„Das Schülerprogramm ist einzigartig und überzeugend“

Alexander Böker, Polymerforscher und Direktor des Potsdamer Fraunhofer-IAP, über den Chemie-Nobelpreis 2023, nachhaltige Innovationen aus seinem Institut und gute Aussichten für die GDNÄ.

Herr Professor Böker, vor wenigen Tagen ist der Chemie-Nobelpreis für grundlegende Beiträge zur Nanotechnologie vergeben worden. Hat das Nobelkomitee richtig entschieden?
Ja, absolut. Die Forschung rund um nanometergroße Quantenpunkte ist von enormer Bedeutung für unsere moderne Welt. Die winzigen Partikel sind aus vielen Alltagsanwendungen nicht mehr wegzudenken, etwa in Computer- und Fernsehbildschirmen, in Leuchtdioden, Solarzellen oder in der Medizin. Und mit den drei Preisträgern Louis Brus, Alexei Ekimov und Moungi Bawendi sind auch die Richtigen ausgezeichnet worden. Aber wie es oft beim Nobelpreis ist: Auch diesmal gibt es ein paar Kollegen, die ihn vielleicht gleichermaßen verdient hätten. Leider erlauben die Statuten höchstens drei Laureaten pro Fachrichtung und das wird sich wohl so schnell nicht ändern. 

Sie haben selbst viele Jahre in diesem Bereich geforscht und an Ihrem Potsdamer Institut beschäftigen sich einige Arbeitsgruppen mit Nanopartikeln. Um welche Themen geht es dabei?
Am Fraunhofer IAP  wird zum Beispiel ein Schnelltest auf Brustkrebs entwickelt. Dabei heften sich hell leuchtende Quantenpunkte an Krebszellen in einer Blutprobe und markieren sie. Mit der Methode lassen sich Tumore in der Frühphase aufspüren und auf ihrem Weg im Körper verfolgen, das wissen wir bereits. Jetzt geht es darum, das Verfahren noch zielgenauer zu machen, um Fehlalarme zu vermeiden und längerfristig in die klinische Erprobung zu bringen. Dazu arbeiten wir mit dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf zusammen. Zu verdanken haben wir diese Forschungsrichtung einem weltweit anerkannten Pionier der deutschen Nanopartikelforschung, Professor Horst Weller von der Universität Hamburg. Er ist der Gründer des Centrums für Angewandte Nanotechnologie, kurz Fraunhofer CAN, das seit 2018 ein Fraunhofer-Zentrum ist und zum Fraunhofer IAP gehört. 

Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI). © IQOQI/M.R.Knabl

© Fraunhofer IAP | Till Budde

Synthesetechnikum des Fraunhofer-Pilotanlagenzentrums PAZ für die Polymerherstellung und -verarbeitung in Schkopau.

Gibt es weitere Innovationen aus Ihrem Haus, die mit dem diesjährigen Chemienobelpreis zu tun haben?
Da wäre zum Beispiel ein Verfahren zur Kodierung hochwertiger Waren mit Quantenpunkten. Sie werden auf die Verpackung aufgebracht und dienen der eindeutigen Identifikation und Qualitätskontrolle. Das Verfahren erfordert keine Internetverbindung und eignet sich damit auch für den Einsatz in ärmeren Weltgegenden. Aktuell verhandeln wir mit einer Firma, die unseren Prototypen weiterentwickeln und in Kleinserie testen möchte, um das ausgereifte Produkt dann auf den Markt zu bringen. Nach diesem Muster gehen wir oft vor, das ist ein klassischer Weg bei Fraunhofer. 

Bitte beschreiben Sie diesen Weg etwas genauer.
Startpunkt ist eine gute Idee, die oft aus dem Fraunhofer-Team kommt. Es folgt intensive Grundlagenforschung in unseren Laboren. Sie kann zu Prototypen für innovative Materialien und Produkte oder zu neuen Herstellungsprozessen und -verfahren führen.  Sobald unsere Ergebnisse die Umsetzbarkeit der Idee nachweisen, sprechen wir ausgewählte Firmen an und versuchen, sie für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Auf Wunsch begleiten wir das Unternehmen bis zur Praxisreife des Produkts oder Verfahrens. Ein aktuelles Beispiel ist die Suche nach einer reißfesten, transparenten, elastischen Folie aus nachwachsenden Rohstoffen, die sich bei Bedarf auch in der Umwelt abbauen kann. Sie soll die starren Folien ersetzen, wie man sie als knisternde Umverpackung von Blisterschalen für Obst und Gemüse kennt. Wir haben unter anderem mit einem Industriepartner eine flexible Variante aus Polymilchsäure entwickelt, die aus Mais hergestellt wird. Sie könnte bald auf den Markt kommen. 

Für die neue Folie werden also keine fossilen Rohstoffe benötigt. Aber ist sie deshalb ein ökologisch einwandfreies Produkt? Immerhin wird Mais an anderer Stelle als Nahrungs- und Futtermittel gebraucht.
Da muss ich ein wenig ausholen. Unser großes Ziel am Fraunhofer IAP ist die Wiederverwendbarkeit von Kunststoffen im Rahmen einer Kreislaufwirtschaft. Aus wertvollen Verpackungen sollen wieder wertvolle Verpackungen entstehen und keine Parkbänke. Das geht aber nur, wenn ein Produkt aus einem Material besteht und nicht aus einem Stoffgemisch. Bei den Materialien aus Polymilchsäure ist uns das durch einen Trick gelungen, den ein Team von Chemikern, Physikern und Produktdesignern am IAP ausgetüftelt hat. Wenn petrochemisch erzeugte Materialien künftig schrittweise durch Biokunststoffe ersetzt werden, hält sich der Verbrauch nachwachsender Rohstoffe in Grenzen. Unsere Polymilchsäurefolie, um beim Beispiel zu bleiben, wird die Versorgung anderer Lebensbereiche mit Mais keineswegs gefährden.

AleutBio-Team © 2022, Thomas Walter, Expedition SO293 AleutBio

© Fraunhofer IAP | Till Budde

Im Reinraum: Pilotanlage für gedruckte Elektronik am Fraunhofer IAP.

Als Fraunhofer-Institut ist das IAP gehalten, ein Drittel seiner Einkünfte aus Wirtschaftskooperationen zu generieren. Gelingt das?
Ja, das schaffen wir. In Berlin und Brandenburg gibt es sehr viele mittelständische Firmen, die sich mit Kunststoffen beschäftigen und zu vielen pflegen wir intensive Kontakte. Mit insgesamt sieben Standorten in der Region sind wir nah an unseren Kunden. Wer schnell etwas erproben will, hat es nie weit zum nächsten IAP-Technikum. Dort lassen sich neue Entwicklungen skaliert testen. Das ist sehr wichtig, denn längst nicht alles, was im Milligramm-Maßstab funktioniert, gelingt auch im Kilogramm-Bereich. In unserer Anlage zur Polymerherstellung in Schkopau können wir sogar im Tonnenmaßstab produzieren. Was unsere Kunden auch schätzen, ist die Tatsache, dass bei Fraunhofer wirtschaftlich gedacht wird. So entstehen langjährige Kooperationen, die teilweise bis in die Gründerzeit des Instituts zurückreichen. 

Für die nächste Versammlung der GDNÄ in Potsdam 2024 haben Sie das Amt des Geschäftsführers im Bereich Wirtschaft übernommen. Wie gehen Sie die Aufgabe an?
Vor einigen Tagen haben wir unser Instituts-Netzwerk aktiviert und Firmen in der Region um Unterstützung für die Versammlung gebeten. Das kann durch persönliche Teilnahme und Diskussionsbeiträge geschehen, aber auch durch Zuschüsse zu den Kosten dieser Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern. Ich bin sehr zuversichtlich, dass viele Unternehmen sich beteiligen werden. 

Was stimmt Sie so optimistisch?
Mich überzeugt zum Beispiel das einzigartige Schülerprogramm der GDNÄ und ich denke, dass es auch unsere Kooperationspartner begeistern wird. Das Programm bringt junge Leute mit ausgeprägtem Interesse an den MINT-Fächern zusammen – und die werden heute überall gesucht. Attraktiv sind auch die fachübergreifenden, gut verständlichen Vorträge und Diskussionen bei den GDNÄ-Tagungen. So etwas fehlt in der deutschen Wissenschaftslandschaft. Die Unterstützung für die Potsdamer Versammlung wird daher groß sein, da bin ich mir sicher.

Paul Mühlenhoff © Stefan Diesel

© Fraunhofer IAP | Kristin Stein

Professor Alexander Böker, Leiter des Fraunhofer IAP und Geschäftsführer Wirtschaft der GDNÄ-Versammlung 2024 in Potsdam.

Zur Person

Alexander Böker ist seit 2015 Direktor des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Polymerforschung IAP und Inhaber des Lehrstuhls für Polymerwerkstoffe und Kunststofftechnik an der Universität Potsdam. Von 2008 bis 2015 war er stellvertretender wissenschaftlicher Direktor des DWI – Leibniz-Institut für Interaktive Materialien in Aachen. Im Jahr 2015 erhielt er einen Consolidator Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC). Derzeit ist er Sprecher des Fraunhofer-Flaggschiffprojekts „Nachhaltige, simulationsgestützte biobasierte und biohybride Materialien“ sowie Leiter des Fraunhofer-Exzellenzclusters „Programmierbare Materialien“. Er fungiert zudem als Co-Sprecher des strategischen Fraunhofer-Forschungsfeldes „Bioökonomie“. Alexander Böker hat 175 von Fachkollegen begutachtete Publikationen und 16 Patentanmeldungen veröffentlicht. Mit dem Fokus auf nachhaltige Innovationen an der Schnittstelle zwischen Biologie und Polymerwissenschaft gab er dem IAP eine neue Ausrichtung. Dementsprechend konzentriert sich Bökers eigene Forschungsgruppe auf die Integration biologischer Funktionen in Polymermaterialien und die gesteuerte Selbstorganisation von kolloidalen und polymeren Systemen.

Paul Mühlenhoff © Stefan Diesel

© Fraunhofer IAP

Hauptsitz des Fraunhofer IAP im Potsdam Science Park.

Das Institut

Am Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung IAP arbeiten knapp 300 Fachleute, bei seiner Gründung im Jahr 1992 waren es gut hundert. Hervorgegangen ist das IAP aus dem renommierten Institut für Polymerenchemie (IPOC) der Akademie der Wissenschaften der DDR in Teltow-Seehof.  Am Hauptsitz des IAP in Potsdam-Golm und an sechs weiteren Standorten geht es heute um die Entwicklung nachhaltiger Materialien, Prozesse und Technologien mit dem Ziel, Energiewende und Klimaschutz, Mobilität und Gesundheitswesen voranzubringen.

Weitere Informationen: