 Jahren aufzuhören. Das wäre dann knapp zwei Jahre später als das reguläre Pensionierungsalter. Bis dahin, wir sprechen von 2028, sollten die Promotionsvorhaben in meinem Bereich abgeschlossen sein, bis dahin läuft auch – für mich mit einigen Monaten am Emeritusarbeitsplatz – das ERC-Projekt. Ich freue mich auf die neuen Freiheiten als Pensionär. Ich werde Bücher schreiben, als Erstes vielleicht ein Buch über Energie. Und ich will Deutschland durchwandern: einmal längs von Nord nach Süd.

     

    Saarbrücken 2018 © Robertus Koppies

    © Robert Eickelpoth

    Prof. Dr. Ferdi Schüth

    Zur Person

    Ferdi Schüth, Jahrgang 1960, studierte Chemie und Jura an der Universität Münster und wurde 1988 in Chemie promoviert. Nach einem Postdoc-Aufenthalt an der Universität von Minnesota habilitierte er sich in Anorganischer Chemie in Mainz. 1995 wurde er Professor an der Universität Frankfurt. 1998 zog es ihn nach Mülheim an der Ruhr, wo er Direktor am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung wurde. Seit 1999 ist er auch Honorarprofessor an der Ruhr-Universität Bochum. Im selben Jahr gründete er mit sechs Kollegen die hte GmbH. Deren Geschäftsmodell basiert auf einem Verfahren, mit dem sich optimale Katalysatoren für chemische Reaktionen schnell und effizient finden lassen. Insgesamt geht es in Schüths Forschung um Katalyse, Zeolithe, poröse Materialien und energiebezogene Themen. 

    Ferdi Schüth hatte und hat zahlreiche Funktionen in wissenschaftlichen Gesellschaften und Gremien inne. So war er unter anderem von 2014 bis 2020 Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft mit Zuständigkeit für die Fachgebiete Chemie, Physik und Technik. Er hat viele Auszeichnungen für seine wissenschaftliche Arbeit erhalten, darunter den Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Als Mitglied der Leopoldina leitet er, zusammen mit Robert Schlögl, die Fokusgruppe „Klima und Energie“.

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