„Die Uni Potsdam freut sich auf die GDNÄ“
Barbara Höhle, Psycholinguistin und Wissenschaftliche Geschäftsführerin der Versammlung 2024, über ihre Universität im Exzellenzwettbewerb, Forschung mit Babys und das Überwinden von Sprachbarrieren.
Frau Professorin Höhle, als Vizepräsidentin sind Sie an der Universität Potsdam zuständig für Forschung, wissenschaftliche Qualifizierungsphase und Chancengleichheit. Was ist Ihnen in diesem weiten Feld besonders wichtig?
Alle drei Gebiete sind wichtig und wir sind auf allen aktiv. In den letzten Jahren haben wir zum Beispiel unser Tenure-track-Angebot ausgebaut, um attraktiver für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in frühen Karrierephasen zu werden. Inzwischen berufen wir jüngere Kolleginnen und Kollegen frühzeitig auf W1- und W2-Professuren, auf denen sie sich dann bewähren können. Das Thema Chancengleichheit liegt mir seit jeher am Herzen und es wird bei zunehmender Vielfalt und Internationalität unserer Studierenden und Beschäftigten auch immer wichtiger. Die meiste Zeit habe ich in den letzten Monaten für den Aufgabenbereich Forschung aufgewendet. Zusammen mit Forschenden unserer Fakultäten haben wir drei Anträge für Forschungscluster erarbeitet, mit denen wir uns am Exzellenzwettbewerb der Universitäten beteiligen.
Um welche Themen geht es?
In einer Antragsskizze steht der Biodiversitätswandel und die Rolle des Individuums in einem Ökosystem im Fokus. In der nächsten geht es um die Dynamik von Kognition und Verhalten, die Zusammenhänge von Sprache und Kognition, Entwicklung, Lernen und Motivation. Der dritte Antrag nimmt folgenschwere Wasserextreme in den Blick: Hier geht es beispielsweise um Vorhersagbarkeit und Risikominimierung bei Überschwemmungen. Bei allen drei Konzepten spielt auch die Zusammenarbeit mit außeruniversitären Forschungseinrichtungen in der Region eine Rolle.
Warum wurden die beschriebenen Themen ausgewählt?
Sie korrespondieren mit den Forschungsschwerpunkten unserer Universität. Im Jahr 2019 hat die Universität vier Fokusbereiche eingerichtet: Erd- und Umweltwissenschaften, Evolutionäre Systembiologie, Kognitionswissenschaften und Data-Centric Sciences, also datenzentrierte Wissenschaften. Nach vierjähriger Laufzeit werden die Schwerpunkte in diesem Herbst von externen Gutachtern evaluiert. Ich bin sehr zuversichtlich, was das Ergebnis angeht. Denn die Leistungsfähigkeit unserer Universität ist enorm, wie wir gerade wieder bei der Erstellung der Clusteranträge gesehen haben.
© Ernst Kaczynski
Campus Neues Palais, in der Nähe des Schlossparks Sanssouci: Hier befinden sich auch die Büros der Universitätsleitung.
Wie geht es weiter mit den eingereichten Cluster-Skizzen?
Im Februar kommenden Jahres erfahren wir, ob wir in die nächste Runde kommen und Vollanträge ausarbeiten können. Ob wir Exzellenzförderung erhalten, entscheidet sich im Mai 2025.
Und wenn es nicht klappen sollte?
Das kann passieren und damit muss man in der Wissenschaft einfach rechnen. Sollte es so sein, werden wir uns wieder aufrappeln und weitermachen. An den jetzt konzipierten Forschungsvorhaben halten wir in der einen oder anderen Form fest und suchen uns, wenn es sein muss, neue Fördertöpfe.
Wie viel Zeit bleibt Ihnen als Vizepräsidentin für Ihre eigene Forschung?
Die Arbeit im Präsidium gilt als Nebentätigkeit, tatsächlich verbringe ich im Moment damit aber mehr Zeit als mit meinen wissenschaftlichen Aufgaben. 60 Prozent Gremienarbeit und andere Aufgaben im Präsidium, 40 Prozent Lehre und Forschung – so schätze ich das Verhältnis.
Seit 2004 sind Sie Professorin für Psycholinguistk mit dem Schwerpunkt Spracherwerb an der Universität Potsdam. Um was genau geht es in Ihrer Forschung?
Im Mittelpunkt steht die Frage, wie Kinder ihre Muttersprache erlernen. Was bringen die Kinder mit auf die Welt? Welchen Anteil hat die Umwelt? Aber auch: Warum haben manche Kinder Schwierigkeiten beim Erwerb ihrer Muttersprache? Auf solche Fragen versuchen mein Team und ich Antworten zu finden.
Zu welchen Ergebnissen kommen Sie?
Eines unserer Ergebnisse besagt zum Beispiel, dass Kinder schon im Alter von sechs Monaten ein ausgeprägtes Gespür für Sprachmelodie und Sprachrhythmus haben. Beobachten konnten wir das in einer Vergleichsstudie mit deutschen und französischen Babys, denen wir erstbetonte Wörter, wie sie für das Deutsche charakteristisch sind, vorspielten und endbetonte Wörter, wie im Französischen üblich. Beispiele für solche Wörter sind „merci und „danke“ oder auch „tulipe“ und „Tulpe“. Es war eindeutig erkennbar, dass die deutschen Babys erstbetonten Wörtern mehr Aufmerksamkeit schenkten als endbetonten, während dies bei den französischen Babys nicht der Fall war. Daraus ersehen wir, dass Kinder schon mit sechs Monaten bestimmte Eigenschaften ihrer Muttersprache erkannt haben.
Es liegt nahe zu vermuten, dass Ihre Forschung praktische Bedeutung haben kann. Trifft das zu?
Ja, unsere Erkenntnisse lassen sich etwa für die kinderärztliche Diagnostik nutzen. Ein Beispiel: Wir haben in unserer Forschung gefunden, dass Babys, die bereits mit fünf Monaten bestimmte Muster wie Melodie und Rhythmus ihrer Muttersprache erkennen, im Alter von fünf Jahren bessere Sprachfertigkeiten besitzen als weniger versierte Altersgenossen. Dies zeigt, dass sich bereits in einem sehr frühen Alter Hinweise auf ein Risiko für den Spracherwerb finden lassen, so dass man hier früh gegensteuern kann. Je früher das passiert, desto besser, denn die Schere zwischen mehr oder weniger sprachkompetenten Kindern wird mit der Zeit immer größer.
© Karla Fritze
Campus Golm: In ländlicher Umgebung ist hier einer der größten Wissenschaftsparks der Region entstanden. Das von Barbara Höhle mitaufgebaute BabyLAB ist Teil der hier angesiedelten Humanwissenschaftlichen Fakultät.
Viele Kinder wachsen heute mehrsprachig auf. Ist das vorteilhaft oder eher ein Nachteil?
Wir sehen, dass kleine Kinder mit mehreren Sprachen sehr gut zurechtkommen und sie auch gut beherrschen können. Möglicherweise werden schon mal Wörter aus der einen Sprache nahtlos in die andere Sprache eingebaut, aber das ist kein Zeichen von Chaos im Kopf. Die aus den 1970er-Jahren stammende These von der Halbsprachigkeit von Kindern aus mehrsprachigen Familien, dass also keine Sprache richtig gelernt wird, gilt heute als widerlegt.
Psycholinguistik und Spracherwerb gehören nicht zu den klassischen Themen der GDNÄ. Wie verorten Sie Ihr Fach in der Naturforschergesellschaft?
Ich verstehe mich als Naturforscherin. Sprache und die Fähigkeit, sie zu erlernen, sind zentrale Eigenschaften des Menschen – vielleicht sogar Eigenschaften, die uns als Mensch ausmachen. Insofern erforsche ich die Natur des Menschen, und zwar häufig mit experimentellen Methoden aus den Naturwissenschaften. Ein Beispiel: In der Säuglingsforschung geht es immer wieder darum, Babys zu Reaktionen auf bestimmte Reize zu veranlassen, ohne ihnen die Aufgabe erklären zu können. Hilfreich ist hier ein Vorgehen, das Methoden der Verhaltensbiologie ähnelt. Dabei erfassen wir genau, wie lange die Kinder auf einen Apfel schauen, wenn sie das Wort „Apfel“ abwechselnd mit dem Wort „Banane“ hören. Hieraus lässt sich schließen, was die Babys bereits wissen oder in einer bestimmten Situation gelernt haben.
Welche Bedeutung hat die GDNÄ für Sie?
Die GDNÄ steht für eine Interdisziplinarität, die extrem wichtig ist und unserem Wissenschaftssystem an vielen Stellen fehlt. Ich denke da etwa an einen Antrag für einen Sonderforschungsbereich im Bereich Physik und Chemie, den ich als Vizepräsidentin mitbegleitet habe. Es brauchte viel Zeit, bis die beteiligten Disziplinen eine gemeinsame Sprache gefunden hatten und gut zusammenarbeiten konnten. Sie hatten, ähnlich wie auch andere klassische Naturwissenschaften, jahrzehntelang unabhängig voneinander geforscht. Hier kommt der GDNÄ eine große Bedeutung zu. Sie kann helfen, den Dialog der Disziplinen wieder in Gang zu bringen.
Die Universität Potsdam ist Gastgeberin der nächsten GDNÄ-Versammlung im Jahr 2024. Was erwartet die Gäste?
Die Gäste erwartet eine noch junge, dynamische und aufstrebende Universität, die sich darauf freut, Gastgeberin dieser bedeutenden und traditionsreichen Versammlung zu sein. Zudem können wir einen Ort bieten, der reich an Kultur und wunderbarer Natur ist. Ich hoffe, die Gäste werden auch für diesen Rahmen der Veranstaltung etwas Zeit finden.
© Ernst Kascynki
Prof. Dr. Barbara Höhle, Vizepräsidentin für Forschung, wissenschaftliche Qualifizierungsphase und Chancengleichheit der Universität Potsdam.
Zur Person
Prof. Dr. Barbara Höhle studierte Linguistik, Psychologie und Sozialwissenschaften an der Technischen Universität Berlin. Sie wurde an der Freien Universität Berlin promoviert und habilitiert. Seit 2004 ist sie Professorin für Psycholinguistik an der Universität Potsdam. Barbara Höhle trug maßgeblich zum Aufbau des BabyLABs bei, das die Entwicklung von Kindern ab dem vierten Lebensmonat untersucht und in diesem Jahr seinen 25. Geburtstag feiert. Im Januar 2021 übernahm die erfahrene Wissenschaftsmanagerin das Amt der Vizepräsidentin für Forschung, wissenschaftlichen Nachwuchs und Chancengleichheit, das sie bis Ende 2023 ausüben wird. Im Vorfeld der GDNÄ-Versammlung 2024 stellt Barbara Höhle als Wissenschaftliche Geschäftsführerin viele Verbindungen zur Wissenschaftlergemeinde in Potsdam und Umgebung her.
© Kevin Ryl
Im BabyLAB: Hier wird die Entwicklung von Kindern ab einem Alter von vier Monaten untersucht.
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