„Ein Fachidiot wollte ich nie sein“

Uwe Hartmann, Physikprofessor an der Universität des Saarlandes, über den Kompass im Kopf, sein Konzept für eine neuartige Herzdiagnostik und gute Gründe für die Zusammenarbeit mit China.  

Herr Professor Hartmann, wer Ihren Namen und Ihr Forschungsgebiet googelt, landet schnell bei einer Studie zum inneren Kompass von Lebewesen. Was genau haben Sie herausgefunden?
In der Studie geht es um die alte Frage, wie Lachse immer wieder treffsicher ihre Laichgründe finden oder Zugvögel es schaffen, sich über weite Distanzen zu orientieren. Viele Tiere haben ähnliche Fähigkeiten, die schon seit Langem mit speziellen Rezeptoren für das Magnetfeld der Erde in Verbindung gebracht werden. An diesem Punkt setzten wir, ein internationales Forscherteam bestehend aus Physikern, Genetikern und Sinnesphysiologen, mit unserer Studie an. In jahrelanger Arbeit ist es uns gelungen, kleine magnetische Partikel in einzelnen Sinneszellen von Lachsfischen und anderen Lebewesen unter dem Mikroskop sichtbar zu machen. Derart genau ließen sich die nur wenige Nanometer großen Cluster von Eisenoxidpartikeln bisher nicht darstellen. Unsere Studie liefert darüber hinaus Hinweise auf die Evolutionsgeschichte des Magnetsinns, den Urbakterien bereits vor drei Milliarden Jahren besaßen und der sich über einen Satz von elf Genen in höher entwickelte Lebewesen fortpflanzte. 

Die Veröffentlichung hatte ein großes Medienecho…
…ja, es wurde weltweit darüber berichtet. Als Korrespondenzautor unseres Teams war ich zunächst überrumpelt von den vielen Interviewanfragen, habe mich dann aber darauf eingestellt und mit sehr vielen Journalisten gesprochen. Der Hype hält, so unglaublich das klingen mag, seit fast zwei Jahren an – und das Publikum reagiert lebhaft auf entsprechende Medienbeiträge. So berichten Leserinnen und Leser regelmäßig von ihrem besonderen Orientierungsvermögen, ihrem sechsten Sinn, wie es viele nennen. Das kann dann schnell in die Esoterikecke gehen, da muss man aufpassen. Aber wenn wir an Eskimos denken, die sich in weiten Schneewüsten oft mühelos zurechtfinden, drängt sich durchaus der Gedanke auf, dass auch Menschen über einen vielleicht sogar ähnlich konstruierten Magnetfeldorientierungssinn verfügen.

Wollen Sie dieser Hypothese in Ihrer Forschung nachgehen?
Nein, ich werde das nicht weiterverfolgen. Da müssen jetzt die Physiologen und Vertreter anderer Disziplinen ran. Ich habe genug mit meinen Kernthemen zu tun. 

Was steht für Sie im Vordergrund?
In meinem Labor geht es um die Entwicklung innovativer Materialien, und zwar mit Blick auf interessante neue Anwendungen. Ein Beispiel sind Nanodrähte mit einem Durchmesser vom Tausendstel eines Haares und einem äußerst geringen elektrischen Widerstand. Noch ist das Grundlagenforschung, aber In absehbarer Zukunft können solche Drähte dazu beitragen, die Leistungsfähigkeit von IT-Geräten zu verdoppeln. Wir arbeiten auch an ultraempfindlichen magnetischen Sensoren, von denen zum Beispiel die Herzdiagnostik enorm profitieren könnte. Mithilfe von künstlicher Intelligenz lassen sich mit unseren Sensoren magnetische Signale des Herzens und damit wichtige Hinweise auf die Herzgesundheit erfassen. Wir haben unser Konzept für eine Magnetokardiografe der Zukunft schon auf Messen vorgestellt und können es, wenn sich ein Investor findet, binnen drei Jahren in die Anwendung bringen.  Der Vorteil der neuen Methode besteht darin, dass keine Elektroden auf der Haut benötigt werden; unsere Magnetfeldsensoren arbeiten vielmehr berührungslos. Bestimmte Signale, ausgelöst etwa durch Reizleitungsstörungen, lassen sich dabei wesentlich detailgenauer als bislang erfassen. 

Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI). © IQOQI/M.R.Knabl

© Universität des Saarlandes

Magnetpartikel in Sinneszellen von Lachsen (links: Topografie, rechts: Magnetkontrast).

Sie haben nicht nur ein breites Themenspektrum, in Ihrem Labor tummeln sich auch die unterschiedlichsten Disziplinen. Wie kommt’s?
So entstehen neue Ideen und das ist es, was mich fasziniert. Leider ist unsere Förderlandschaft in Deutschland disziplinär strukturiert. Da braucht man sehr viel Geduld, um fachübergreifende Projekte zu realisieren. Aber ich nehme das auf mich. Ein Fachidiot wollte ich nie sein, sondern ein Forscher mit Weitblick und Interesse an der Gesellschaft. 

Ein Beispiel dafür ist Ihr Essay über die Zukunft des Saarlandes. Wie war die Resonanz?
Sehr lebhaft und sie hält seit der Veröffentlichung im Jahr 2020 an. Mein Team und ich hatten in dem Essay die Schließung des Ford-Werks in Saarlouis zwei Jahre vor Bekanntgabe korrekt vorhergesagt, was uns viel öffentliche Aufmerksamkeit bescherte. Auch die Politik hat angebissen. In einer Diskussion mit dem Präsidenten des saarländischen Landtags, Stephan Toscani, konnte ich unsere Methoden und Prognosen ausführlich erläutern. 

Haben Sie auch wissenschaftsbasierte Empfehlungen abgegeben?
Darum geht es uns nicht. Wir analysieren die Gegenwart und modellieren auf dieser Basis plausible Zukunftsszenarien. Für das Saarland haben wir mit Blick auf das Jahr 2050 ein besonders positives und ein besonders düsteres Zukunftsbild entworfen. Im positiven Szenario sagen wir zum Beispiel eine Verdopplung der Einwohnerzahl und eine florierende Wasserstoffwirtschaft voraus. Ob es so kommen wird, hängt von langfristigen Entscheidungen ab. Im Grunde sollen die Szenarien jeden, der sich damit beschäftigt, zur Entwicklung eigener Zukunftsbilder anregen. 

Sie haben auch ein Kinderbuch geschrieben. Wie kam es dazu?
Den Anstoß gab eine Vorlesung bei der Saarbrücker Kinderuni. Ich hatte meinem Publikum erklärt, wie verschiedene, zum Teil längst vergessene Spielzeuge physikalisch funktionieren und freute mich über die vielen Fragen, mit denen Eltern, Großeltern und Kinder auf mich zukamen. In meinem Buch, das in wenigen Sommerwochen entstand, vertiefe ich diese Themen. Im Zentrum steht der Roboter Apus, der mithilfe seiner Freunde und viel künstlicher Intelligenz spannende Abenteuer besteht und dabei eine Menge Geheimnisse aufklärt. Mit dem Buch versuche ich, Kinder auf spielerische Art und Weise an Naturwissenschaften und Technik heranzuführen. Die Resonanz war sehr positiv und die erste Auflage schnell vergriffen. 

Die anfängliche Begeisterung für naturwissenschaftliche Themen flaut bei Kindern oft mit den Jahren ab. Woran liegt das?
Es muss etwas mit dem Schulunterricht zu tun haben. Was es genau ist, weiß ich nicht – das herauszufinden ist Sache der Bildungsexperten. Aus eigenem Erleben kann ich aber sagen, dass die gut zweitausend jungen Leute, die alljährlich den MINT-Campus des Saarlands besuchen, mit Feuer und Flamme dabei sind. Diesen Funken müssen wir in die Schulen bringen, denn Deutschland hat ein riesiges Nachwuchsproblem in den MINT-Fächern Mathematik, Informatik Naturwissenschaften und Technik. 

Wie wirkt sich das an Ihrem Fachbereich aus?
Wie an den meisten deutschen Universitäten nimmt auch bei uns die Zahl der Studierenden und Doktoranden in der Fachrichtung Physik ab. Viele kommen aus dem Ausland, zum Beispiel aus China.

AleutBio-Team © 2022, Thomas Walter, Expedition SO293 AleutBio

© Universität des Saarlandes

Ein miniaturisierter Magnetfeldsensor, der unter anderem für die medizinische Diagnostik verwendet werden kann.

Die akademische Kooperation mit China wird zunehmend skeptisch betrachtet. Bei Ihnen forschen chinesische Nachwuchskräfte, Sie haben zwei chinesische Ehrenprofessuren: Wie gehen Sie mit der neuen Situation um?
Ich sehe die politische Entwicklung in China natürlich mit zunehmender Sorge. Allerdings gibt es nach meiner Erfahrung einen deutlichen Unterschied zwischen dem Gebaren der politischen Elite und der Sichtweise vieler junger Menschen an den chinesischen Universitäten. Durch ihren Aufenthalt hier bei uns als Doktoranden oder Nachwuchswissenschaftler lernen diese jungen Menschen geradezu ein Kontrastprogramm kennen: freie Meinungsäußerung, kritische Sichtweisen und angeregte politische Diskussionen. Ich glaube, dieser Blick auf die Freiheit in der westlichen Welt, der stark prägend wirkt, rechtfertigt potenzielle Gefahren durch das Abfließen von Wissen oder Technologien. 

Sie sind im Pensionsalter und betreiben weiterhin Forschung und Lehre. Hat der Nachwuchsmangel die Professorenetage erreicht?
Nein, nein, das ist nicht der Grund. Ich mache das einfach sehr gern und nutze ein Modellprojekt meiner Universität, das mir die Weiterarbeit für einige Jahre ermöglicht. Mein Pensum umfasst sechs Wochenstunden Vorlesung, etwa über Nanotechnologie, die Betreuung mehrerer Forschungsprojekte und Doktorarbeiten. Aus meiner Sicht könnte das noch ein paar Jahre so weitergehen. 

In der GDNÄ engagieren Sie sich als Fachvertreter und Gruppenvorsitzender für das Versammlungsjahr 2024. Was motiviert Sie?
Die GDNÄ steht für eine Interdisziplinarität, die in unserer Wissenschaftslandschaft an vielen Stellen fehlt. Auch ihr Schülerprogramm beeindruckt mich.  Die sehr gelungene 200-Jahr-Feier in Leipzig hat der Gesellschaft großen Auftrieb gegeben und ich trage gern dazu bei, diesen Elan zu erhalten.

Paul Mühlenhoff © Stefan Diesel

© Universität des Saarlandes

Im Labor: Uwe Hartman am Ultrahochvakuum-Rastertunnelmikroskop.

Zur Person

Nach einem Physikstudium an der Universität Münster absolvierte Uwe Hartmann seine wissenschaftliche Ausbildung an den Universitäten Gießen und Basel sowie am Forschungszentrum Jülich und am IBM-Forschungszentrum in San José, Kalifornien. Seit 1993 ist er Professor für Experimentalphysik an der Universität des Saarlandes und leitet dort den Lehrstuhl für Nanostrukturforschung und Nanotechnologie. Einer seiner Schwerpunkte ist die experimentelle Nanostrukturforschung, wobei er sich vor allem mit Rastersondentechnik und Magnetfelddetektoren beschäftigt. Professor Hartmann erhielt eine Reihe von Rufen an Universitäten und außeruniversitäre Einrichtungen, blieb aber seiner Saar-Uni treu. Sein wissenschaftliches Oeuvre umfasst mehr als 400 Fachvorträge und mehr als 300 Fachpublikationen, darunter etliche Bücher. Er ist Inhaber mehrerer Patente und Mitbegründer einiger Unternehmen, Mitherausgeber verschiedener Fachzeitschriften und engagiert sich im Vorstand von Fachgesellschaften der Nanotechnologie. In den Jahren 2013/14 war er Vizepräsident für Europa und Internationales und 2015/16 Vizepräsident für Planung und Strategie der Universität des Saarlandes. Für seine wissenschaftlichen Leistungen wurde Uwe Hartmann ausgezeichnet mit dem Philip Morris Forschungspreis (1998), mit einer Ehrenprofessur an der Fudan-Universität in Shanghai (2006), mit einer Ehrenprofessur an der East China Normal University in Shanghai (2009) und dem Bundesverdienstkreuz (2015).

Paul Mühlenhoff © Stefan Diesel

© Edition Ulrich Burger 2019

Uwe Hartmanns Kinderbuch „Apus und die Geheimnisse hinter den Geheimnissen“ (mit Zeichnungen von Anne Holtsch, Edition Ulrich Burger 2019) traf den Nerv des Publikums.

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