Schnappschüsse von zuckenden Molekülen
Mit ultrakurzen Lichtimpulsen macht der Berliner Experimentalphysiker Thomas Elsässer winzige Bewegungen der Materie sichtbar. Was er mit seinem Team erforscht, ist von großem praktischen Nutzen für die Entwicklung neuer Werkstoffe, für Medizin und Biologie – und für ein schnelles, stabiles Internet.
Herr Professor Elsässer, Sie leiten das Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie. Das klingt ziemlich kompliziert. Können Sie es einfach erklären?
Wir erzeugen ultrakurze und ultraintensive Lichtimpulse und untersuchen deren Wechselwirkung mit Materie. Auf diese Weise können wir extrem schnell ablaufende Prozesse in Atomen und Molekülen abbilden und genau untersuchen.
Sie betreiben also Speed Imaging in einer Welt, die dem menschlichen Auge normalerweise verborgen bleibt?
Ja, so kann man es ausdrücken. Tatsächlich lassen sich heute Elektronenbewegungen in Festkörpern, molekulare Bewegungen in Flüssigkeiten oder die Abläufe chemischer Reaktionen in Echtzeit verfolgen. Dabei wird zuerst der zu untersuchende Prozess durch einen ultrakurzen Lichtimpuls ausgelöst, um dann im nächsten Schritt mit einem zweiten Lichtimpuls den aktuellen Wert einer optischen Messgröße zu ermitteln, zum Beispiel die momentane Reflexion einer molekularen Probe. Durch wiederholte Messungen ergibt sich eine Abfolge von Schnappschüssen, die ähnlich wie ein Kinofilm einen Bewegungsablauf zeigen. Es geht aber nicht nur um das Beobachten und Abbilden: Mit maßgeschneiderten ultrakurzen Lichtimpulsen lassen sich Prozesse auch gezielt steuern, um etwa chemische Reaktionen zu optimieren.
Ultrakurze Impulse sind offenbar der Dreh- und Angelpunkt: Was ist damit genau gemeint?
Es geht um Lichtblitze von wenigen Femtosekunden Dauer. Eine Femtosekunde ist ein Milliardstel einer Millionstel Sekunde. Solche unvorstellbar kurzen Lichtimpulse, in denen für sehr kurze Zeit eine Leistung von mehreren Millionen Megawatt konzentriert ist, erzeugen wir in speziellen Lasern. Nur so gelingt es, ultrakurze Vorgänge in der Materie zu erforschen.
© Max-Born-Institut
Eine experimentelle Anordnung zur Erzeugung intensiver Femtosekundenimpulse im infraroten Bereich bei einer Wellenlänge von fünf Mikrometern. Am Max-Born-Institut wird das System zur Erzeugung ultrakurzer harter Röntgenimpulse eingesetzt.
Ja, es gibt bereits eine Vielzahl von Anwendungen im technischen und medizinischen Bereich und es kommen laufend neue hinzu. Ein Beispiel ist das Internet, dessen Hauptstrang heute aus Glasfaserkabeln besteht. Dort werden riesige Datenmengen mit Lichtimpulsen im Pikosekundenbereich – eine Pikosekunde ist ein Millionstel einer Millionstel Sekunde – übertragen. Ein anderes Beispiel kommt aus der Materialwissenschaft: Bearbeitet man Werkstoffe mit einem Femtosekundenlaser, dann lassen sich hochpräzise Bohrungen ohne Ausfransen der Ränder erzeugen. Damit hat man sehr gute Erfahrungen in der Produktion von Einspritzdüsen gemacht. Oder nehmen wir die Medizin: Hier trägt die Forschung auf meinem Gebiet zu immer genaueren Bildgebungsverfahren und passgenauen Lasertherapien bei, etwa für das Netzhautschweißen in der Augenheilkunde.
Was sind die großen Trends in Ihrem Feld?
Derzeit wird international massiv in Großmaschinen investiert, um mit ultrakurzen Röntgenimpulsen ultraschnelle Strukturänderungen in Materie zu erfassen. Die Anwendungsbereiche reichen von Physik, Chemie und Materialforschung bis hin zur Biologie. In Stanford, Hamburg, Rüschlikon und einigen asiatischen Ländern gibt es bereits solche Großmaschinen, andernorts sind weitere Maschinen im Aufbau. Schon jetzt ist klar dass die Bestimmung momentaner atomarer Strukturen zusammen mit Ergebnissen der Ultrakurzzeitspektroskopie die Dynamik von Materie bis ins kleinste Detail erfassen kann.
Wo liegen derzeit die Schwerpunkte an Ihrem Institut?
In meiner Arbeitsgruppe geht es aktuell vor allem um das Projekt BIOVIB, für das ich 2019 einen zweiten ERC-Grant erhalten habe, verbunden mit einer Fördersumme von 2,5 Millionen Euro. Mit BIOVIB versuchen wir, dynamische elektrische Wechselwirkungen in biologischen Makromolekülen aufzuklären. Im Fokus steht aktuell die Transfer-RNA, kurz: tRNA genannt, die in der Zelle wie ein Lesekopf Information aus der Messenger-RNA (mRNA) ausliest und die Synthese von Proteinen aus Aminosäuren ermöglicht. Die Struktur der tRNA wird durch elektrische Wechselwirkungen mit ihrer Umgebung stabilisiert, die wir im Detail verstehen möchten. Wenn wir hier die richtigen Ansatzpunkte finden, sind auch gezielte Veränderungen im Sinne eines Moleceular Engineering denkbar. Andere Gruppen am Institut beschäftigen sich zum Beispiel mit der Dynamik von Elektronen im Sub-Femtosekundenzeitbereich und ultraschnellen magnetischen Prozessen.
Das Max-Born-Institut ist heute eine vitale, renommierte Forschungseinrichtung. War das 1993, als Sie in den Berliner Südosten kamen, schon vorherzusehen?
Gehofft habe ich es natürlich, aber abgezeichnet hat es sich damals noch nicht. Der Forschungsstandort Adlershof war Anfang der 1990er-Jahre noch nicht wettbewerbsfähig und sah phasenweise aus wie eine Sandwüste mit ziemlich maroden Gebäuden. Unser Institut war aus Teilen des Zentralinstituts für Optik und Spektroskopie der Akademie der Wissenschaften der DDR hervorgegangen und verwandelte sich im Laufe der Jahre in eine international konkurrenzfähige Forschungseinrichtung. Wir haben auf unserem Weg viel Unterstützung bekommen, auch durch die hervorragende Zusammenarbeit mit anderen Forschungseinrichtungen in der Region. Unsere Grundfinanzierung von Bund- und Länderseite und hier maßgeblich durch das Land Berlin ist gut. Als Wissenschaftler habe ich alle Freiheiten. Ich kann mich wirklich nicht beschweren.
Also uneingeschränkt zufrieden?
Nicht ganz. Kritisch sehen wir das geplante neue Hochschulgesetz für Berlin, das dem Senat deutlich mehr Einfluss einräumt, zum Beispiel bei Berufungen von Professoren. Probleme bereitet uns generell die zunehmende Regelungsdichte in Forschung und Verwaltung: Das nimmt oft kafkaeske Züge an, verzögert unter anderem die Zuwendung von Forschungsgeldern und beschädigt damit unsere Wettbewerbsfähigkeit. Die Mittelknappheit an den Berliner Unis ist auch für die außeruniversitäre Forschung ein großes Problem, denn die Hochschulen sind sehr wichtige Partner für uns. In der Berliner Verwaltung herrscht leider an manchen Stellen eine ausgeprägte Misstrauenskultur, durchaus im Unterschied zu anderen Bundesländern. Der Wissenschaft tut das überhaupt nicht gut.
Sie engagieren sich weit über Ihr Institut hinaus für Wissenschaft und Forschung. Was treibt Sie an?
Es macht mir einfach Spaß, auch mal über den fachlichen Tellerrand hinauszuschauen und eigene Erfahrungen einzubringen. Zum Beispiel in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, wo ich derzeit an mehreren Projekten beteiligt bin. Wir setzen uns zum Beispiel mit Wissenschaftsfreiheit und Cancel Culture im akademischen Bereich auseinander, also mit dem Trend zum Ausschluss von Wissenschaftlern mit abweichenden Meinungen. Häufig halte ich auch Schulvorträge in Brandenburg und spreche mit den jungen Leuten über meine Forschung, das Leben als Wissenschaftler und ihre Zukunftsideen.
Sie sind seit vielen Jahren Mitglied der GDNÄ und engagieren sich als Vertreter des Fachs Physik. Gibt es etwas, das Sie in dieser Funktion erreichen möchten?
Es wäre wunderbar, wenn wir die Öffentlichkeit und vor allem junge Leute noch stärker einbeziehen könnte – dazu würde ich sehr gern beitragen. Dass die GDNÄ in der Wissenschaft ein hervorragendes Image hat, konnte ich erleben, als wir Fachkollegen zu Vorträgen bei der 200-Jahr-Feier in Leipzig eingeladen haben: Es gab nur Zusagen. Eine gute Idee, um zwischen den Versammlungen den Zusammenhalt der Mitglieder zu stärken, sind Regionaltreffen. Und die jetzt schon hervorragenden Programme für Schülerinnen und Schüler können wir sicher noch weiter ausbauen. Zum Beispiel mit kostenfreien Zoom-Vorträgen für junge Leute – ich würde mich daran sofort beteiligen. Für Erwachsene könnten wir Infoflyer zu relevanten, aktuellen Themen ins Netz stellen, etwa zu Fragen des Stromtransports von den Küsten nach Süden, zum Klimawandel oder zu Themen rund ums Internet. Das Fachwissen dafür hat die GDNÄ in hohem Maße.
© Max-Born-Institut / Ralf Günther
Zur Person
Prof. Dr. Thomas Elsässer ist Direktor am Max-Born-Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie in Berlin-Adlershof und Professor für Experimentalphysik an der Humboldt-Universität. Nach Berlin kam er im Jahr 1993, als Adlershof noch „wie eine Sandwüste mit DDR-Gebäuden aussah“, berichtet der gebürtige Tübinger im Interview. Er hatte sich bewusst für die Pionierarbeit im Berliner Südosten entschieden und Rufe an die Universitäten Zürich und Stuttgart abgelehnt.
Im Jahr 1991 hatte Thomas Elsässer sich habilitiert – an der Technischen Universität München, wo er nach dem Physik-Diplom mit einer Arbeit im Bereich der Pikosekunden-Spektroskopie promoviert und einige Jahre geforscht hatte. 1990 verbrachte er als Postdoc an den berühmten Bell-Labs in New Jersey.
Der heute 63-jährige Wissenschaftler hat viele Preise und Auszeichnungen erhalten, darunter zwei der begehrten Advanced Grants des European Research Council (ERC) in den Jahren 2009 und 2019. Diese Fördergelder in Millionenhöhe werden an Spitzenforscher in Europa für bahnbrechende Hochrisiko-Projekte vergeben. 2013 lehnte Thomas Elsässer ein Angebot aus Stanford ab.
Er ist Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie. In der GDNÄ engagiert er sich seit 2014 als Fachvertreter Physik.
© Max-Born-Institut
Eine feste Größe auf dem Wissenschaftscampus Adlershof im Berliner Südosten: Das Max-Born-Institut, das mit seinen Büros, Laboren, Seminarräumen und einem Hörsaal in mehreren Gebäuden untergebracht ist.
Das Institut
Das Max Born Institut für Nichtlineare Optik und Kurzzeitspektroskopie (MBI) ist eine wissenschaftlich selbständige Forschungseinrichtung. Sie ist Teil des Forschungsverbunds Berlin e.V. und Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft und wird institutionell je zur Hälfte vom Bund und von den Ländern, insbesondere von Berlin, gefördert.
Das MBI pflegt enge wissenschaftliche Verbindungen zu den Berliner Universitäten. Seine Direktoren wurden mit je einer der Berliner Universitäten gemeinsam berufen. Marc Vrakking ist Professor an der FU Berlin, Stefan Eisebitt an der TU Berlin und Thomas Elsässer an der HU Berlin.
Das Institut wurde Ende 1991 gegründet und hat knapp 200 Mitarbeiter, von denen fast die Hälfte als Wissenschaftler tätig sind. Das Jahresbudget beläuft sich auf etwa 23 Millionen Euro.
Max Born, der Namensgeber des Instituts, zählt zu den bedeutendsten Wegbereitern der modernen Physik. Born erhielt (zusammen mit Walther Bothe) 1954 den Nobelpreis für Physik für seine Grundlagenforschung in der Quantenmechanik.