Armin Maiwald: „Recherchieren bis der Arzt kommt“

AUSGEZEICHNET

Mit Medaille und Urkunde in der Bielefelder Stadthalle © David Ausserhofer

© David Ausserhofer / Wissenschaft im Dialog

Mit Medaille und Urkunde in der Bielefelder Stadthalle (v.l.n.r.): GDNÄ-Präsident Professor Heribert Hofer, Preisträger Armin Maiwald, Laudator Ralph Caspers und GDNÄ-Generalsekretär Professor Michael Dröscher.

„Recherchieren bis der Arzt kommt“

Seit Jahrzehnten ist Armin Maiwald das Gesicht der Sendung mit der Maus. Für seine spannenden Geschichten aus Wissenschaft und Technik zeichnete die GDNÄ den Moderator, Autor und Regisseur mit der Lorenz-Oken-Medaille 2023 aus. Überreicht wurde die Ehrung am 15. November 2023 beim Forum Wissenschaft im Dialog in Bielefeld.

Wie kommen die Perlen in die Muscheln? Wieso gibt es Jahreszeiten? Und warum ist die Milch weiß, obwohl Kühe nur grünes Gras fressen? Herr Maiwald, in der Sendung mit der Maus beantworten Sie seit gut fünfzig Jahren die Fragen von Kindern. Welche Frage wird am häufigsten gestellt?
Warum ist der Himmel blau – das ist der klare Favorit. Wir haben immer wieder neue Sendungen gemacht, um die Frage zeitgemäß zu beantworten. Die letzte Version ist von 2018.

Für die Sendung mit der Maus sind Sie und Ihr Team schon mit vielen Preisen bedacht worden. Haben Sie noch den Überblick?
Es sind inzwischen mehr als hundert nationale und internationale Preise, was uns natürlich sehr freut. Eine schöne Überraschung war letztes Jahr die Ehrendoktorwürde der RWTH Aachen für besondere Leistungen in der Bildung von Kindern und Jugendlichen.

Jetzt erhalten Sie die Lorenz-Oken-Medaille der GDNÄ. Was bedeutet Ihnen die Auszeichnung?
Ich fühle mich geehrt und freue mich über die gute Gesellschaft. Harald Lesch, Gert Scobel und Mai-Thi haben den Preis vor mir bekommen. In diesem Umfeld bin ich bestens aufgehoben.

Die Sendung mit der Maus läuft seit 52 Jahren jeden Sonntagvormittag und hat eine große, treue Fangemeinde. Was macht sie so erfolgreich?
Wir erzählen spannende Geschichten aus der Wissenschaft. Am Anfang sind wir so dumm wie alle anderen auch und mindestens genauso neugierig. Und dann wir nehmen die Zuschauer mit auf die Reise. Die geht dann zum Beispiel nach Wesseling, wo wir in der Raffinerie nach Antworten suchen auf die Frage eines Kindes: Warum ist Erdöl so wichtig? 

Wie gehen Sie im Einzelnen vor?
Wir arbeiten uns logisch voran, Schritt für Schritt, und immer nachvollziehbar. Zuerst der Wald, dann der einzelne Baum, dann die Rinde und schließlich der Borkenkäfer. Statt auf Computersimulationen setzen wir auf Versuche mit hausgemachten Modellen. Geht es zum Beispiel um thermische Verformung, dann erklären wir das beim Spaghetti-Kochen und was Filtrieren ist, veranschaulichen wir mit einem Kaffeefilter. Fremdwörter sind bei uns tabu, wir machen auch keine Interviews. Bei einem neuen Thema recherchieren wir, bis der Arzt kommt. Vielleicht ist das sogar unsere größte Stärke.

Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI). © IQOQI/M.R.Knabl

© FLASH Filmproduktion GmbH

Armin Maiwald mit Kameramann Kai von Westerman bei Aufnahmen an der Leverkusener Autobahnbrücke.

Wie lange arbeiten Sie an einem Beitrag?
Das ist sehr unterschiedlich. Einige Produktionen brauchen nur ein paar Wochen, andere dauern Jahre. In unserer längsten Recherche ging es um die Frage, warum Vitamin C so wichtig für unseren Körper ist. Bis wir da den Dreh gefunden hatten, das verständlich darzustellen, sind drei Jahre vergangen. Ein weiteres Langzeitprojekt ist der Bau der neuen Autobahnbrücke in Leverkusen. Seit 2015 begleiten wir die Arbeiten und haben ihn in mehreren Sendungen alle möglichen Fragen dazu beantwortet: Wie kommen die Seile an die Brücke? Wie werden die Pfeiler gebaut? Und wie lange hält so eine Brücke überhaupt? Ende des Jahres wird die siebte Folge ausgestrahlt.

Gibt es auch Themen, an denen Sie sich die Zähne ausbeißen?
Ja, die gibt es. Quanten zum Beispiel. Seit Jahren versuchen wir alles Mögliche, um sie mausgerecht zu erklären. Aber wir stoßen immer wieder an Grenzen der Darstellbarkeit und haben noch nicht den richtigen Kniff gefunden. Ein anderes Beispiel ist die Umwandlung von Plastikabfällen in Erdöl. Danach fragten Kinder schon in den 1970-er Jahren. Wir haben eine Versuchsanlage in der Schweiz besucht und warten noch auf eine angekündigte Anlage im Ruhrgebiet. Also ganz ausbeißen müssen wir uns die Zähne nicht, aber wir brauchen viel Geduld.

Inzwischen gibt es mehr als 2700 Sendungen mit der Maus. Wie hat das alles einmal angefangen?
In einer Kölner Kneipe. Da saß ich Ende der 1960er-Jahre mit ein paar WDR-Redakteuren zusammen. Wir diskutierten über Gott und die Welt, plötzlich war die Idee für ein neuartiges Kinderprogramm da. Einer von uns, Gert Kaspar Müntefering, hat dann im Westdeutschen Rundfunk dafür gekämpft und gewonnen. Anfangs wurde die Sendung von wenigen Leuten gemacht, heute arbeitet ein großes Team von Reportern, Moderatoren, Zeichnern und Trickfilmleuten für die Maus. Produziert wird das Ganze zum großen Teil von der Kölner Filmfirma Flash, die ich mitgegründet habe.

Wie hat sich Ihre Sendung über die Jahre verändert?
Da hat sich viel getan. Es geht schon los mit dem Namen. 1968, als wir anfingen, hieß die Sendung noch Lach- und Sachgeschichten für Fernsehanfänger. 1971 wurde sie umbenannt in Sendung mit der Maus. Am Anfang kamen Kinder in Sonntagskleidung ins Studio, um belehrt zu werden. Schon bald fanden wir das zu steif, zu trocken, zu theoretisch – ein bisschen wie in der Schule. Aber Schulfernsehen wollten wir auf keinen Fall machen. Also sind wir hinaus ins Leben gegangen, um nach Antworten auf die Kinderfragen zu suchen. So machen wir es bis heute.

AleutBio-Team © 2022, Thomas Walter, Expedition SO293 AleutBio

© FLASH Filmproduktion GmbH

Auf einer Apfelplantage nimmt der Tontechniker Christian Hennecke das Summen der Bienen auf.

Handelt es sich wirklich immer um Fragen von Kindern? Und sind die Fragen im Laufe der Zeit anders geworden?
Ja, Ausgangspunkt für unsere Sendungen sind eigentlich immer Kinderfragen. Nicht selten stecken Erwachsene dahinter, das merkt man an Sprache und Stil. Seit einigen Jahren werden die Fragen technischer. Da heißt es dann zum Beispiel: Woher merkt mein Handy, dass ich auf der Kölner Domplatte stehe? Oder: Was passiert im Internet, wenn ich eine Frage stelle? 

Kinder und Jugendliche interessieren sich, so die oft gehörte Klage, immer weniger für die Naturwissenschaften. Sehen Sie diesen Trend auch? 
Ja und nein. Ich denke da an unseren Satellitenwettbewerb,, an dem Schüler aus Bad Homburg teilnahmen. Sechs Monate lang hatte das Team einen Beobachtungssatelliten von der Größe einer Getränkedose gebaut, doch beim Start ging plötzlich nichts mehr. Die Schüler haben sich aber nicht entmutigen lassen und ruckzuck gab es einen neuen CanSat, so heißen die Minisatelliten. Der Nachbau hob dann tatsächlich ab. Das ist ein tolles Beispiel für naturwissenschaftliche Begeisterung. Im schulischen Unterricht sieht das oft anders aus. Da sollen alle mitgenommen werden, auch die Uninteressierten, und das kann das Niveau der Klasse ganz schön senken. Die Lehrer werden mit dem Problem alleingelassen, ihnen ist das nicht vorzuwerfen. Eine perfekte Lösung sehe ich derzeit nicht. 

Forschungseinrichtungen aller Art bemühen sich heute, ihre Ergebnisse möglichst allgemeinverständlich unters Volk zu bringen. Gelingt ihnen das?
Nur zum Teil. Ich höre und lese zu viele Fachbegriffe und viel zu viel Englisch. Da spricht einer vom CEO, die andere von Convenience-Produkten und beide denken, dass alle wissen, was gemeint ist. Sie irren sich, denn vielen Leuten sagen die Begriffe rein gar nichts. Dabei hat die Öffentlichkeit ein Recht auf Mitwissen – sie sollte verstehen können, was Wissenschaftler mit Steuergeldern machen.

Wie erreichen Forscherinnen und Forscher die Öffentlichkeit am besten?
Sehr wirkungsvoll sind bildhafte Vergleiche für Fachbegriffe. In unserer Sendung über Vitamin C sprechen wir zum Beispiel von Körperpolizei, wenn es um Makrophagen geht. Solche Vergleiche kann man sich im Vorhinein überlegen und im Gespräch mit Fachfremden testen. Wer Kinder zu Hause hat, kann ihnen erzählen, worum es gerade in der Arbeit geht. Wenn die dann sagen, ach so ist das, jetzt weiß ich, was Du machst, ist man auf dem richtigen Weg. Der Aha-Effekt ist wichtig – bei Kindern, aber auch bei Erwachsenen. 

War Ihnen die GDNÄ eigentlich ein Begriff, als Sie von der Auszeichnung erfuhren? 
Nein, ich habe zum ersten Mal von ihr gehört. Natürlich habe ich gleich nachgeforscht. Mein erster Eindruck: Die GDNÄ muss ein ziemlich solides Unternehmen zu sein. Zweihundert Jahre, dafür braucht man eine gute Substanz. 

Mit 83 Jahren sind andere längst im Ruhestand. Sie arbeiten weiter. Was treibt Sie an?
Erstens habe ich nichts anderes gelernt, und zweitens macht es mir nach wie vor Spaß. Bei jeder neuen Geschichte  stellt sich die Frage: Wie erzähle ich das jetzt wieder spannend und verständlich? Manchmal muss ich die grauen Zellen im Gehirn regelrecht auskochen, um gute Antworten zu finden. Leicht ist das nicht immer, aber es hält fit.  

Der Preisträger

Armin Maiwald wurde 1940 in Köln geboren. Über seine Kindheit berichtet er in der vielfach ausgezeichneten „Nachkriegs-Maus“, eine Sendung, die in aktualisierter Fassung zuletzt 2020 ausgestrahlt wurde. Maiwalds Familie wurde dreimal ausgebombt. Nach Stationen in Niederschlesien, Uffing am Staffelsee und Neuss kehrte Maiwald 1953 nach Köln zurück. Dort studierte er Theaterwissenschaft, Germanistik und Philosophie und begann 1963 als Regieassistent beim WDR in Köln. Armin Maiwald gehört zu den Erfindern der Sendung mir der Maus – zusammen mit Gert Kaspar Müntefering, Monika Paetow und der Künstlerin Isolde Schmitt-Menzel, die das Logo der Maus entwarf. Für die Moderation und Gestaltung der Sendung hat Maiwald unter anderem das Bundesverdienstkreuz und den Grimme-Preis erhalten. 2023 zeichnete ihn die GDNÄ mit der Lorenz-Oken-Medaille aus. Zwei Schulen in Monheim-Baumberg und in Radevormwald tragen seinen Namen. Armin Maiwald ist seit 1965 verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

Armin Maiwald © Flash

© David Ausserhofer / Wissenschaft im Dialog

Die mit viel Beifall bedachte Laudatio auf den Preisträger hielt sein Fernsehkollege Ralph Caspers, der seit 1999 Teil des Maus-Teams ist.
Lorenz Oken Medaille © GDNÄE
Lorenz Oken Medaille © GDNÄE

© GDNÄ

Seit 1984 verleiht die Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte ihre Lorenz-Oken-Medaille an Persönlichkeiten, die sich in besonderer Weise um die Wissenschaftskommunikation verdient gemacht haben. Die Auszeichnung erinnert an den Gründer der GDNÄ, den Naturforscher Lorenz Oken, der 1822 erstmals eine Versammlung von Naturforschern und Ärzten in Leipzig einberief. Die Fotos zeigen Vorder- und Rückseite der vergoldeten Medaille für Armin Maiwald.

Wissenschaft im Dialog

Das Forum Wissenschaftskommunikation ist die größte Fachtagung für Wissenschaftskommunikation im deutschsprachigen Raum. Die Tagung wird jährlich veranstaltet von Wissenschaft im Dialog (WiD), der gemeinsamen Organisation der deutschen Wissenschaft für Wissenschaftskommunikation. Das Forum Wissenschaftskommunikation 2023 findet vom 15. bis 17. November in Bielefeld statt. Der thematische Schwerpunkt lautet „Kontrovers, aber fair – Impulse für eine neue Debattenkultur“. Die GDNÄ ist langjähriges Mitglied von WiD und verleiht ihre Lorenz-Oken-Medaille alle zwei Jahre bei den Forumstagungen.

Weitere Informationen:

Armin Maiwald © Flash

© FLASH Filmproduktion GmbH

Armin Maiwald bei den Dreharbeiten zur Sachgeschichte „Reifenherstellung“. Zur Erklärung wurde ein Kuchen mit Reifenprofil gebacken.

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© David Ausserhofer / Wissenschaft im Dialog

Armin Maiwald mit Fans nach der Preisverleihung.  

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© David Ausserhofer / Wissenschaft im Dialog

Armin Maiwald im Interview mit Luise Laakmann und Thuy Anh Nguyen von „Wissenschaft im Dialog“.
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© David Ausserhofer / Wissenschaft im Dialog

Publikumsmagnet: Vollbesetzter Saal bei der der Preisfeier in der Bielefelder Stadthalle.

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© David Ausserhofer / Wissenschaft im Dialog

Armin Maiwald bei der Feier zur Preisverleihung.

Die GDNÄ gratuliert KI-Pionier Professor Wahlster zur Aufnahme in die Hall of Fame der deutschen Forschung

Die GDNÄ gratuliert KI-Pionier Professor Wahlster zur Aufnahme in die Hall of Fame der deutschen Forschung

Der Informatiker Professor Wolfgang Wahlster, wurde am 12. Oktober im New Institute in Hamburg in die Hall of Fame der deutschen Forschung aufgenommen. Die Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (GDNÄ) gratuliert ihrem früheren Präsidenten und langjährigen Vorstandsmitglied zu dieser hohen Ehre. In die Hall of Fame wurden seit ihrer Gründung im Jahr 2009 erst 30 Persönlichkeiten, darunter neun Nobelpreisträger, berufen. Mit ihrer Lebensleistung haben sie einen herausragenden Beitrag zur Weiterentwicklung der Forschung geleistet und den Wirtschaftsstandort Deutschland im internationalen Wettbewerb gestärkt. 

Der Präsident der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte, Professor Heribert Hofer, gratuliert Professor Wolfgang Wahlster herzlich zur Aufnahme in die Hall of Fame der deutschen Forschung. „Wir freuen uns sehr über diese hohe Ehre für Wolfgang Wahlster, der Präsident der GDNÄ in den Jahren 2017 und 2018 war.“ Hofer schließt sich den Worten von Professorin Margret Wintermantel an, die Wolfgang Wahlster in ihrer Laudatio als einen Wissenschaftler beschrieb, der schon sehr früh die Verbindung zwischen Informatik und Humanwissenschaften, speziell zu Psychologie und Linguistik, gesehen und gestärkt hat. „Sein Verständnis von Human-Computer- Interaction hat neue Perspektiven eröffnet und unser Denken über den vielfältigen Nutzen der KI geprägt“, sagte die Laudatorin bei der Feierstunde in Hamburg.

„Die Berufung in die Hall of Fame ist eine große Ehre und ich danke den Initiatoren, der Jury und der Laudatorin sehr für diese großartige Anerkennung meiner wissenschaftlichen Arbeit der letzten 45 Jahre“, sagte Wolfgang Wahlster, Gründungsdirektor und langjähriger CEO des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI). Er fügte hinzu: „Gerade in der heutigen Zeit ist es wichtig, dass bei dem Thema, das mich als Forscher seit Jahrzehnten fasziniert, der maschinellen Sprachverarbeitung, eine solche Ehrung die Wichtigkeit der Fähigkeit zum tiefen Verstehen für Sprachdialogsysteme unterstreicht. Mensch-Technik-Interaktion sollte ein Niveau erreichen, auf dem Menschen und Maschinen nicht nur Hand in Hand zusammenarbeiten, sondern auch Dialoge auf Augenhöhe führen können. KI wird zunehmend in Entscheidungsprozesse einfließen. Diese Entscheidungen müssen hinterfragt und von den Computern im Dialog verlässlich und nachvollziehbar erklärt werden können.“

Schon einmal wurde einem GDNÄ-Präsidenten diese Ehre zuteil: Der Biochemiker und Wissenschaftsmanager Professor Ernst-Ludwig Winnacker – er stand in den Jahren 1999 und 2000 an der Spitze der GDNÄ – ist seit 2017 Mitglied in der Hall of Fame der Deutschen Forschung.

Wahlster © GDNÄE

© GDNÄ

Professor Wolfgang Wahlster

Zur Person

Als einziger Deutscher wird Wolfgang Wahlster bereits seit 2004 auf der Wall of Fame im Heinz Nixdorf MuseumsForum als Pionier der digitalen Welt im Bereich Künstliche Intelligenz gewürdigt. Ausschlaggebend waren seine Arbeiten zum Dolmetschsystem „Verbmobil“. Wahlster ist Mitglied der Königlich-Schwedischen Nobelpreis-Akademie in Stockholm, der Deutschen Nationalakademie Leopoldina, der Akademie der Wissenschaften und Literatur in Mainz, der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften sowie der Tschechischen Akademie der Technikwissenschaften. Für seine Forschungserfolge wurden ihm vom Bundespräsidenten der Deutsche Zukunftspreis, das Verdienstkreuz erster Klasse und das Große Verdienstkreuz verliehen. Unter den weiteren Auszeichnungen sind fünf Ehrendoktorwürden von Universitäten in Darmstadt, Linköping, Maastricht, Prag und Oldenburg. Er ist Fellow der AAAI, EurAI und GI und diente als gewählter Präsident der drei größten weltweiten und europäischen KI- Verbände (IJCAII, EurAI und ACL) sowie der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (GDNÄ). Wolfgang Wahlster ist seit 2019 Ehrenbürger seiner Geburtsstadt Saarbrücken, Träger des Saarländischen Verdienstordens und Saarlandbotschafter.

Alexander Böker: Das Schülerprogramm ist einzigartig und überzeugend

„Das Schülerprogramm ist einzigartig und überzeugend“

Alexander Böker, Polymerforscher und Direktor des Potsdamer Fraunhofer-IAP, über den Chemie-Nobelpreis 2023, nachhaltige Innovationen aus seinem Institut und gute Aussichten für die GDNÄ.

Herr Professor Böker, vor wenigen Tagen ist der Chemie-Nobelpreis für grundlegende Beiträge zur Nanotechnologie vergeben worden. Hat das Nobelkomitee richtig entschieden?
Ja, absolut. Die Forschung rund um nanometergroße Quantenpunkte ist von enormer Bedeutung für unsere moderne Welt. Die winzigen Partikel sind aus vielen Alltagsanwendungen nicht mehr wegzudenken, etwa in Computer- und Fernsehbildschirmen, in Leuchtdioden, Solarzellen oder in der Medizin. Und mit den drei Preisträgern Louis Brus, Alexei Ekimov und Moungi Bawendi sind auch die Richtigen ausgezeichnet worden. Aber wie es oft beim Nobelpreis ist: Auch diesmal gibt es ein paar Kollegen, die ihn vielleicht gleichermaßen verdient hätten. Leider erlauben die Statuten höchstens drei Laureaten pro Fachrichtung und das wird sich wohl so schnell nicht ändern. 

Sie haben selbst viele Jahre in diesem Bereich geforscht und an Ihrem Potsdamer Institut beschäftigen sich einige Arbeitsgruppen mit Nanopartikeln. Um welche Themen geht es dabei?
Am Fraunhofer IAP  wird zum Beispiel ein Schnelltest auf Brustkrebs entwickelt. Dabei heften sich hell leuchtende Quantenpunkte an Krebszellen in einer Blutprobe und markieren sie. Mit der Methode lassen sich Tumore in der Frühphase aufspüren und auf ihrem Weg im Körper verfolgen, das wissen wir bereits. Jetzt geht es darum, das Verfahren noch zielgenauer zu machen, um Fehlalarme zu vermeiden und längerfristig in die klinische Erprobung zu bringen. Dazu arbeiten wir mit dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf zusammen. Zu verdanken haben wir diese Forschungsrichtung einem weltweit anerkannten Pionier der deutschen Nanopartikelforschung, Professor Horst Weller von der Universität Hamburg. Er ist der Gründer des Centrums für Angewandte Nanotechnologie, kurz Fraunhofer CAN, das seit 2018 ein Fraunhofer-Zentrum ist und zum Fraunhofer IAP gehört. 

Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI). © IQOQI/M.R.Knabl

© Fraunhofer IAP | Till Budde

Synthesetechnikum des Fraunhofer-Pilotanlagenzentrums PAZ für die Polymerherstellung und -verarbeitung in Schkopau.

Gibt es weitere Innovationen aus Ihrem Haus, die mit dem diesjährigen Chemienobelpreis zu tun haben?
Da wäre zum Beispiel ein Verfahren zur Kodierung hochwertiger Waren mit Quantenpunkten. Sie werden auf die Verpackung aufgebracht und dienen der eindeutigen Identifikation und Qualitätskontrolle. Das Verfahren erfordert keine Internetverbindung und eignet sich damit auch für den Einsatz in ärmeren Weltgegenden. Aktuell verhandeln wir mit einer Firma, die unseren Prototypen weiterentwickeln und in Kleinserie testen möchte, um das ausgereifte Produkt dann auf den Markt zu bringen. Nach diesem Muster gehen wir oft vor, das ist ein klassischer Weg bei Fraunhofer. 

Bitte beschreiben Sie diesen Weg etwas genauer.
Startpunkt ist eine gute Idee, die oft aus dem Fraunhofer-Team kommt. Es folgt intensive Grundlagenforschung in unseren Laboren. Sie kann zu Prototypen für innovative Materialien und Produkte oder zu neuen Herstellungsprozessen und -verfahren führen.  Sobald unsere Ergebnisse die Umsetzbarkeit der Idee nachweisen, sprechen wir ausgewählte Firmen an und versuchen, sie für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Auf Wunsch begleiten wir das Unternehmen bis zur Praxisreife des Produkts oder Verfahrens. Ein aktuelles Beispiel ist die Suche nach einer reißfesten, transparenten, elastischen Folie aus nachwachsenden Rohstoffen, die sich bei Bedarf auch in der Umwelt abbauen kann. Sie soll die starren Folien ersetzen, wie man sie als knisternde Umverpackung von Blisterschalen für Obst und Gemüse kennt. Wir haben unter anderem mit einem Industriepartner eine flexible Variante aus Polymilchsäure entwickelt, die aus Mais hergestellt wird. Sie könnte bald auf den Markt kommen. 

Für die neue Folie werden also keine fossilen Rohstoffe benötigt. Aber ist sie deshalb ein ökologisch einwandfreies Produkt? Immerhin wird Mais an anderer Stelle als Nahrungs- und Futtermittel gebraucht.
Da muss ich ein wenig ausholen. Unser großes Ziel am Fraunhofer IAP ist die Wiederverwendbarkeit von Kunststoffen im Rahmen einer Kreislaufwirtschaft. Aus wertvollen Verpackungen sollen wieder wertvolle Verpackungen entstehen und keine Parkbänke. Das geht aber nur, wenn ein Produkt aus einem Material besteht und nicht aus einem Stoffgemisch. Bei den Materialien aus Polymilchsäure ist uns das durch einen Trick gelungen, den ein Team von Chemikern, Physikern und Produktdesignern am IAP ausgetüftelt hat. Wenn petrochemisch erzeugte Materialien künftig schrittweise durch Biokunststoffe ersetzt werden, hält sich der Verbrauch nachwachsender Rohstoffe in Grenzen. Unsere Polymilchsäurefolie, um beim Beispiel zu bleiben, wird die Versorgung anderer Lebensbereiche mit Mais keineswegs gefährden.

AleutBio-Team © 2022, Thomas Walter, Expedition SO293 AleutBio

© Fraunhofer IAP | Till Budde

Im Reinraum: Pilotanlage für gedruckte Elektronik am Fraunhofer IAP.

Als Fraunhofer-Institut ist das IAP gehalten, ein Drittel seiner Einkünfte aus Wirtschaftskooperationen zu generieren. Gelingt das?
Ja, das schaffen wir. In Berlin und Brandenburg gibt es sehr viele mittelständische Firmen, die sich mit Kunststoffen beschäftigen und zu vielen pflegen wir intensive Kontakte. Mit insgesamt sieben Standorten in der Region sind wir nah an unseren Kunden. Wer schnell etwas erproben will, hat es nie weit zum nächsten IAP-Technikum. Dort lassen sich neue Entwicklungen skaliert testen. Das ist sehr wichtig, denn längst nicht alles, was im Milligramm-Maßstab funktioniert, gelingt auch im Kilogramm-Bereich. In unserer Anlage zur Polymerherstellung in Schkopau können wir sogar im Tonnenmaßstab produzieren. Was unsere Kunden auch schätzen, ist die Tatsache, dass bei Fraunhofer wirtschaftlich gedacht wird. So entstehen langjährige Kooperationen, die teilweise bis in die Gründerzeit des Instituts zurückreichen. 

Für die nächste Versammlung der GDNÄ in Potsdam 2024 haben Sie das Amt des Geschäftsführers im Bereich Wirtschaft übernommen. Wie gehen Sie die Aufgabe an?
Vor einigen Tagen haben wir unser Instituts-Netzwerk aktiviert und Firmen in der Region um Unterstützung für die Versammlung gebeten. Das kann durch persönliche Teilnahme und Diskussionsbeiträge geschehen, aber auch durch Zuschüsse zu den Kosten dieser Veranstaltung mit mehreren hundert Teilnehmern. Ich bin sehr zuversichtlich, dass viele Unternehmen sich beteiligen werden. 

Was stimmt Sie so optimistisch?
Mich überzeugt zum Beispiel das einzigartige Schülerprogramm der GDNÄ und ich denke, dass es auch unsere Kooperationspartner begeistern wird. Das Programm bringt junge Leute mit ausgeprägtem Interesse an den MINT-Fächern zusammen – und die werden heute überall gesucht. Attraktiv sind auch die fachübergreifenden, gut verständlichen Vorträge und Diskussionen bei den GDNÄ-Tagungen. So etwas fehlt in der deutschen Wissenschaftslandschaft. Die Unterstützung für die Potsdamer Versammlung wird daher groß sein, da bin ich mir sicher.

Paul Mühlenhoff © Stefan Diesel

© Fraunhofer IAP | Kristin Stein

Professor Alexander Böker, Leiter des Fraunhofer IAP und Geschäftsführer Wirtschaft der GDNÄ-Versammlung 2024 in Potsdam.

Zur Person

Alexander Böker ist seit 2015 Direktor des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Polymerforschung IAP und Inhaber des Lehrstuhls für Polymerwerkstoffe und Kunststofftechnik an der Universität Potsdam. Von 2008 bis 2015 war er stellvertretender wissenschaftlicher Direktor des DWI – Leibniz-Institut für Interaktive Materialien in Aachen. Im Jahr 2015 erhielt er einen Consolidator Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC). Derzeit ist er Sprecher des Fraunhofer-Flaggschiffprojekts „Nachhaltige, simulationsgestützte biobasierte und biohybride Materialien“ sowie Leiter des Fraunhofer-Exzellenzclusters „Programmierbare Materialien“. Er fungiert zudem als Co-Sprecher des strategischen Fraunhofer-Forschungsfeldes „Bioökonomie“. Alexander Böker hat 175 von Fachkollegen begutachtete Publikationen und 16 Patentanmeldungen veröffentlicht. Mit dem Fokus auf nachhaltige Innovationen an der Schnittstelle zwischen Biologie und Polymerwissenschaft gab er dem IAP eine neue Ausrichtung. Dementsprechend konzentriert sich Bökers eigene Forschungsgruppe auf die Integration biologischer Funktionen in Polymermaterialien und die gesteuerte Selbstorganisation von kolloidalen und polymeren Systemen.

Paul Mühlenhoff © Stefan Diesel

© Fraunhofer IAP

Hauptsitz des Fraunhofer IAP im Potsdam Science Park.

Das Institut

Am Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung IAP arbeiten knapp 300 Fachleute, bei seiner Gründung im Jahr 1992 waren es gut hundert. Hervorgegangen ist das IAP aus dem renommierten Institut für Polymerenchemie (IPOC) der Akademie der Wissenschaften der DDR in Teltow-Seehof.  Am Hauptsitz des IAP in Potsdam-Golm und an sechs weiteren Standorten geht es heute um die Entwicklung nachhaltiger Materialien, Prozesse und Technologien mit dem Ziel, Energiewende und Klimaschutz, Mobilität und Gesundheitswesen voranzubringen.

Weitere Informationen:

Martin Lohse Aufregende Zeiten für die Wissenschaft

„Aufregende Zeiten für die Wissenschaft“

Martin Lohse, Präsident der GDNÄ, lädt zur 200-Jahr-Feier in Leipzig ein.

Herr Professor Lohse, Anfang September 2022 wird die GDNÄ 200 Jahre alt. Wie wird das gefeiert?
200 Jahre: Das ist wirklich ein bedeutendes und wunderbares Jubiläum. Es sind 200 Jahre, in denen sich die Wissenschaft in der Welt und in Deutschland in unglaublicher Weise entwickelt hat – und in vielen Fällen aus der Mitte der GDNÄ heraus. Wir wollen das glanzvoll feiern: Zum Geburtstag und am Gründungsort Leipzig wird es im September eine große und feierliche Jubiläumstagung geben. Sie geht über vier Tage und findet in der wunderschön modernisierten Art-déco-Kongresshalle am Zoo statt.

Wer ist zur Festversammlung eingeladen?
Es sind sehr herzlich alle Mitglieder, die Teilnehmer des Schülerprogramms und ehemaligen Stipendiaten sowie zu etlichen Programmpunkten auch die Leipziger Öffentlichkeit eingeladen. Wir hoffen, dass der Bundespräsident, der sächsische Ministerpräsident und der Leipziger Oberbürgermeister uns die Ehre erweisen. Hochrangige Wissenschaftler aus dem In- und Ausland, darunter Nobelpreisträger, werden Vorträge halten und mit uns feiern. Angehende Wissenschaftsjournalistinnen und Wissenschaftsjournalisten sowie regionale und überregionale Medien werden uns öffentlichkeitswirksam begleiten.

Als Präsident konnten Sie das Schwerpunktthema der Versammlung auswählen. Warum haben Sie sich für „Wissenschaft im Bild“ entschieden?
Dieses Thema hat eine allgemeine, aber auch eine ganz persönliche Komponente. Beides wird man in der Tagung finden. Bilder haben schon immer zentrale Botschaften in und aus der Wissenschaft transportiert. Denken wir etwa an die vielen Zeichnungen, die Alexander von Humboldt auf seinen Reisen angefertigt hat, an die spektakulären Fotos von der MOSAiC-Expedition am Nordpol oder die fantastischen Aufnahmen der Weltraumteleskope. In meiner eigenen Forschung entstehen faszinierende Detailaufnahmen mit neuartigen Mikroskopen: Bilder von einzelnen Biomolekülen und aus dem Innersten von Zellen und Organismen. In diesem großen Spektrum werden wir uns bei der Jubiläumstagung auf den neuesten Stand bringen lassen.

Saarbrücken 2018 © Robertus Koppies
Der letzte Kuss: Das Bild zeigt eine Zelle, die sich gerade in zwei Tochterzellen teilt. Die Zellkerne sind in Blau gehalten, die Mitochondrien in Grün und die Mikrotubuli in Orange. Aufnahme mit optischer Höchstauflösungs-Mikroskopie (Structured Illumination Microscopy). © Markus Sauer, Universität Würzburg

Die Vorbereitungen für das große Jubiläum laufen auf Hochtouren. Lassen Sie uns einen Blick hinter die Kulissen werfen!
Die Vorbereitungen zu den Tagungen der GDNÄ dauern immer länger als ein Jahr: Themen und Sprecher werden diskutiert und gefunden, die Tagungslogistik wird geplant, ein Rahmenprogramm organisiert. Mit den Planungen für die Jubiläumstagung haben wir vor gut zwei Jahren angefangen, weil alles noch schöner werden soll als sonst. Wir haben viele hervorragende Sprecherinnen und Sprecher aus aller Welt gewonnen. Die Tagungsräume im Kongresszentrum geben der Versammlung einen prächtigen Rahmen, die Zusammenarbeit mit dem Zoo ist sehr eng und engagiert und bietet viele Highlights, und das Rahmenprogramm wird die Tagung besonders reizvoll machen. 

Lassen Sie uns den Blick noch einmal zurückwenden. 1822 bis 2022, das ist viel Zeit: Wie hat die GDNÄ es geschafft, so lange zu überdauern?
Die zwei Jahrhunderte ihres Bestehens sind ganz ohne Zweifel die aufregendsten Zeiten, die die Wissenschaft je erlebt hat. Nie zuvor waren die Veränderungen in der Wissenschaft, aber auch die Veränderungen durch die Wissenschaft so groß – und zwar auf allen Gebieten, für die die GDNÄ steht. Viele Fachdisziplinen wurden in dieser Zeit geboren und haben sich in jeweils eigene Welten entwickelt. Die GDNÄ stand immer wieder im Zentrum der Entwicklungen und aus ihrer Mitte haben sich viele Fachgesellschaften entwickelt, von denen etliche heute weitaus größer sind als die GDNÄ selbst. Einige Alleinstellungsmerkmale hat sich die GDNÄ jedoch bis auf den heutigen Tag bewahrt. 

Welche Besonderheiten sind das?
Drei Aspekte charakterisieren die GDNÄ und machen sie in der Zusammenschau einzigartig: Erstens, die GDNÄ pflegt das interdisziplinäre Gespräch über ein weites Fächerspektrum hinweg – in einer Weise, wie es in den einzelnen Fachgesellschaften nicht stattfinden kann. Zweitens, die GDNÄ betreibt ein Schülerprogramm mit großem Zukunftspotenzial. Und drittens wendet sich die GDNÄ auch an die breite Öffentlichkeit: mit ihren Aktivitäten in der Wissenschaftskommunikation, über ihre Homepage und bei Versammlungen auch direkt an die Menschen in Stadt und Region. Alle drei Aspekte werden wir in Leipzig besonders herausstellen.

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Blick in den Großen Saal des aufwändig sanierten Gründerzeitgebäude aus dem Jahr 1900. Insgesamt hat das Haus 15 Säle und Räume sowie Foyers und Lounges. © Leipziger Messe

Welche Rolle spielen junge Leute bei der Leipziger Tagung?
Wir laden mehr als zweihundert junge Menschen ein: Ausgewählte Schülerinnen und Schüler aus der Region, Kollegiaten, Preisträger der Wettbewerbe „Jugend forscht“ und „Jugend präsentiert“. Es wird Vorbereitungs-Workshops geben und eine Vorstellung der Ergebnisse auf der Eröffnungsveranstaltung. Dabei sollen die Erwartungen junger Menschen an die Wissenschaft erarbeitet und formuliert werden. Mit diesem Programm, das seit Langem überaus erfolgreich von Herrn Mühlenhoff verantwortet wird, wollen wir junge Menschen ansprechen und ihnen Wege in die Wissenschaft eröffnen. Und natürlich auch in die GDNÄ.

Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat gezeigt, wie wichtig der Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit ist. Wie engagiert die GDNÄ sich in diesem Bereich?
Die Corona-Pandemie hat Stärken aber auch Schwächen unserer Gesellschaft überaus deutlich gemacht. Zu den Stärken gehören zahlreiche schnell erarbeitete Forschungsergebnisse, die vor allem zur Bereitstellung von Impfstoffen in weniger als einem Jahr führten. Deutlich wurde aber auch, wie schwer es ist, mit Forschungswissen die gesamte Bevölkerung zu erreichen, und wie viel Grundwissen nötig ist, um in Gespräche über die Krankheit und sinnvolle Gegenmaßnahmen eintreten zu können. Die GDNÄ informiert darüber auf ihrer Homepage, sie hat sich frühzeitig an der Diskussion über Risiko-adaptierte Maßnahmen beteiligt und zusammen mit Wissenschaftsakademien und Forschungseinrichtungen versucht, die Politik dafür zu gewinnen. Einige ihrer Mitglieder wirkten zum Beispiel an einem Symposium der Hamburger Wissenschaftsakademie mit, das infektionsmedizinische Fragen im gesellschaftlichen Kontext untersuchte. Gemeinsam mit deutschen Wissenschaftsakademien wollen wir uns nun zunehmend der Nachlese widmen und uns zwei großen Fragen stellen: Wie haben wir als Gesellschaft und wie hat die Wissenschaft in dieser Krise bestanden? Und was können wir für die Zukunft daraus lernen – für künftige Pandemien und andere Notsituationen, aber auch für die Wissenschaftskommunikation?

Welche Rolle spielt die Corona-Pandemie bei der Festversammlung?
Corona wird auf der Leipziger Tagung nicht im Mittelpunkt stehen. Es ist schon so viel dazu gesagt worden, dass dies uns nicht sinnvoll erschien. Aber die RNA-Medizin, die uns die bisher besten Impfstoffe gebracht hat und ganz neue Chancen für unser Gesundheitswesen eröffnet, wird in Leipzig ein zentrales Thema der Sitzung „Medizin“ am Sonntagvormittag sein.

Was wünschen Sie der GDNÄ für die nächsten Jahre?
Von allen Wünschen, die ich für die GDNÄ habe, ist einer zentral: dass sie auch weiterhin eine wichtige Rolle im Gespräch der Wissenschaften untereinander, mit der Öffentlichkeit und vor allem mit jungen Menschen spielen möge. Und das für 200 weitere Jahre!

Saarbrücken 2018 © Robertus Koppies

Prof. Dr. Martin Lohse © Bettina Flitner

Zur Person
Seit 2019 ist Prof. Dr. Martin Lohse Präsident der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte (GDNÄ). In diesem Ehrenamt ist er verantwortlich für das Programm der Versammlung zur Feier des 200-jährigen Bestehens der Wissenschaftsvereinigung. Im Hauptberuf ist der renommierte Pharmakologe seit 1993 Professor an der Universität Würzburg und seit 2020 Chairman des Inkubators ISAR Bioscience Institut in Planegg/München. Schwerpunkt seiner Forschung sind Rezeptoren und ihre Signale; sie stellen die wichtigsten Angriffspunkte für Arzneimittel dar.
Martin Lohse studierte Medizin und Philosophie an den Universitäten Göttingen, London und Paris und promovierte in Göttingen an der Abteilung für Neurobiologie des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie. Nach Stationen bei Ulrich Schwabe in der Pharmakologie in Bonn und Heidelberg forschte er im Labor des späteren Nobelpreisträgers Bob Lefkowitz an der Duke University, wo er Assistant Professor wurde. Von 1990 bis 1993 leitete er eine Arbeitsgruppe am von Ernst-Ludwig Winnacker aufgebauten Genzentrum in Martinsried/München. In Würzburg gründete er 2001 das Rudolf-Virchow-Zentrum, eines der ersten drei DFG-Forschungszentren, und die Graduiertenschulen der Universität. Nach sechs Jahren als Vizepräsident für Forschung an der Universität Würzburg in den Jahren 2009 bis 2015 war er von 2016 bis 2019 Vorstandsvorsitzender des Max-Delbrück-Centrums in der Helmholtz-Gemeinschaft in Berlin. Er hat zahlreiche Auszeichnungen erhalten, unter anderem den Leibniz-Preis der DFG, den Ernst-Jung-Preis für Medizin und zwei Grants des European Research Council. Vier Biotechnologiefirmen hat er mitgegründet. Er hat zahlreiche Ehrenämter in der Wissenschaft im In- und Ausland übernommen; so war er von 2009 bis 2019 Vizepräsident der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina.

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Die Kongresshalle am Zoo Leipzig ist ein modernes Tagungszentrum in historischem Ambiente. © Leipziger Messe

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