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  • „Morgens klingelten oft drei Wecker“

    Katharina Kohse-Höinghaus, Seniorprofessorin für Physikalische Chemie und GDNÄ-Vorstandsrätin, über ihren Weg als Wissenschaftlerin in einer männlich dominierten Disziplin, Karrieren mit Kind und warum es ohne Verbrennungsforschung nicht geht.
    Frau Professorin Kohse-Höinghaus, wir nehmen den Internationalen Frauentag am 8. März zum Anlass, um über Ihre kürzlich erschienene Autobiografie zu sprechen. Sie schildern darin Ihren Weg als Frau in einem technischen Gebiet, wie es im Untertitel heißt. Sehen Sie sich als Pionierin?
    Ja, durchaus. In der Physikalischen Chemie und speziell in der Forschung zu Verbrennungsprozessen gab es lange Zeit kaum Frauen. Als ich als frisch promovierte Chemikerin 1979 beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Stuttgart anfing, war ich dort die einzige Wissenschaftlerin. Anfangs beäugte man mich skeptisch, dann wurde ich akzeptiert. Später, als ich mich um Professuren bewarb, erfuhr ich hinter vorgehaltener Hand, dass man einen gestandenen Mann für die Stelle suche. Und keine junge Mutter mit Baby und einem Mann mit eigener Karriere, wie das bei mir der Fall war. Zum Glück änderte sich das und auch in meiner Disziplin wurden Frauen zunehmend anerkannt.

    Wie machte sich das bemerkbar?
    Herablassendes Verhalten gegenüber Fachkolleginnen kam immer seltener vor, um ein Beispiel zu nennen. Für mich persönlich waren es zwei Ereignisse, die mir das Gefühl gaben, angekommen zu sein: 2007 wurde ich als erste Frau zur Vorsitzenden der Deutschen Bunsen-Gesellschaft berufen und 2012 wurde mir als erste Frau die Präsidentschaft des Combustion Institute, der international führenden Fachgesellschaft, für vier Jahre übertragen. Beides hat auch anderen Wissenschaftlerinnen den Weg geebnet.

    Für welche Zielgruppe ist Ihr Buch gedacht?
    Vor allem für junge Leute, die eine Laufbahn in der Wissenschaft anstreben. Ich möchte ihnen an meinem Beispiel zeigen, wie kurvenreich Karrierewege verlaufen und ihnen Mut machen, ihrem eigenen Kompass zu folgen. Aber im Prinzip können alle, die sich für die Entwicklung von Naturwissenschaften und Technik in den letzten fünfzig Jahren interessieren, von dem Buch profitieren. Es ist reich bebildert und ich habe versucht, allgemeinverständlich, unterhaltsam und anschaulich zu schreiben. Auch deshalb denke ich, dass der Band sich gut als Geschenk oder als Preis für besondere Leistungen eignet.

     © aus dem Buch „Burning for Science“

    Promotion 1978, hier mit Betreuer Professor Friedrich Stuhl.
    Sie haben das Buch auf Englisch geschrieben. Warum nicht auf Deutsch?
    Englisch ist heute die globale Wissenschaftssprache und mein akademisches Netzwerk ist international. Ich möchte, dass meine Kolleginnen und Kollegen in aller Welt das Buch mühelos lesen können. Jungen Menschen ist das Englische heute ohnehin vertraut, da sehe ich keine Probleme.

    In Ihrer Jugend war das anders. Und dass sie einmal Professorin für Physikalische Chemie werden sollten, war damals nicht abzusehen.
    Das stimmt. Ich bin in einer Lehrerfamilie im Ruhrgebiet aufgewachsen und meine Eltern waren nicht begeistert, als ich Chemie studieren wollte. Kriegt man mit so einem Abschluss überhaupt einen Mann? Heute kann man sich das kaum noch vorstellen, aber damals gab es solche Sorgen. Einfach war es für mich auch an der Uni nicht. Ich kam von einem neusprachlichen Gymnasium, hatte Defizite in Mathe und Physik und musste in den ersten Semestern an der Universität Bochum eine Menge aufholen. Morgens klingelten oft drei Wecker, die ich mir gestellt hatte, um nur ja keinen Kurs zu verpassen. Anstrengend war es, aber auch eine gute Zeit mit vielen Freiheiten.

    Haben Sie ein Beispiel für uns?
    Da fällt mir als Erstes ein, wie ich Ende der 1970er-Jahre einen Laser gebaut habe, der für meine Promotion in der Atmosphärenchemie wichtig war. In dem Forschungsgebiet tat sich in den 1970er-Jahren sehr viel und das öffentliche Interesse daran war groß. Hintergrund war die zunehmende Luftverschmutzung, gerade auch im Ruhrgebiet. Für meinen Laser musst ich mich tief in die Physik einarbeiten, was mir großen Spaß gemacht hat. Mein Doktorvater Friedrich Stuhl verbrachte in der Zeit ein Forschungssemester in den USA. Als er zurückkam, konnte ich ihm meine fertige Dissertation auf den Tisch legen.

    Jetzt stand Ihnen die große weite Welt der Wissenschaft offen. Welche Stationen waren entscheidend für Sie?
    Meine erste Festanstellung bekam ich 1979 in Stuttgart am DLR. Ich hatte mich vorher schon von der Atmosphärenchemie verabschiedet – jetzt wollte ich herausfinden, wo die Luftverschmutzung eigentlich herkommt und was man dagegen tun kann. Wissenschaftlich war ich also in die Verbrennungsforschung gewechselt und am DLR konnte ich solche Hochtemperaturprozesse mittels Laserspektroskopie im Detail untersuchen.

    © aus dem Buch „Burning for Science“

    Abschiedsposter der Stuttgarter Arbeitsgruppe 1994.
    Mit 27 Jahren eine Lebenszeitstelle in der Wissenschaft – davon träumen heute viele Nachwuchsforscher.
    Auch ich habe mich damals sehr über die Zusage aus Stuttgart gefreut. Ich hatte dort gute Arbeitsbedingungen, tolle Kollegen, ein sicheres Einkommen, aber nach einer Weile brauchte ich neue Herausforderungen. 1987 bin ich dann, zusammen mit meinem Mann Klaus, für ein gutes Jahr nach Kalifornien gezogen, um in Stanford zu forschen. Dort habe ich viel über Maschinenbau und Molekülspektroskopie gelernt, und beides hat mir neue Horizonte in der Verbrennungsforschung eröffnet. In dieser Zeit sind viele neue Freundschaften entstanden, die bis heute halten und ein wichtiger Teil meines beruflichen Netzwerks sind.

    Viele junge Wissenschaftlerinnen werden nicht von ihren Partnern ins Auslandsjahr begleitet, umgekehrt ist das oft anders. Wie kam es, dass Ihr Mann mitreiste?
    Wir hatten einige Jahre Fernbeziehung hinter uns und wollten das nicht wiederholen. Mein Mann hat daher als Arzt in einer Stuttgarter Klinik unbezahlten Urlaub genommen, ein Stipendium beantragt und tatsächlich bekommen. Wir waren also beide gut beschäftigt und sind 1988 mit frischen Ideen und voller Tatkraft in unsere Institute in Stuttgart zurückgekehrt.

    Zwei Jahre später, im Sommer 1990, kam Ihre Tochter zur Welt. Damals gab es weder Elterngeld noch das Anrecht auf einen Kitaplatz. Wie ging es dem Dual-Career-Paar Kohse-Höinghaus in dieser Phase?
    Es war eine Umbruchphase in jeder Hinsicht. Ich strebte eine Professur an einer Universität an, um eigenen Forschungsinteressen folgen zu können und mehr mit jungen Leuten zusammenzuarbeiten. Mein Mann suchte eine leitende Stellung in einer Klinik, die er schließlich in Oldenburg fand. Ich konnte mich, parallel zu meiner Arbeit als Gruppenleiterin am DLR, 1992 an der Universität Stuttgart habilitieren, als erste Frau an der Fakultät. Es war eine turbulente Zeit, die Klaus und ich durch unseren Zusammenhalt, mit moralischer Unterstützung von Verwandten und Freunden sowie privater Kinderbetreuung und Haushälterin überstanden haben. Unser Lebensmittelpunkt ist seither Oldenburg. Von dort pendelte ich regelmäßig an die Universität Bielefeld, wo ich 1994 auf den Lehrstuhl für Physikalische Chemie berufen worden war. Mein Mann und ich haben uns die Familienarbeit geteilt, unsere Tochter war gut versorgt. Trotzdem konnten manche es nicht lassen, mich Rabenmutter zu nennen.

    Sehen Sie sich als Rollenmodell für junge Frauen von heute, die Forschung und Familie verbinden wollen?
    Ja und nein. Für junge Familien gibt es heute mehr staatliche Unterstützung. Auch in der Forschungsförderung und bei Berufungen hat sich das Klima in Bezug auf Chancengleichheit deutlich geändert. Viele Universitäten und Forschungseinrichtungen erleichtern es mit Dual-Career-Strategien, zwei Karrieren und Familie zu verbinden. Allerdings ist es immer noch ein Spagat, der viel Einsatz erfordert. In einem experimentellen Fach wie der Chemie kann es helfen, für eine Schwangerschaft laborintensive Zeiten zu vermeiden. Und nicht nur wenn die Kinder klein sind, braucht es viel Unterstützung, viel Vorbereitung auf Eventualitäten – aber das gilt genauso für andere Berufsgruppen. Gerade im internationalen Kontext stelle ich aber fest, dass viele junge Frauen heute immer noch ähnliche Schwierigkeiten haben wie ich vor mehr als 30 Jahren.

    © aus dem Buch „Burning for Science“

    Die Messung läuft: Verbrennungsforschung am französischen Synchrotron SOLEIL nahe Paris.
    Heute sind Sie Mentorin für junge Leute. Gab es in Ihrer Laufbahn so etwas auch für Sie´?
    Nein, und das hat mir sehr gefehlt. Deshalb habe ich immer versucht, jüngere Generationen mit Rat und Tat zu unterstützen. Als Seniorprofessorin halte ich nach wie vor Kontakt zu mehr als hundert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die mit mir zusammengearbeitet haben. Zum Mentoring im weiteren Sinne zählt auch das teutolab. So nennt sich das Bielefelder Mitmachlabor, das ich als eines der allerersten solcher außerschulischen Lernorte gegründet habe, um Kinder und Jugendliche für die Naturwissenschaften zu begeistern. Der entsprechende Bundesverband, den wir aus Bielefeld mit ins Leben gerufen haben, besteht jetzt 20 Jahre, und in diesem Jahr feiern wir den 25. Geburtstag des teutolab.

    Als Seniorprofessorin sind Sie weiterhin aktiv. Wie können wir uns Ihre Tätigkeit vorstellen?
    Ich sitze viel am Schreibtisch und bin viel unterwegs. Am Schreibtisch arbeite ich an Vorträgen, Fachartikeln oder wissenschaftlichen Stellungnahmen für Akademien und Wissenschaftsorganisationen. In den letzten zwei Jahren hat mich die Arbeit an der Autobiografie intensiv beschäftigt. Als Fachwissenschaftlerin mit großem Netzwerk und langjährigen Verbindungen ins Ausland bin ich oft unterwegs, zum Beispiel in China. Ich halte es für sehr wichtig, trotz politischer Spannungen die Kontakte dorthin aufrechtzuerhalten, gerade auch zum wissenschaftlichen Nachwuchs. Ohne China gibt es keine Lösung für einige globale Probleme unserer Zeit – wir müssen zusammenarbeiten.

    Eines dieser Probleme ist der Klimawandel, der maßgeblich auf die Verbrennung fossiler Energieträger zurückgeht. Hat Sie das nicht an Ihrem Fachgebiet zweifeln lassen?
    Absolut nicht. Wir müssen die Verbrennung fossiler Rohstoffe aufgeben, nicht aber die Verbrennungsforschung. Denn sie liefert wissenschaftliche Grundlagen, die wir für die Entwicklung klimaneutraler Treibstoffe für Industrie und Verkehr brauchen. Die Verbrennungsforschung gibt uns auch das Rüstzeug für eine bessere Bekämpfung von Großbränden, sei es in der freien Natur oder in Städten. Mit meiner Forschung konnte ich einen Beitrag zum Verständnis der komplexen chemischen Reaktionen in Hochtemperaturprozessen leisten und Wege zur Vermeidung von Schadstoffen aufzeigen. Und das gibt mir ein gutes Gefühl.

    Saarbrücken 2018 © Robertus Koppies

    © Universität Bielefeld / Norma Langohr

    Prof. Dr. Katharina Kohse-Höinghaus.

    Das Buch

    Katharina Kohse-Höinghaus: Burning for Science – A Woman in a Technical Field, GNT Publishing GmbH, Berlin 2025

    Zur Buchreihe

    Die autobiografische Reihe „Lives in Chemistry – Lebenswerke in der Chemie“ gibt Einblicke in das Leben und Denken herausragender Forscher im Spiegel der Zeit. Erfolgreiche Chemiker beschreiben darin authentisch und persönlich, wie Neues in den Naturwissenschaften entsteht. Herausgegeben wird die Reihe vom Beirat der Fachgruppe Geschichte der Chemie in der Gesellschaft Deutscher Chemiker.

    Am 8. März 2025 erscheint in dieser Reihe die Autobiografie einer weiteren Wissenschaftspionierin, der Chemikerin Sigrid Peyerimhoff: „Ab initio – Ein Leben für die Quantenchemie“, GNT Publishing GmbH, Berlin 2025. Professorin Peyerimhoff erhielt 2018 die Alexander-von-Humboldt-Medaille der GDNÄ für ihre herausragenden Verdienste um die Weiterentwicklung der Naturforschergesellschaft.

    © aus dem Buch „Burning for Science“

    Habilitation 1992, erwartet von Mann und Tochter.
    Zur Person

    Katharina Kohse-Höinghaus ist Senior-Professorin für Physikalische Chemie an der Universität Bielefeld. Die 73-jährige Wissenschaftlerin ist international bekannt für die Diagnostik von Verbrennungsvorgängen mittels Laserspektroskopie und Massenspektrometrie.

    Von 1994 bis 2017 leitete sie an der Universität Bielefeld einen Lehrstuhl für Physikalische Chemie. Zuvor forschte Kohse-Höinghaus an verschiedenen Institutionen im In- und Ausland 1992 habilitierte sie sich mit einem Thema aus der Energietechnik an der Universität Stuttgart.

    Auf Initiative von Katharina Kohse-Höinghaus wurde im Jahr 2000 eines der ersten deutschen Mitmachlabore, das teutolab, gegründet. Inzwischen gibt es Satellitenlabore in der Region Bielefeld, im europäischen Ausland und in Asien.

    Die international renommierte Wissenschaftlerin ist Mitglied mehrerer Akademien, darunter die Leopoldina und die acatech, sowie zahlreicher Gremien und Wissenschaftseinrichtungen im In- und Ausland. Sie erhielt viele Auszeichnungen, zum Beispiel das Bundesverdienstkreuz am Bande sowie Ehren- und Gastprofessuren in mehreren Ländern. Im Jahr 2007 wurde sie als erste Frau zur Präsidentin der Deutschen Bunsen-Gesellschaft gewählt und als erste Europäerin war Katharina Kohse-Höinghaus von 2012 bis 2016 Präsidentin des International Combustion Institute. Sie ist seit vielen Jahren Mitglied der GDNÄ und zählt zu den Mitgestaltern der wissenschaftlichen Tagungsprogramme im Bereich Technikwissenschaften.

    Zum Weiterlesen:

    © Andreas Brockhinke

    Professorin Kohse-Höinghaus in ihrem Bielefelder Büro im Jahr 2011.