PREISVERLEIHUNG

„Das Bedürfnis nach Fakten wächst“

2019 12 20

„Wir dürfen das Publikum nicht unterfordern“: Der Journalist Gert Scobel bei seiner Preisrede in Essen.

Gert Scobel ist Fernsehjournalist, Wissenschaftsautor und Philosoph. Seit vielen Jahren moderiert er im Programm 3sat die wöchentliche Wissenschaftssendung „scobel“. Seit 2016 ist er zudem Honorarprofessor für Philosophie und Interdisziplinarität an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Gert Scobel kam 1959 in Aachen zur Welt und studierte Philosophie und katholische Theologie in Frankfurt/Main und Berkeley/USA. Für seine Verdienste um die Vermittlung komplexer Wissenschaftsthemen wurde er am 10. Dezember 2019 mit der Lorenz-Oken-Medaille der Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte ausgezeichnet.

Gert Scobel, Fernsehmoderator und Lorenz-Oken-Preisträger, über das Besondere dieser Auszeichnung, seine Arbeitsweise als Journalist und seine Empfehlungen für kommunizierende Wissenschaftler.

Herr Scobel, Sie haben schon viele Auszeichnungen bekommen. Was bedeutet Ihnen die Lorenz-Oken-Medaille der GDNÄ?
Gert Scobel: Sie bedeutet mir sehr, sehr viel. Dass das auch für andere gilt, habe ich bei der Resonanz auf diesen Preis bemerkt, die erstaunlicherweise viel größer ist als bei anderen Auszeichnungen. Die Lorenz-Oken-Medaille hat für mich auch deshalb Bedeutung, weil es kein reiner Journalistenpreis ist. Ich fühle mich buchstäblich geadelt, weil ich jetzt in einer Reihe mit Wissenschaftlern stehe, die meine eigenen Helden sind.

An wen denken Sie dabei?
Scobel: Zum Beispiel an den Quantenphysiker Anton Zeilinger und an Hermann Haken, den Begründer der Synergetik. Und an meinen Kollegen Harald Lesch.

Für Ihren Vortrag bei der Verleihungsfeier haben Sie Alexander von Humboldt als Thema gewählt. Warum?
Scobel: Dafür gibt es mehrere Gründe. Erstens arbeitete Humboldt von Anfang an interdisziplinär. Zweitens hat er das, was er unter Bildung verstand, in Theorie und Forschung eingelöst. Drittens war er der größte Wissenschaftskommunikator seiner Zeit, möglicherweise sogar einer der größten bis heute. Und er hat ein Thema behandelt, das mir sehr am Herzen liegt, nämlich die Frage des Umgangs mit Komplexität.

Werfen wir einen Blick auf Humboldt als Kommunikator. Es hat als Wissenschaftler viele öffentliche Vorträge gehalten. Ist er noch ein Vorbild für die Forscher von heute?
Scobel: Übertragen auf die heutige Zeit könnte man sagen, Humboldt war der erste Youtuber. Ich weiß nicht, was genau er heute gemacht hätte, vielleicht hätte er gebloggt wie verrückt. Damals hat Humboldt alle Mittel genutzt, die ihm zur Verfügung standen. Humboldt hat übrigens die erste Infografik erstellt, die wirklich viral ging. Ich meine das berühmte Schaubild, in dem er Landschaften und Gebirgsprofile nach Klimazonen aufgeteilt hat. Das haben viele andere Forscher dann auch verwendet.

Was würden Sie Wissenschaftlern raten, die mehr in der Öffentlichkeit kommunizieren wollen?
Scobel: Sie müssen sich genau überlegen, welche Inhalte sie kommunizieren wollen und wem gegenüber. Beispielsweise kann ich als Wissenschaftler kommunizieren, weil ich für eine politische Idee eintrete, für die Demokratie etwa oder für ein vereintes Europa. Dann bin ich aber einer von vielen und werde nicht notwendigerweise als Wissenschaftler oder Wissenschaftlerin aktiv, es sei denn, die Politikwissenschaft wäre mein Fachgebiet. Diese Motivation sollte man unterscheiden von dem Wunsch, das eigene Fachgebiet besser zu vermitteln. Mein Rat lautet, sich mit Kommunikatoren an einen Tisch zu setzen, sich auszutauschen und dann zu versuchen, mit der breiteren Öffentlichkeit auf unterschiedlichen Wegen in Kontakt zu treten.

Sollen Wissenschaftler die Kommunikation selbst übernehmen? Oder sollen sie lieber eigene Influencer anheuern, die sich über Youtube oder Instagram an die Menschen wenden?
Scobel: Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass Influencer ein möglicher Weg sind. Doch nicht alle können auf diese Weise gut kommunizieren und es kann jämmerlich schief gehen. Überhaupt hat Kommunikation es ja an sich, leichter auszusehen als sie ist. Als Faustregel würde ich sagen, dass Kommunikatoren Wissenschaftler brauchen, um verstehen und einordnen zu können, was gerade in einem bestimmten Fachgebiet passiert. Umgekehrt wird es vielen Wissenschaftlern ähnlich gehen: Sie brauchen meiner Ansicht nach den Austausch mit uns Journalisten, um besser zu verstehen, welche Themen sie auf welche Weise kommunizieren sollten.

Haben Wissenschaftler eine Verpflichtung, ihre Ergebnisse einer breiten Öffentlichkeit kundzutun – insbesondere, wenn diese Einfluss auf Entscheidungen der Politik haben können?
Scobel: Da Wissenschaftler vom Staat, von den Bürgerinnen und Bürgern bezahlt werden, ist es ihre Pflicht, Auskunft zu geben, über das, was sie erkennen und was wichtig für die Allgemeinheit sein könnte. Aber meiner Ansicht nach haben sie nicht die Pflicht, jedes Ergebnis zu kommunizieren. Ich finde es übrigens schade, dass über fehlgeschlagene Ergebnisse so wenig gesprochen wird. Das sollten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler viel häufiger machen. Denn ein Großteil der Wissenschaft besteht doch aus dem Lernen von Fehlern und Experimenten, die nicht funktionieren.

Wir leben in einer Zeit des Medienumbruchs. Das Internet konkurriert mit den klassischen Medien. Wissenschaftler reden von Fakten, gleichzeitig nehmen Fake News zu. Seichte Serien werden beliebter, seriöse Magazine haben Schwierigkeiten. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung als jemand, der lange in der Branche ist?
Scobel: Es stimmt nicht, dass harte Fakten die Verlierer sind. Meiner Ansicht nach gibt es sogar ein leicht steigendes Bedürfnis nach Fakten, übrigens auch in Medien wie Youtube. Dass die Menschen vom Fernsehen zu einem anderen Ausstrahlungsmodus, beispielsweise zu Youtube, wechseln, ist nicht per se schlecht. Ich sehe da durchaus Chancen. Die Arbeit ist vielleicht etwas anstrengender geworden als früher. Aber Wissenschaftsleugner gab es schon immer, den politischen Widerstand gegen Forschung auch, genauso wie es Nationalisten gab, die eine deutsche Wissenschaft wollten – was auch immer das sein soll. Die Situation ist insofern schwieriger geworden, als wir es heute nicht nur mit Menschen, sondern auch mit Algorithmen und Bots zu tun haben. Aber es gibt eine Chance für die Wahrheit und wir sollten nicht übertreiben und zu viel herumjammern.

Sie sagen mit Ihrer Erfahrung, dass die Art und Weise, wie man Wissenschaft präsentieren muss, sich in den letzten Jahren gar nicht so viel verändert hat?
Scobel: Klar hat sich was verändert, aber ich würde nicht den Fehler machen, nur auf die sozialen Netzwerke zu schauen. Es gibt viele positive Entwicklungen, denken wir an die TED-Talks. Es ist heute für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler viel einfacher und leichter, mit echter Neugierde und Spaß zu kommunizieren als früher, weil es Medien gibt, die dies transportieren können. Dass man sich Gedanken darüber macht, wie man die Fakten, die man als Forscher erarbeitet hat, optimal kommunizieren kann, ist kein Fehler.

Nach welchen Kriterien wählen Sie die Themen für Ihre Sendung aus?
Scobel: Wir wählen Themen aus, von denen wir denken, es wäre notwendig, darüber tiefgehend zu berichten und sie kritisch zu beleuchten. Das sind Themen, die nicht nur für die wissenschaftsinterne Diskussion Bedeutung haben, sondern ebenso für unsere Gesellschaft.

Auch wenn es dabei um komplizierte Fragen geht?
Scobel: Das sind sogar oft komplizierte Sachen. Wir haben beispielsweise eine Sendung über Blockchain-Technologie gemacht, die mich an den Rand dessen gebracht hat, was ich mit meinem kleinen Kopf verstehen kann. Trotzdem war es eine sehr notwendige und sehr gute Sendung, durch die ich viel gelernt habe – und die Zuschauerinnen und Zuschauer hoffentlich auch.

Bekommen Sie eine andere Resonanz, wenn Sie komplizierte Themen bearbeiten? Viele TV-Formate verzichten bewusst auf schwierige Themen, weil sie um ihre Zuschauer fürchten.
Scobel: Mein Credo war schon immer und ist es noch, an der Grenze zur Überforderung zu arbeiten. Wir hängen die Messlatte bewusst lieber einen Tick höher als tiefer. Interessanterweise wird das honoriert. Ein Teil unserer Zuschauerinnen und Zuschauer hat, wie man das erwarten kann, einen akademischen Abschluss. Aber der andere Teil – und der ist relativ groß – hat keinen akademischen Abschluss. Diese Gruppe nutzt unsere Sendung bewusst, um sich zu bilden. Deshalb sage ich meinen Gästen vor der Sendung: Wir machen das jetzt, damit unser Publikum hinterher schlauer ist als vorher. Das ist unser Ziel. Wir erreichen es nicht immer, aber doch sehr oft.

Viele beklagen, dass die Wissenschaftsskepsis zunimmt. Denken wir an die Impfpflicht, an Klimawandelleugner. Sie haben gerade gesagt, dass Sie die Skepsis so nicht erleben. Aber oft ist die wissenschaftliche Evidenz ganz klar – und doch wird sie massiv angezweifelt. Wie kann die Wissenschaft sich wehren?
Scobel: Ich habe kein Patentrezept, das wäre auch völlig anmaßend. Ich kann nur auf die Meta-Ebene verweisen: Ich glaube, dass das grundlegende Problem in der Kommunikation von Komplexität liegt. Wir alle verstehen Komplexität nicht sehr gut, weil wir gewohnt sind, linear zu denken. Wir denken nach dem Input-Output-Schema, anstatt auf verborgene Rückkopplungsschleifen zu achten. Mit denen hat zum Beispiel die Klimadebatte viel zu tun. Diese Prozesse bewusst zu machen, ist entscheidend. Die meisten Menschen betrachten die Welt auf eine Weise, die von der Newtonschen Schulphysik geprägt ist. Dieses Modell der Welt reicht, wenn es um Autos und Maschinen geht – aber nicht, wenn man die Komplexität biologischer oder klimatischer Prozesse verstehen will. Wir müssen also überlegen, wie wir es besser hinbekommen, Komplexität verständlich zu machen.

Sie brechen eine Lanze dafür, sich dieser Herausforderung zu stellen?
Scobel: Absolut. Die Messlatte nach unten zu hängen, weil nicht alle folgen können, verlagert nur das Problem und macht die Leute, die es genauer wissen wollen, nicht schlauer. Wenn wir unseren Bildungsauftrag ernstnehmen, sollten wir uns stattdessen bemühen, Komplexität noch besser verständlich zu machen. Am Ende geht es darum, die Welt besser zu verstehen – nur so kommen wir besser in ihr zurecht. Deshalb muss man nicht dröge und humorlos werden oder Unterhaltung und Kunst geringschätzen. Es geht darum, all das mit Erkenntnisgewinn zu verbinden. Und zwar so, dass wir, frei nach dem Montessori-Prinzip, an der Grenze zur Überforderung arbeiten, statt mit Unterforderung zu langweilen.