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  • „Menschen zusammenbringen, Ideen entwickeln“

    Er war Innovationsmanager in der Chemieindustrie und hält jetzt die Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte auf Trab: Michael Dröscher über seine Pläne für die GDNÄ der Zukunft. 

    Herr Professor Dröscher, seit 2015 sind Sie Generalsekretär, seit 2017 auch Vorstandsmitglied und Schatzmeister der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte. Was ist deren größter Schatz?
    Ganz eindeutig die Menschen, die unserer Gesellschaft nahestehen. Dazu zähle ich unsere Mitglieder und alle diejenigen, die sich für uns interessieren und bei uns mitwirken, etwa mit Vorträgen auf unseren Versammlungen. Ein großer Schatz ist auch das Schülerprogramm, das uns einen wunderbaren Zugang zu jungen Leuten ermöglicht. Wir hoffen natürlich, noch mehr Menschen aus Wissenschaft, Gesellschaft und Schulen für eine Mitgliedschaft gewinnen zu können. Einfach ist das heutzutage nicht. 

    Woran liegt das?
    Die meisten Vereine verlieren Mitglieder und haben nicht genug Nachwuchs. Die GDNÄ, auch sie ist als Verein organisiert, macht da keine Ausnahme. Zum Glück werden wir sehr großzügig von Stiftungen gefördert, unsere Existenz hängt also nicht allein von Mitgliedsbeiträgen ab. Den Schwund nehmen wir nicht einfach hin, sondern stemmen uns nach Kräften dagegen.  

    Wie können wir uns das vorstellen?
    Zum einen beziehen wir den Nachwuchs stärker als früher ein, zum Beispiel mit eigenen Formaten auf unseren Versammlungen. Ein Beispiel: Zum Auftakt der 200-Jahr-Feier in Leipzig werden Schülerinnen und Schüler einen Programmteil unter dem Motto „Wir haben nur eine Erde“ gestalten. Zum anderen wollen wir unsere Mitglieder stärker aktivieren, da sehen wir noch viel Potenzial. Sobald die Corona-Lage es erlaubt, wird es auch wieder regionale Präsenztreffen geben. Dieses neue Format hatten wir vor der Pandemie eingeführt und hoffen, dazu bald wieder unsere Mitglieder einladen zu können, um uns mit Ihnen fachübergreifend auszutauschen. 

    Ist das interdisziplinäre Anliegen der GDNÄ angesichts immer größerer Spezialisierung in den Naturwissenschaften noch zeitgemäß?
    Beides ist wichtig, aber die Bedeutung des Interdisziplinären wächst. Nehmen wir mein Fachgebiet, die Chemie. Da gibt es nach wie vor die klassische Synthese von Molekülen und die Entwicklung und Optimierung von Prozessen. Aber die großen Fortschritte gelingen dort, wo Chemiker mit Biologen und Informatikern zusammenarbeiten. In der GDNÄ wollen wir dazu inspirieren, auf unseren Versammlungen und zwischendurch bei den regionalen Treffen. Ich sehe da einen enormen Bedarf, den keine andere wissenschaftliche Gesellschaft deckt. Der persönliche Austausch über neue Erkenntnisse in Biologie, Chemie, Physik, Informatik, den Ingenieurwissenschaften und Medizin ohne direkten Verwertungsdruck und mit führenden Fachvertretern – das ist eine große Chance für die GDNÄ.

    Saarbrücken 2018 © Robertus Koppies

    Luftbild des Industrieparks Marl im Ruhrgebiet: Mit einer Fläche von mehr als sechs Quadratkilometern gehört das Gelände zu den größten Industrieparks in Deutschland. Was einst die Adresse der Chemischen Werke Hüls AG war, ist heute der größte Standort von Evonik. Insgesamt arbeiten mehr als zehntausend Menschen im Marler Industriepark – in knapp zwanzig Unternehmen. © Evonik Industries AG

    Geht es dabei nur Grundlagenforschung oder auch um Anwendungswissen?
    Beides sollte eine Rolle spielen. Allerdings kommt die angewandte Forschung im öffentlichen Diskurs wie auch innerhalb der GDNÄ oft zu kurz. Sie hat mehr Beachtung verdient. 

    Sie kennen beide Welten und sind nach beruflichen Anfängen im akademischen Bereich in die Wirtschaft gewechselt. 1982 haben Sie Ihre Industrie-Karriere bei den Chemischen Werken Hüls AG begonnen, ein Unternehmen, das es heute so nicht mehr gibt. Wie erlebten Sie den Strukturwandel in der deutschen Chemieindustrie?
    Dieser Wandel begann schon bald nach meinem Einstieg bei der Hüls AG Anfang der 1980er-Jahre mit immer mehr Firmenzusammenlegungen und Neugründungen. Wenn man da mittendrin ist, ist es nicht immer einfach. Insgesamt aber war diese Entwicklung unausweichlich, um in einer zunehmend globalisierten Welt bestehen zu können. Letztlich haben die vielen Merger die deutsche Chemieindustrie stärker und innovativer gemacht.  Ein Beispiel: Der Chemiepark Marl, wo ich mal angefangen habe, ist heute der größte Standort der Evonik und beherbergt zudem etwa 25 weitere Chemiefirmen. 

    Sie waren viele Jahre als Innovationsmanager tätig. Kreative und zugleich praktikable Lösungen werden auch heute dringend benötigt. Haben Sie ein Rezept?
    Da gibt es leider kein Patentrezept. Was bei mir funktioniert hat, war dieser Weg: Gute Leute aus verschiedenen Firmenbereichen zusammenbringen, sie ihre Ideen in geschützten Start-up-ähnlichen Strukturen, sogenannten Projekthäusern, entwickeln lassen und die Lösungen, sobald sie marktnah sind, in die Geschäftsbereiche des Mutterunternehmens einspeisen. Bewährt hat sich das Vorgehen zum Beispiel bei der Hüls-Tochter Creavis, die dann Teil der Degussa wurde, die inzwischen beide im Evonik-Konzern aufgegangen sind. 

    Sind dabei erfolgreiche Innovationen herausgekommen?
    Ich denke schon. Bei Creavis haben wir beispielsweise biochemische Verfahren zur Herstellung von Aminosäuren entwickelt, bei denen Evonik heute Weltmarktführer ist. Sehr früh wurde dort an funktionellen Nanopartikeln gearbeitet, die heute in vielen Bereichen unverzichtbar sind – denken wir nur an die Herstellung von Mikrochips und die Anwendung in Lacken und Kosmetika.

    Produktionsstätten im Abendlicht: Der Industriepark Marl ist vielfältig an das europäische Straßen-, Schienen- und Wasserstraßennetz angebunden. © Evonik Industries AG

    Wie sehen Sie die Zukunft des Industriestandorts Deutschland?
    Wir befinden mitten in einer großen Transformation hin zu klimafreundlicheren Energieträgern und Rohstoffen. Das fossile Zeitalter geht zu Ende, und der Industrie ist klar, dass sie sich ganz neu aufstellen muss. Die Investitionen für die nächsten 15 bis 30 Jahre sind schon darauf ausgerichtet. Gelingen kann die Transformation, wenn wir genug Wasserstoff haben und diesen zuverlässig aus sonnenreichen Ländern beziehen können. Einige Länder wie etwa Saudi-Arabien bereiten sich darauf vor. Als Mitglied der Enquete-Kommission „Zukunft der chemischen Industrie in NRW“ habe ich mich ausführlich mit der Thematik beschäftigt und berate weiterhin Unternehmen zu diesen Fragen. 

    In der öffentlichen Debatte geht es derzeit viel um Gas als Übergangslösung. Wie lautet Ihre Einschätzung?
    Um den wachsenden Energiebedarf in unserem Land zu decken und um die Kohle- und Atomkraftwerke, die wir abgeschaltet haben und noch abschalten werden, zu ersetzen, geht es auf absehbare Zeit nicht ohne Gas. Allein die chemische Industrie wird in Zukunft so viel Strom brauchen, wie heute alle Privathaushalte zusammen und die Elektromobilität noch einmal so viel. Gaskraftwerke werden voraussichtlich noch 15 bis 20 Jahre als Brückentechnologie benötigt. Wir müssen auch neue Anlagen errichten. Evonik baut gerade zwei neue Gaskraftwerke im Chemiepark Marl als Ersatz für zwei Kohleblöcke. Wir müssen auf jeden Fall sicherstellen, dass wir so viel Gas, wie wir brauchen, beziehen können, ob das als Flüssiggas per Tankschiff kommt, oder über die Pipelines. Wenn Nord Stream 2 aus politischen Gründen nicht kommen sollte, werden wir andere Lieferwege brauchen.

     Lassen Sie uns zum Schluss noch einmal auf die GDNÄ schauen, die bald 200 Jahre alt wird. Wie weit sind Sie mit den Vorbereitungen zum Fest?
    Wir liegen voll im Plan. Mit der Leipziger Kongresshalle haben wir einen wunderbaren Veranstaltungsort für die Festversammlung im September gefunden, das Vortragsprogramm mit renommierten Wissenschaftlern steht und die Schülerinnen und Schüler kommen im Frühsommer zusammen, um ihren Programmteil zu gestalten. Es wird eine attraktive, allgemein verständliche Festschrift in Buchform geben. Wir wenden uns diesmal verstärkt an die Öffentlichkeit: mit Medienberichten, über Twitter und andere soziale Medien und mit Vorträgen, zu denen alle Leipzigerinnen und Leipziger eingeladen sind. Wir legen großen Wert auf den Austausch mit der Gesellschaft – ganz im Sinne des Wissenschaftsjahres 2022, das unter dem Motto „Nachgefragt!“ die Bürgerbeteiligung in Wissenschaft und Forschung stärken will.

    Prof. Dr. Michael Dröscher Dorsten © GDNÄ

    Prof. Dr. Michael Dröscher © GDNÄ

    Zur Person

    Seit 2017 ist Prof. Dr. Michael Dröscher Schatzmeister und Vorstandsmitglied der GDNÄ und seit 2015 deren Generalsekretär. Er stammt aus Kirn an der Nahe, wo er 1949 zur Welt kam. Sein Chemiestudium absolvierte er in Mainz, dort schloss er auch seine Promotion ab.  Anschließend nahm er eine Stelle als wissenschaftlicher Assistent an der Universität Freiburg an und habilitierte sich mit nur 31 Jahren für das Fach Makromolekulare Chemie. Seine akademische Laufbahn setzte er zunächst als Privatdozent und von 1988 an als außerplanmäßiger Professor an der Universität Münster fort.

    Mehr noch als für die Grundlagenforschung interessiert sich Michael Dröscher für die Anwendung wissenschaftlicher Ergebnisse – und so führte ihn sein Weg in die Industrie. Er startete 1982 als Laborleiter und 1984 als Abteilungsleiter bei der Hüls AG im nordrhein-westfälischen Marl. Bei dem Chemieunternehmen, bzw. den Nachfolgeunternehmen Degussa-Hüls, neue Degussa und Evonik-Industries AG, sollte er 27 Jahre bleiben – in wechselnden Funktionen. 1997 wurde der erfahrene Chemiker zum Geschäftsführer der neu gegründeten Hüls-Tochter Creavis Gesellschaft für Technologie und Innovation mbH berufen; heute firmiert das Unternehmen unter dem Dach von Evonik Industries AG als Evonik Creavis GmbH. Fünf Jahre später, im Jahr 2002, wurde Michael Dröscher Innovationsmanager der Degussa AG, die später Teil der Evonik wurde.

    Michael Dröscher engagierte sich auch in Fachgesellschaften und berufspolitisch, unter anderem als Vorsitzender der Deutschen Bunsengesellschaft (2005 bis 2006) und von 2020 bis 2011 als Präsident der Gesellschaft Deutscher Chemiker und als Manager des Clusters CHEMIE.NRW. Er ist Ehrendoktor der Kazan National Research Technological University (Russland).

    Neben seinen Aufgaben in der GDNÄ ist Michael Dröscher vielfach ehrenamtlich aktiv: als Vorsitzender des Verwaltungsrats des Max-Planck-Instituts für Kohlenforschung in Mülheim sowie als Mitglied mehrerer Kuratorien und Beiräte der Max-Planck-Gesellschaft, der Leibniz-Gemeinschaft und von Hochschulinstituten. Er ist zudem Aufsichtsrat der bValue AG, die Startups fördert und mitfinanziert.

    Wie Innovation der chemischen Industrie neu beleben kann: Darüber schreiben namhafte Expertinnen und Experten praxisnah in diesem Buch, das Michael Dröscher mitherausgegeben hat. Hier eine Leseprobe aus dem englischsprachigen Titel (ISBN 3-00-012425-X.) © Festel Capital

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