„Ein Nährboden für neue Ideen“
Sie ist Chefin des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt und neu im Präsidium der GDNÄ: Was sie antreibt, was sie vorhat, skizziert die Ingenieurin Anke Kaysser-Pyzalla in diesem Gespräch.
Frau Professorin Kaysser-Pyzalla, seit Anfang 2023 sind Sie Vizepräsidentin der GDNÄ. Haben Sie schon Pläne für das neue Amt?
Ja die habe ich und dabei sind mir zwei Bereiche besonders wichtig: zum einen die Nachwuchsgewinnung für Berufe im thematischen Spektrum der GDNÄ, zum anderen die interdisziplinäre Herangehensweise an aktuelle Herausforderungen wie Klimawandel, Energieversorgung oder globale Gesundheit. In diesen Bereichen kann die GDNÄ viel bewirken. Sie strahlt Faszination und Begeisterung für die Naturwissenschaften aus, über die wir deutlich mehr Menschen für ein entsprechendes Studium gewinnen können. Ich denke dabei nicht nur an Schülerinnen und Schüler, sondern auch an Erwachsene mit Berufserfahrung, die sich ein Zweitstudium vorstellen können. Es gibt so viele interessante Karrierewege – in Forschung und Entwicklung, an den Hochschulen, in Großunternehmen, aber auch in kleinen und mittelständischen Firmen – das möchte ich stärker in den Fokus rücken.
Thema Interdisziplinarität: Warum ist sie Ihnen so wichtig und welche Rolle kann die GDNÄ dabei spielen?
Wir werden die großen Menschheitsprobleme nur durch fachübergreifende Zusammenarbeit bewältigen können, das ist heute Konsens. Die GDNÄ, deren Markenzeichen die Interdisziplinariät ist, kann als Plattform für den Austausch unter Experten dienen, als Nährboden für neue Ideen und Ort des öffentlichen Dialogs.
An Arbeitsmangel werden Sie als Vorstandsvorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt nicht leiden. Wie viel Zeit und Energie lässt das Hauptamt Ihnen für ehrenamtliche Tätigkeiten, etwa im GDNÄ-Vorstand?
Meine Tage sind tatsächlich durchgetaktet. Aber ich nehme mir Zeit für die GDNÄ, weil ich finde, dass Menschen in Positionen wie meiner sich auch für die Gesellschaft engagieren sollten. Außerdem habe ich wunderbare Kolleginnen und Kollegen im DLR und in der GDNÄ, die mich unterstützen.
© DLR (CC BY-NC-ND 3.0)
Ein am DLR entwickeltes Regionalflugzeug mit Brennstoffzellen-Antrieb im Probebetrieb. Mit 25 Instituten und Einrichtungen in der Luftfahrtforschung treibt das DLR den Wandel hin zu einer zukunftsfähigen, umweltverträglichen Luftfahrt voran.
Wie können wir uns Ihren beruflichen Alltag als DLR-Chefin vorstellen?
Die meiste Zeit verbringe ich mit Besprechungen und Konferenzen, die im Interesse von Nachhaltigkeit und Effizienz überwiegend online stattfinden. Intern ist die Organisationsentwicklung in Richtung moderner Arbeitsformen gerade ein großes Thema bei uns. Aber ich bin auch unterwegs, so an den Standorten des DLR, oder für persönliche Gespräche mit unseren Kooperationspartnern im In- und Ausland.
Wer sind diese Partner?
Wir arbeiten mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in akademischer und industrieller Forschung zusammen, mit großen, mittelständischen und kleineren Unternehmen und mit der Bundeswehr. Im Ausland kooperieren wir eng mit Forschungseinrichtungen und Firmen in anderen europäischen Staaten, vor allem aus Frankreich, aber auch aus den USA, Australien, Singapur und Japan – um nur einige Länder zu nennen.
China zählt nicht dazu?
Auf Grund der sich verändernden geopolitischen Lage und internationaler Spannungen hat das DLR die Kooperationen mit China konsequent reduziert, bestehende Formen der Zusammenarbeit laufen aus.
Wo steht das DLR heute und wohin geht die Reise?
Mit mehr als zehntausend Mitarbeitenden, dreißig Standorten und mehr als fünfzig Instituten und Forschungseinrichtungen sind wir das größte Forschungszentrum im ingenieurwissenschaftlichen Bereich in Europa. Bei uns geht es um Luft- und Raumfahrt, Energieversorgung, Mobilität, aber auch um Sicherheits- und Verteidigungsforschung und Katastrophenhilfe. Wir arbeiten anwendungsorientiert und haben daher in unserer Forschung immer auch den Weg in Wirtschaft und Gesellschaft im Blick. Wir fliegen Satelliten, die nicht nur für die Erd- und Klimabeobachtung wichtig sind, sondern auch für die Navigation, etwa beim Zukunftsthema autonomes Fahren. Das DLR besitzt eine große Flugzeugflotte und forscht intensiv zum klimaverträglichen Fliegen.
© DLR
Bei der Entwicklung neuer unbemannter Flugkörper und ihrer Integration in den Luftraum ist in Deutschland das Nationale Erprobungszentrum für Unbemannte Luftfahrtsysteme des DLR die treibende Kraft.
Derzeit hat der Flugverkehr einen Anteil von 3,5 Prozent an den klimarelevanten Emissionen weltweit. Wie lässt sich die Belastung reduzieren?
Das hängt von den Passagierzahlen und den Flugdistanzen ab. Für Kleinflugzeuge kommen Batterien infrage. Für Kurz- und Mittelstrecken eignen sich wasserstoffbasierte Antriebe wie die Brennstoffzelle. Bei Langstrecken denken wir an Sustainable Aviation Fuels, kurz SAF, die nachhaltig aus nicht-fossilen Rohstoffen hergestellt werden. Zudem betrachten wir das Gesamtsystem Flugzeug, um auf dem Weg zum klimaverträglichen Fliegen alle technisch-technologischen Möglichkeiten nutzen zu können. Dazu gehören Änderungen im aerodynamischen Verhalten ebenso wie neue Flugzeugkonfigurationen oder die Planung und Umsetzung von klimaverträglichen Flugrouten.
Wann rechnen Sie mit ersten Anwendungen im regulären Flugbetrieb?
SAF werden bereits als Beimischungen zu herkömmlichen Treibstoffen genutzt. Aktuell versuchen wir in mehreren Projekten die in der Luftfahrt benötigten Mengen im industriellen Maßstab verfügbar machen.
Lassen Sie uns noch einmal auf die GDNÄ schauen: Nach dem Mediziner Martin Lohse hat jetzt mit Heribert Hofer ein Zoologe die GDNÄ-Präsidentschaft übernommen. Sie sind Materialwissenschaftlerin und Maschinenbauerin und werden 2025 im Amt folgen. Wird die GDNÄ der Zukunft technikwissenschaftlicher sein?
Sie wird interdisziplinär sein und es wird vielleicht noch mehr Synergien zwischen den einzelnen Fachgebieten geben. Das passt gut zur GDNÄ und gut zum DLR, das neben den Technikwissenschaften auch in den Naturwissenschaften aktiv ist: Denken wir nur an das Institut für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln, wo Medizinerinnen und Mediziner sowie Psychologinnen und Psychologen biomedizinische Forschung auf höchstem Niveau betreiben.
© DLR
Die ESA-Kurzarmzentrifuge im :envihab des DLR-Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin in Köln. In der weltweit einmaligen Forschungsanlage werden die Auswirkungen von Umweltbedingungen wie der Schwerkraft auf grundlegende Mechanismen der menschlichen Gesundheit, der Lebensbedingungen und der Leistungsfähigkeit des Menschen untersucht. In der neuen Kurzarmzentrifuge können Probanden mit bis zu 4,5 Gramm am Fußende beschleunigt werden.
In ihrer 200-jährigen Geschichte hatte die GDNÄ bisher siebzig Präsidenten und nur zwei Präsidentinnen. Auch die Mitglieder sind überwiegend männlich. Steht Frauenförderung auf Ihrer Agenda?
Ja, das ist ein ganz wichtiges Zukunftsthema. In der Medizin ist der Nachwuchs schon zum größten Teil weiblich, in den Natur- und Ingenieurwissenschaften gibt es Nachholbedarf. Da müssen wir stärker zeigen, wie viel Spaß diese Berufe machen und uns noch mehr um die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit kümmern.
Das Schülerprogramm hat sich zu einem starken Pfeiler in der GDNÄ entwickelt wie etwa die Jubiläumsfeier 2022 in Leipzig zeigte. Welchen Stellenwert hat dieses Programm für Sie und haben Sie schon Ideen für die Nachwuchsförderung?
Das Schülerprogramm ist eine tolle Sache und ganz wichtig für die GDNÄ. Beim DLR haben wir gut funktionierende Schülerlabore, da lassen sich womöglich Synergien schaffen. Auch den Schülerinnen und Schülern möchte ich zeigen, wie attraktiv Berufe in Medizin, Natur- und Technikwissenschaften sind. Vielleicht gelingt es uns, Patenschaften zwischen etablierten Wissenschaftlern und jungen Leuten und eine Plattform mit Materialien für den naturwissenschaftlichen Unterricht aufzubauen. Bestimmt haben die Mitglieder der GDNÄ weitere gute Ideen – die sollten wir sammeln und auswerten.
© DLR
DLR-Schülerlabor: Experimente auf der Bühne gaben bei der Einweihung Ende September 2022 einen Vorgeschmack auf die neuen Möglichkeiten, die das DLR_School_Lab Jena jungen Leuten bietet.
Der Austausch mit der Öffentlichkeit ist ein starkes Anliegen der GDNÄ. Wie beurteilen Sie das bisherige Engagement? Wollen Sie den Dialog vertiefen?
Die GDNÄ wird in der Öffentlichkeit geschätzt und hat sich große Verdienste im Dialog mit der Gesellschaft erworben. Diese Arbeit möchte ich fortsetzen. Als Wissenschaftler haben wir die Pflicht, unser Wissen in die öffentliche Diskussion einzubringen. Wichtig ist, dass man sich auf Zahlen und Fakten, etwa auf die Geltung naturwissenschaftlicher Gesetze, einigen kann. Darauf müssen wir Wissenschaftler verstärkt hinwirken.
Zum Schluss noch eine persönlichere Frage: Wie sind Sie zur GDNÄ gekommen und was bedeutet sie Ihnen?
Ich bin durch andere Mitglieder und ihre begeisterten Schilderungen zur GDNÄ gekommen. Mir imponiert ihre große Tradition und ihre Offenheit für Zukunftsthemen. Dafür setze ich mich gern ein.
© DLR
Prof. Dr.-Ing. Anke Kaysser-Pyzalla
Zur Person
Prof. Dr. Anke Kaysser-Pyzalla hat in Bochum und Darmstadt Maschinenbau und Mechanik studiert. Sie wurde an der Ruhr-Universität Bochum promoviert und habilitierte sich auch dort. Nach Forschungstätigkeiten am Hahn-Meitner-Institut (HMI) und an der Technischen Universität Berlin forschte und lehrte sie von 2003 bis 2005 an der Technischen Universität Wien. 2005 wechselte sie als Wissenschaftliches Mitglied, Direktorin und Geschäftsführerin in die Leitung des Max-Planck-Instituts für Eisenforschung GmbH nach Düsseldorf. 2008 folgte die Berufung zur Wissenschaftlichen Geschäftsführerin der Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie GmbH, die unter ihrer Leitung aus der Fusion von HMI und der Berliner Elektronenspeicherring-Gesellschaft für Synchrotronstrahlung (BESSY) hervorging. 2017 wurde Anke Kaysser-Pyzalla zur Präsidentin der Technischen Universität Braunschweig gewählt. Seit 2020 ist sie Vorstandsvorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und seit dem 1. Januar 2023 zweite Vizepräsidentin der GDNÄ.
© DLR
Unbemannter DLR Forschungshubschrauber superARTIS mit Abwurfeinrichtung für Hilfsgüter.
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