„Die Quantentechnologie entwickelt sich stürmisch“

Für seine Leistungen auf dem Gebiet der Quantenphysik erhält Anton Zeilinger den Physiknobelpreis 2022. Wie Österreich zu einem Hotspot dieser Forschungsrichtung wurde und wie man jetzt in Deutschland aufholen will, schildert in diesem Interview Professor Rainer Blatt. Er ist vielen GDNÄ-Mitgliedern durch seine Vorträge und Publikationen bekannt und arbeitet seit Langem eng mit Anton Zeilinger zusammen. 

Herr Professor Blatt, wie viele Interviews haben Sie seit Anfang Oktober gegeben?
Es werden fünf oder sechs gewesen sein. Die Anfragen kamen von nationalen und internationalen Agenturen und Zeitungen. 

Um was ging es in den Gesprächen?
Anlass war natürlich der Nobelpreis für die Quantenforschung, der meinem Kollegen Anton Zeilinger zusammen mit dem Franzosen Alain Aspect und dem US-Amerikaner John Clauser zugesprochen wurde. Das Themenspektrum reichte von Fragen der Grundlagenforschung bis zu meiner Verbindung zu Anton Zeilinger.  

Das interessiert auch uns: Wie lange kennen Sie Anton Zeilinger und was verbindet Sie beide?
Wir kennen uns seit 35 Jahren und haben bald nach meiner Ankunft an der Universität Innsbruck im Jahr 1995 mit unserer Zusammenarbeit begonnen. Uns verbindet die quantenphysikalische Forschung, wobei sich unsere Ansätze unterscheiden, aber gut ergänzen. Anton Zeilinger widmet sich den Grundlagen der Quantenmechanik und arbeitet mit Photonen, ich habe mich auf Atome und Ionen spezialisiert und nehme stärker die Anwendungen in den Blick. Zusammen gründeten wir mit Peter Zoller und weiteren Kollegen im Jahr 2003 in Innsbruck das Institut für Quantenoptik und Quanteninformation, kurz: IQOQI. Unser Vorbild war das berühmte JILA, ein US-Institut für Atomphysik und Astrophysik in Boulder, Colorado. Dort hatten Peter Zoller und ich wunderbare Forschungsaufenthalte verbracht. Zurück in Österreich konnten wir die hiesige Akademie der Wissenschaften für den Aufbau einer ähnlichen Institution in unserem Land gewinnen. Inzwischen hat sich das IQOQI, das kann man ohne Übertreibung sagen, zu einem Leuchtturm der Forschung entwickelt.

Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI). © IQOQI/M.R.Knabl

© IQOQI/M.R.Knabl

Exklusive Lage den Tiroler Alpen: das Institut für Quantenoptik und Quanteninformation (IQOQI).

Wie können wir uns das Institut vorstellen?
Wir arbeiten an zwei Standorten: Hier in Innsbruck forschen inzwischen mehr als 200 Wissenschaftler aus über 20 Ländern, ähnlich groß und international ist das Team um den Leiter Markus Aspelmeyer in Wien. Trotz unterschiedlicher Forschungsschwerpunkte arbeiten wir eng zusammen und unsere Arbeitsgruppen treffen sich regelmäßig, um sich auszutauschen. In den ersten Jahren habe ich das Institut als Gründungsdirektor geleitet, seither fungiere ich als wissenschaftlicher Direktor. 

Könnte man das IQOQI demnach als Keimzelle für den Quantenphysik-Nobelpreis 2022 bezeichnen?
Durchaus. Zwar sind viele der mit dem Preis gewürdigten Arbeiten bereits vor der Gründung des Instituts entstanden, das IQOQI hat jedoch die Sichtbarkeit der Quantenphysik in Österreich sehr befördert.  

Welche Bedeutung hat die Auszeichnung für Ihr Fachgebiet in Österreich?
Der Nobelpreis ist auch eine Anerkennung für die immense Aufbauleistung der letzten 25 Jahre. Sie hat dazu geführt, dass in der Quanteninformation hierzulande eine kritische Masse entstanden ist. Mit seinen Pro-Kopf-Ausgaben für diesen Bereich ist Österreich weltweit führend. Dafür gesorgt haben unsere Förderagenturen, allen voran der Wissenschaftsfonds FWF, das Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung und die Österreichische Akademie der Wissenschaften – ihnen gilt unser ganz besonderer Dank. 

Wie steht es um die praktische Anwendung der Forschungsergebnisse, etwa im Bereich Quantencomputer?
Es gibt erste Prototypen, die mit einigen zehn Quantenbits, sogenannten Qubits, rechnen können. Das ist sehr viel, wenn man bedenkt, dass ein Quantencomputer im Prinzip schon mit fünfzig Qubits die Leistungsfähigkeit eines heutigen Supercomputers erreichen kann. Voraussetzung ist allerdings, dass die Quantenrechnungen sich beliebig lange fortsetzen lassen und dabei keinerlei Fehler passieren. Davon sind wir noch weit entfernt, doch an Fehlerkorrektur und Skalierbarkeit wird derzeit weltweit intensiv gearbeitet. Überhaupt entwickelt sich das Feld stürmisch, das Potenzial ist extrem groß und viele junge Leute mit frischen Ideen stoßen neu hinzu.

Labor im Innsbrucker Institut für Quantenoptik und Quanteninformation © IQOQI/M.R.Knabl

© IQOQI/M.R.Knabl

Blick in ein Labor im Innsbrucker Institut für Quantenoptik und Quanteninformation.

Oft heißt es, dass Quantencomputer mit gigantischen Rechenleistungen klassische Computer schon bald ganz verdrängen werden. Sehen Sie das auch so?
Nein, denn Quantencomputer eignen sich besonders gut für die Lösung von speziellen Problemen, zum Beispiel für die Berechnung der Quanteneigenschaften von Materialien, was in der Chemie sehr wichtig ist und wofür heute rund die Hälfte der weltweiten Rechenleistung verbraucht wird. Klassische Computer benötigen für solche Operationen sehr viel mehr Speicherkapazität als Quantencomputer. Übrigens wies schon in den 1980er-Jahren der US-Nobelpreisträger Richard Feynman darauf hin, dass es doch sehr viel sinnvoller sei, für solche Aufgaben Computer zu verwenden, die mit Quanteneigenschaften rechnen und somit das Quantenverhalten automatisch berücksichtigen, als dies auf einem klassischen Rechner kompliziert zu programmieren. Klassische Computer werden weiterhin Standardberechnungen und Routinearbeiten durchführen und haben ihre Berechtigung, wenn es zum Beispiel um Big-Data-Anwendungen geht, etwa in der Klimaforschung. Hier gelten die Regeln der klassischen Mechanik, das ist nicht das Terrain der Quantenrechner.

Mit zwei Milliarden Euro fördert die Bundesregierung die Entwicklung von Quantencomputern „Made in Germany“. Bayern legte noch einmal 300 Millionen Euro drauf und startete Anfang 2022 das ehrgeizige Projekt „Munich Quantum Valley“, in dem auch Sie sich engagieren. Was passiert da gerade?
Es geht darum, die Quantentechnologie insgesamt sowie wettbewerbsfähige Quantencomputer in Bayern zu entwickeln und zu betreiben. Die beiden Münchner Universitäten und die Universität Erlangen-Nürnberg beteiligen sich, dazu die Max-Planck-Gesellschaft, die Fraunhofer-Gesellschaft, das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt und die Bayerische Akademie der Wissenschaften. Im Munich Quantum Valley mit seinen gut 350 Mitarbeitern laufen die Fäden zusammen. Derzeit bauen wir Quantencomputer auf drei unterschiedlichen Plattformen auf. Schon jetzt setzt das Projekt international Maßstäbe. Ich widme ihm als Berater und Koordinator inzwischen die Hälfte meiner Arbeitszeit.

Das Munich Quantum Valley hat sich vorgenommen, die Öffentlichkeit über aktuelle Themen der Quantenforschung zu informieren. Eine gute Idee?
Ich halte das für extrem wichtig. Die wissenschaftliche Arbeit und die Forscher werden von der Gesellschaft bezahlt, das Forschungsumfeld wird von ihr bereitgestellt – also haben wir auch die Pflicht zu erklären, was und wofür wir das tun.

Wie gehen Sie dabei vor? Leichte Kost ist die Quantenphysik ja nicht gerade.
Ich nehme die Leute ernst und versuche, sie dort abzuholen, wo sie gerade sind. Was ich sage, muss nicht wissenschaftlich klingen. Es sollte die Dinge so einfach wie möglich auf den Punkt bringen, darf aber nicht falsch sein. Ich benutze gern Bilder, Analogien und Beispiele. Und manchmal zitiere ich meine Mutter mit einem ihrer Lieblingssätze: „Von nix kommt nix“. Da sind wir dann mitten in der Physik und schnell bei meinen Themen.

Rainer Blatt, Professor für Experimentalphysik an der Universität Innsbruck. © C. Lackner

© C. Lackner

Rainer Blatt, Professor für Experimentalphysik an der Universität Innsbruck.

Zur Person

Rainer Blatt ist seit 1995 Professor für Experimentalphysik an der Universität Innsbruck und seit 2003 wissenschaftlicher Direktor am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Der 1952 in Idar-Oberstein geborene Forscher studierte in Mainz Mathematik und Physik. Seine akademische Laufbahn führte ihn anschließend nach Berlin, Hamburg und Göttingen. Prägend für seine Arbeit waren Forschungsaufenthalte am Joint Institute of Laboratory Astrophysics in Boulder/Colorado bei John L. Hall, der 2005 den Physiknobelpreis erhielt.

Für seine Leistungen auf dem Gebiet der Quantenphysik erhielt Professor Blatt viele Auszeichnungen, darunter 2016 den International Quantum Communication Award und 2019, gemeinsam mit Anton Zeilinger und Peter Zoller, den Preis der chinesischen Micius Quantum Foundation. Seit 2021 koordiniert der Deutsch-Österreicher zusätzlich zu seiner Arbeit in Innsbruck das Munich Quantum Valley, eine Initiative zum Ausbau der Quantenwissenschaften in Bayern. 2021 wurde Rainer Blatt auch zum Ehrenprofessor der Technischen Universität München ernannt sowie zum auswärtigen Mitglied des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik in Garching bei München berufen. Der GDNÄ ist Professor Blatt seit Jahren als Gastredner und Autor verbunden.

 

Zur Vertiefung

Für die Festschrift zum 200-jährigen Bestehen der GDNÄ hat Rainer Blatt einen Beitrag über Quantencomputer verfasst („Mit Quanten muss man rechnen“). Der Innsbrucker Physikprofessor beschreibt darin den aktuellen Stand der Forschung und stellt die Arbeit seines Teams an der Universität Innsbruck vor.

>> „Mit Quanten muss man rechnen“ aus der Festschrift zum GDNÄ-Jubiläum (PDF)

Bei der 130. Versammlung in Saarbrücken 2018 hielt Professor Blatt einen Vortrag zum Thema „Quantenphysik – Rechenkunst mit Quantenphysik“:

>> zum Vortrag von Professor Blatt

Weitere Informationen: