„Bienen halten Picasso und Monet auseinander“
Herr Professor Tautz, wie geht es den Bienen?
Gar nicht so schlecht, zumindest nicht in Deutschland. Hierzulande gibt es etwa eine Million Bienenvölker und rund hunderttausend Imker. Die Imkerschaft wächst von Jahr zu Jahr und sie wird zunehmend jünger, weiblicher und städtischer. In den letzten zehn Jahren sind Bienen zu außerordentlich beliebten Tieren geworden und inzwischen haben sie weltweit eine starke Lobby – viel stärker als andere Insekten.
Aber das hat doch vor allem mit dem Bienensterben zu tun?
Ein allgemeines Bienensterben gibt es nicht. Wir haben es mit regional sehr unterschiedlichen Gefahren zu tun, etwa durch Parasiten wie die Varroa-Milbe, Krankheiten oder einen Mangel an Blühpflanzen. Dadurch bedroht sind vor allem die zahlreichen weniger bekannten Wildbienenarten, die keine Staaten bilden, sondern überwiegend solitär leben. Die bei uns weit verbreitete westliche Honigbiene ist nicht gefährdet, solange eine engagierte Imkerschaft sich um sie kümmert.
Wie wirken sich Unkrautbekämpfungsmittel wie Glyphosat auf die Bienen aus?
Der negative Einfluss von Glyphosat und anderen Herbiziden ist meist indirekter Natur. Glyphosat zum Beispiel schädigt die bakterielle Darmflora der Bienen, was letzten Endes ihr Immunsystem schwächen kann. Zudem verknappt dieses Herbizid das Nahrungsangebot für viele Insekten, da außer gentechnisch veränderten Nutzpflanzen alle Pflanzen abgetötet werden.
Im ersten Moment ist das tatsächlich erstaunlich. Immerhin sind in einem Bienenstock rund fünfzigtausend Giftstacheln versammelt. Aber unserer Bienenliebe tut das keinen Abbruch. Das hat geschichtliche Gründe, denke ich. In allen Kulturen ist Honig eine Speise der Götter, denken wir nur an Ambrosia in der griechischen Mythologie. Für unsere Vorfahren war es immer ein Fest, wenn sie ein Bienennest mit Honig fanden. Wie wichtig die Bienen für Naturhaushalt und Landwirtschaft sind, erkannte man aber erst Ende des 18. Jahrhunderts. Damals beobachtete der Berliner Theologe Christian Konrad Sprengel, dass Bienen die Pflanzen bestäuben und damit befruchten. Man kann also sagen, die Bienen sind ein Schlüsselorganismus und ein wunderbarer Brückenbauer zwischen Umwelt und Mensch.
Sie sind Zoologe. Was genau hat Sie zur Bienenforschung gebracht?
Ich habe mich erst mit 45 Jahren in diese Richtung spezialisiert. Vorher ging es in meiner Forschung um Schmetterlingsraupen, Krebse, Frösche, Fische und andere Organismen. Nach ersten Einblicken in die Kommunikationsbiologie der Biene war ich dann aber absolut fasziniert und bin nicht mehr davon losgekommen.
Was beeindruckt Sie so an der Biene?
Bienen sind unglaublich belastbar und verfügen über verblüffende Fähigkeiten. Die Honigbiene zum Beispiel kann bis vier zählen, hat eine Vorstellung vom Konzept der Zahl Null und kann die Malstile von Picasso und Monet auseinanderhalten. Das ist alles experimentell belegt. Faszinierend ist auch die Kulturgeschichte: So hat man erst im 18. Jahrhundert entdeckt, dass ein Bienenvolk von einer Königin angeführt wird und nicht, wie Jahrtausende behauptet wurde, von einem König. Wir haben es tatsächlich mit einem Frauenstaat zu tun, der hervorragend funktioniert, nicht zuletzt durch die ausgeklügelte Kommunikation untereinander.
Welche Bedeutung hat dabei die Tanzsprache der Bienen?
Sie spielt eine wichtige Rolle, wie schon die Forschungsarbeit des Nobelpreisträgers Karl von Frisch zeigt. Er hatte beobachtet, wie Arbeitsbienen ihren Artgenossinnen durch tanzartige Bewegungen im Bienenstock, den sogenannten Schwänzeltanz, den Weg zur Nahrung wiesen. Die dabei mitgeteilte Information liefert jedoch nur eine grobe Orientierung, wie wir heute wissen. Um den genauen Futterplatz zu finden, braucht die Honigbiene weitere Informationen, die sie während des Flugs erhält – unter anderem durch die unterwegs nicht abreißende Kommunikation mit Artgenossinnen.
Die Kontroverse wäre in dieser Form nicht nötig gewesen. Meine Sicht der Dinge hat sich seither nicht verändert: Im Schwänzeltanz sehe ich den Beginn einer lückenlosen Kommunikation, die die Arbeiterinnen ausgehend vom Bienenstock und ergänzt durch weitere Informationen treffsicher zur Nahrungsquelle führt. Diese Einschätzung wird durch viele internationale Forschungsergebnisse gestützt.
Sie haben viel für den Dialog mit der Öffentlichkeit getan und sind für Ihre vorbildliche Vermittlungsleistung im Jahr 2012 mit dem renommierten Communicator-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Stifterverbands ausgezeichnet worden. Was bedeutet Ihnen die Ehrung?
Die Mitmenschen für Dinge interessieren und begeistern zu dürfen, die man selbst für wichtig hält, ist wunderbar. Aber es kostet auch Ressourcen, die der eigentlichen Forschungsarbeit entgehen. Da ist der Communicator-Preis schon eine sehr motivierende Anerkennung.
Mein Team und ich wollen junge und ältere Leute mit einem modernen Projekt persönlich und nicht nur digital zusammenbringen. Bei uns können Fridays-for-Future-Anhänger konkret etwas für Umwelt und Klima tun. Nach den guten Erfahrungen mit einem Onlineprojekt an der Universität Würzburg namens Honeybee Online Studies, kurz HOBOS, haben wir vor Kurzem mit we4bee ein neues Vorhaben gestartet. Im Zentrum stehen dabei Hightech-Bienenstöcke zur eigenständigen Umweltforschung.
Wie können wir uns die Schulforschung vorstellen?
Derzeit haben deutschlandweit mehr als hundert Schulen solche Bienenstöcke bei uns ausgeliehen. Dank eines großzügigen Förderers, der Audi-Stiftung für Umwelt, ist das für die Schulen kostenfrei. Jeder Stock beherbergt ein Bienenvolk, dessen Zustand und Verhalten mit im Nest installierten Kameras und Sensoren rund um die Uhr aufgezeichnet wird und per App beobachtet werden kann. Zusätzlich werden Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Wetterlage und andere Umgebungsparameter dokumentiert. Die Schülerinnen und Schüler tragen alle Daten zusammen und schicken sie zur Auswertung an unser Team an der Universität Würzburg. Was braucht ein Bienenvolk, um gesund zu bleiben? Und schadet das neue Mobilfunknetz 5G den Bienen? Das sind nur zwei der Fragen, die wir anhand der Daten hoffentlich bald besser beantworten können. Die Ergebnisse wollen wir aber nicht nur mit den jungen Leuten diskutieren, sondern alle Generationen im Gespräch über die Bienen zusammenbringen. Auch Imker sollen davon profitieren, damit sie ihren Völkern bestmögliche Lebensbedingungen schaffen können.
Wie geht es Ihren eigenen Bienen und welche Zukunftshoffnung haben Sie als Imker?
Meine eigenen fünf Bienenvölker sind wohlauf. Für die Zukunft hoffe ich auf Umweltbedingungen, die für die Bienen insgesamt zuträglich sind. Dann geht es auch einem riesigen Netzwerk in der Natur gut und letztlich auch uns Menschen.
Der Zoologe und Bienenforscher Professor Jürgen Tautz.
Zur Person
Jürgen Tautz ist Verhaltensforscher, Bienenforscher und Imker. Als Professor am Biozentrum der Universität Würzburg im Jahr 2015 emeritiert, leitet er heute we4bee, ein Netzwerk zur Umweltforschung und Umweltbildung in Schulen. We4bee schließt an HOBOS (Honeybee Online Studies) an, eine internetbasierte Lehr- und Lernplattform zur Honigbiene, die Tautz 2006 gründete. Der 1949 in Heppenheim geborene Zoologe studierte an der Technischen Universität Darmstadt Biologie, Geographie und Physik. Nach seiner Dissertation in Konstanz bei Hubert Markl kam er über Stationen in Canberra/Australien und Stanford/Kalifornien im Jahr 1990 an die Universität Würzburg. Neben rund 400 Fachpublikationen veröffentlichte Jürgen Tautz mehrere Sachbücher, darunter Bestseller wie „Phänomen Honigbiene“. Das 2007 erstmals erschienene Werk wurde in zwanzig Sprachen übersetzt. Derzeit arbeitet er an einem Buch, das die Sprache der Bienen und deren Erforschung aus einem neuen Blickwinkel betrachtet; erscheinen soll es im Frühjahr 2021.
Weitere Informationen: