„Wissenschaftler verändern die Welt“

Eine nachhaltige Energieversorgung für die Menschheit – diesem visionären Ziel dient die Forschung des Max-Planck-Wissenschaftlers Wolfgang Lubitz. Auch für die GDNÄ hat er große Pläne.

Herr Professor Lubitz, Sie sind Direktor emeritus am Mülheimer Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion. Wie können wir uns Ihren Alltag derzeit vorstellen?
Ich bin noch oft im Institut, arbeite derzeit aber auch viel von zu Hause aus. Im Großen und Ganzen geht es darum, meine Forschungsprojekte allmählich abzuschließen. Ich bin jetzt seit fast vier Jahren emeritiert und will mehr Freiraum für anderes schaffen. Aktuell erledige ich die letzten Korrekturen an einem Buchkapitel.

Um welches Thema geht es?
Das Buch behandelt die chemische Energiespeicherung und ich beschreibe in einem Kapitel, wie in der Natur Sonnenenergie durch die Photosynthese umgewandelt und gespeichert wird.

Warum ist dieser Prozess so interessant für Sie?
Er ist das große Vorbild für eine nachhaltige Energiespeicherung – auch wenn von der einfallenden, reichlich vorhandenen Sonnenenergie viel verloren geht. An dieser Stelle möchte ich ein wenig ausholen, um die Zusammenhänge zu verdeutlichen: Wir verdanken der Photosynthese unsere gesamte Nahrung, alle nachwachsenden Rohstoffe und fossilen Brennstoffe auf der Erde. Ein zentraler Schritt in der Photosynthese ist die lichtinduzierte Spaltung des Wassers, wobei Sauerstoff als Abfallprodukt entsteht. Dieser hat zur Ausbildung unserer sauerstoffreichen Erdatmosphäre und auch der uns schützenden Ozonschicht in der Stratosphäre geführt und damit die Voraussetzung zur Entstehung höheren Lebens auf unserem Planeten geschaffen. Durch die Photosynthese werden enorme Mengen von Kohlendioxid aus der Luft aufgenommen und in Kohlenhydrate umgewandelt, in denen letztlich die Sonnenenergie gespeichert ist. Speicherung in chemischen Verbindungen – in Brennstoffen – ist bei weitem die effizienteste Speicherform für Energie.

Saarbrücken 2018 © Robertus Koppies

Wolfgang Lubitz mit Nachwuchswissenschaftlern in einem Labor des Mülheimer Max-Planck-Instituts für Chemische Energiekonversion. Im Hintergrund sieht man Aufbauten einer Hochfeld-EPR-Maschine. Mit EPR-Techniken wurden wichtige Erkenntnisse zur elektronischen Struktur von Katalysatoren gewonnen.

Soweit die Biochemie. Wie kommen wir nun zur technischen Nutzung?
Die Idee ist, solche Verfahren zu verwenden, um zum Beispiel regenerativ erzeugten Strom zu speichern und über weite Strecken zu transportieren. Sonne und Wind liefern ja im Prinzip mehr als genug saubere Energie, um den weltweiten Bedarf zu decken, aber dort wo sie gebraucht werden, steht diese nicht immer in ausreichender Menge zur Verfügung. Daher suchen wir an unserem Institut nach Wegen, wie man Energie effizient in speicherbare und nutzbare Formen umwandeln kann. Die künstliche Photosynthese ist eine Möglichkeit, die von uns und vielen anderen Arbeitsgruppen intensiv erforscht wird.

Wie weit sind Sie?
Inzwischen haben wir eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie die natürliche Photosynthese funktioniert. Diese Erkenntnisse sind unter anderem wichtig, um eine effiziente Spaltung von Wasser in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff im Labor zu realisieren. Eine Schlüsselstellung nehmen dabei die notwendigen Katalysatoren ein: In der Natur sind das die Enzyme Wasseroxidase und die Hydrogenasen.  Im Groben ist die Photosynthese vielen noch aus dem Schulunterricht bekannt, in unserer Forschung geht es um die Feinheiten.

Haben Sie ein Beispiel für uns?
Die Natur verwendet für ihre Reaktionen Enzyme, die häufig vorkommende und preiswerte Metalle wie Mangan, Eisen und Nickel enthalten. Für den chemisch-technischen Einsatz jedoch werden heute fast ausschließlich Edelmetalle wie Platin als Katalysatoren eingesetzt, die sehr gut funktionieren, deren Vorkommen aber leider begrenzt sind. Dem Vorbild der Natur folgend suchen wir daher nach neuen Metall-Katalysatoren, um die künftige Erzeugung von Wasserstoff im großen Maßstab ebenso effizient wie umweltfreundlich zu machen. Das Ziel ist also der sogenannte grüne Wasserstoff, der nicht nur für die Energieversorgung der Zukunft eine zentrale Rolle spielt, sondern auch als einer der wichtigsten Grundstoffe in der Industrie.

Gibt es bereits Ergebnisse?
Katalytische Wasseroxidation und Wasserstofferzeugung sind weltweit sehr intensiv bearbeitete Forschungsgebiete, und es wurden in den letzten Jahren beachtliche Erfolge erzielt. Ein perfekter Katalysator, der alle Ansprüche bezüglich Effizienz, Stabilität, Skalierbarkeit, Umweltfreundlichkeit, Materialverfügbarkeit und Preis erfüllt und sich in der Praxis bewährt hat, existiert bisher allerdings noch nicht. Es bleibt damit noch viel Raum für gute Ideen und Entwicklungen auf diesem heißen Forschungsgebiet.

Ein heißes Thema ist derzeit die gesamte Wasserstoffwirtschaft. Welche Chancen räumen Sie ihr ein?
Wir sind inzwischen sehr gut darin, regenerativen Strom zu erzeugen, etwa mithilfe der Photovoltaik (PV), die heute Wirkungsgrade um die 25 Prozent für Siliziumzellen und mehr als 45 Prozent für komplexere PV-Zellen erzielt. Ein Problem bleibt die Speicherung. Batterien sind gesellschaftlich zwar weithin akzeptiert, beispielsweise in der Elektromobilität, aber sie sind nicht sehr effizient und auch nicht umweltfreundlich. Wasserstoff kann ein Vielfaches an Energie speichern und bei seiner Verbrennung entsteht ausschließlich Wasser.  Er eignet sich für die großtechnische Nutzung und bildet eine sehr gute Brücke vom fossilen in ein nachhaltiges Energiezeitalter.

Ihre Forschung in diesem spannenden Bereich läuft, wie Sie sagten, allmählich aus. Heißt das, Sie haben künftig mehr Zeit für die GDNÄ?
Ja, und darauf freue ich mich. Als Mitglied des Vorstandsrats arbeite ich zum Beispiel sehr gern an der Vorbereitung der 200-Jahr-Feier mit, die 2022 in Leipzig stattfinden soll. Da werden gerade tolle Ideen zusammengetragen. Ich will noch nicht zu viel verraten, aber die Vorträge und Diskussionen werden im attraktiven Kongresszentrum der Messestadt und das Rahmenprogramm zum Teil im berühmten Leipziger Zoo stattfinden. Es gibt ein Schüler- und Besuchsprogramm und viele hochinteressante Vorträge aus unterschiedlichen Disziplinen. Für den Nobelpreisträgervortrag haben wir Reinhard Genzel eingeladen, der das gigantische Schwarze Loch im Herzen unserer Milchstraße entdeckt hat.

Untersuchung von Proben der Photosynthese bei Grünlicht mithilfe der Paramagnetischen Elektronen-Resonanz (EPR)-Spektroskopie.

Gegründet 1822 in Leipzig hat die GDNÄ eine lange Tradition. Was bedeutet sie Ihnen?
Sehr viel. Für die deutsche Wissenschaft hat die GDNÄ Großartiges geleistet. Auf ihren Versammlungen wurden bedeutende naturwissenschaftliche Erkenntnisse vorgestellt und debattiert; es gab viele Auseinandersetzungen, aber auch Konsens. Die GDNÄ hat die gesamte Ära der Industrialisierung begleitet und maßgeblich dazu beigetragen, dass die Öffentlichkeit neue Forschungsergebnisse kennenlernte und annahm. Eine Zäsur war die NS-Zeit. Was diese Jahre für die GDNÄ bedeuteten, sollte meiner Ansicht nach näher beleuchtet werden. Das Jubiläum im kommenden Jahr wäre dazu ein geeigneter Anlass.

Welche Zukunft sehen Sie für die GDNÄ?
Es warten große Aufgaben auf sie. Da ist zum einen der immens wichtige Dialog mit der Öffentlichkeit, aber auch der interdisziplinäre Dialog zwischen den wissenschaftlichen Disziplinen, an dem es in Deutschland immer noch hapert.  Die Fördermittelgeber fordern das verstärkt, und da könnte die GDNÄ wichtige Anstöße liefern.  Ein weiterer Punkt ist die Zusammenarbeit mit Schulen. Meiner Erfahrung nach wächst das Interesse an Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, denn viele junge Leute erkennen, wie wichtig diese Fächer für die Zukunft sind. Die GDNÄ engagiert sich hier bereits mit ihrem Schülerprogramm. In Kooperation mit anderen wissenschaftlichen Gesellschaften könnten wir aber noch deutlich mehr tun.

Ein großes Programm, das Sie da skizzieren…
…Moment, bitte, ich bin noch nicht fertig. Ich würde mir auch wünschen, dass die GDNÄ die mögliche Tragweite wissenschaftlicher Erkenntnisse verstärkt zur Sprache bringt. Oft führten diese zu historischen Umwälzungen, denken wir nur an die Entdeckung der Uranspaltung und ihre Folgen in Gestalt der Atombombe und der Kernkraft. Unser ganzes modernes Leben ist von Forschung und Technik geprägt – ohne sie gäbe es weder Internet noch moderne Telekommunikation, keine Antibiotika und Impfstoffe und keinerlei Erkenntnisse zum Umwelt- und Klimaschutz oder zu erneuerbaren Energien. Es ist also nicht vermessen zu sagen: Wissenschaftler verändern die Welt. Was mir auch am Herzen liegt, ist mehr Verständnis für die Methodik der Wissenschaft. Ihre Ergebnisse entwickeln sich in sorgfältig geplanten und durchgeführten Experimenten, die oft fehlerbehaftet sind und mehrfach validiert werden müssen, bis ein zuverlässiges Ergebnis vorliegt. Auf Knopfdruck funktioniert das alles nicht, es braucht seine Zeit. Dafür ein Bewusstsein zu schaffen und Vertrauen in die Wissenschaft aufzubauen, dazu trage ich gerne bei – zusammen mit der GDNÄ.

Saarbrücken 2018 © Robertus Koppies
Wolfgang Lubitz

Zur Person

Professor Wolfgang Lubitz (71) ist Direktor emeritus des Max-Planck-Instituts für Chemische Energiekonversion in Mülheim an der Ruhr. Seine Leitungsposition, die er seit dem Jahr 2000 innehatte, gab er mit der Emeritierung 2017 ab. Vor seiner Zeit als Wissenschaftliches Mitglied der Max-Planck-Gesellschaft wirkte der gebürtige Berliner von 1991 bis 2000 als Professor für Physikalische Chemie an der Technischen Universität Berlin, von 1989 bis 1991 als Professor für Experimentalphysik an der Universität Stuttgart und von 1986 bis 1989 als Professor für Organische Chemie an der Freien Universität Berlin, wo er auch Chemie und Physik studiert, promoviert und sich habilitiert hatte. Von 1983 bis 1984 forschte Lubitz an der University of California San Diego in der Biophysik.

Einen sehr persönlichen Lebensrückblick hat der Wissenschaftler anlässlich seines 65. Geburtstags auf Anfrage des „Journal of Physical Chemistry“ verfasst. Darin schildert er seinen Weg, der ihn aus einfachen Verhältnissen im Berlin der Nachkriegszeit in eine beeindruckende wissenschaftliche Karriere führte, mit vielen interessanten Persönlichkeiten zusammenbrachte und ihm lebenslange Freundschaften bescherte (siehe PDF).

In seiner Forschung beschäftigt sich Wolfgang Lubitz mit der Energiekonversion in der natürlichen und künstlichen Photosynthese und der Wasserspaltung, Wasserstofferzeugung und -nutzung. Ein weiteres Forschungsfeld ist die Entwicklung und Anwendung von spektroskopischen Verfahren, insbesondere der Magnetischen Resonanz. Seine Ergebnisse sind in mehr als fünfhundert wissenschaftlichen Arbeiten publiziert und mit vielen Preisen ausgezeichnet worden.

Mitglied der GDNÄ ist Wolfgang Lubitz seit vielen Jahren; seit 2017 ist er Mitglied des Vorstandsrats der Gesellschaft. Darüber hinaus engagiert er sich seit bald zwei Jahrzehnten im Kuratorium der Lindauer Nobelpreisträgertagungen, dessen Vizepräsident er seit 2014 ist.

Saarbrücken 2018 © Robertus Koppies

Mit der Präsidentin des Kuratoriums der Lindauer Nobelpreisträgertagungen, Gräfin Bettina Bernadotte.

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